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Reform scheiterte in dem entscheidenden Punkt: der Militärverfassung, völlig, – nach allen Analogien zweifellos: weil der dafür unentbehrliche Verwaltungsstab fehlte und die Geldsteuern bei der ökonomischen Verfassung des Landes nicht prompt einzubringen waren. Die nach seinem Tode (1086) ausgesprochene Kanonisation und Einrichtung von Opfern wurde im 12. Jahrhundert wieder sistiert. Der Kern des Heeres bestand schon Ende des 11. Jahrhunderts wieder aus Soldtruppen. Die Schaffung des Fachbeamtentums wußten die dadurch in ihren Pfründeninteressen bedrohten Literaten: – deren Interessen waren die entscheidende Kraft in dem ganzen Kampf um die Reform! – zu hintertreiben, und auch die Kaiserinnen, deren Eunuchen durch eine solche Neuordnung in ihrem Machtinteresse sich gefährdet sahen, hatten von Anfang an gegen sie Stellung genommen[182].

      Wenn so die Reform Wang An Schi's im entscheidenden Punkt scheiterte, so scheint sie doch insofern tiefe Spuren zurückgelassen zu haben, als das chinesische »Selbstverwaltungssystem«, wie später zu erörtern sein wird, durch diese Rationalisierung der schon mehrfach erörterten Zehner- und Hunderterverbände seine noch heute nachwirkende Form behielt.

      Tiefe Eingriffe der Regierung in die Grundbesitzverteilung hat es auch später noch mehrfach gegeben. 1263, im Kampf gegen die Mongolen, enteignete sie allen über eine bestimmte Besitzgrenze (»100 Mou«) hinausgehenden Bodenbesitz gegen Staatsschuldscheine, um Mittel zu beschaffen, und auch die folgenden Zeiten brachten gelegentlich starke Vermehrungen des unmittelbaren Staatsbesitzes durch Konfiskationen (in Tsche-kiang soll bei Antritt der Ming-Dynastie nur 1/15 des Bodens voller Privatbesitz gewesen sein). Das staatliche Magazinsystem (tsiun-schu) war an sich alt[183] und spielte schon vor Wang-An-Schi's Plänen eine bedeutende Rolle. Seit dem 15. Jahrhundert etwa nahm es die Form an, die ihm dann blieb: der Ankauf im Herbst und Winter, Verkauf im Frühling und Sommer wurde zunehmend eine im Interesse der Erhaltung der inneren Ruhe vorgenommene preisregulierende Maßregel. Ursprünglich war der Ankauf kein freiwilliger, sondern wurde oktroyiert: der abzuliefernde Quotient der Ernte schwankte normalerweise um etwa 1/2 und wurde dann auf die Steuern verrechnet. Deren Höhe hat stark geschwankt: 1/15-1/10 des Ertrags, also eine sehr niedrige Quote, waren, sahen wir, unter den Han die Normalsätze, wobei immer zu bedenken ist, daß Fronden dazutraten. Die Entwicklung der Sätze im einzelnen interessiert hier schon deshalb nicht, weil sie aus eben diesem Grunde gar kein Bild der realen Belastung geben.

      Als Resultat der wechselnden Bodenreformbestrebungen fiskalischen Charakters ist jedenfalls zweierlei anzusehen: die Nicht entstehung rationaler landwirtschaftlicher Großbetriebe und die tiefgehende mißtrauische Abneigung der gesamten Landbevölkerung gegen jede Art wie immer gearteten Eingriffs der Regierung in den Bodenbesitz und die Art der Bewirtschaftung: die laissez-faire Theorien zahlreicher chinesischer Kameralisten erfreuten sich bei der Landbevölkerung zunehmender Popularität. Konsum- und teuerungspolitische Maßregeln blieben selbstverständlich, als unvermeidlich, erhalten. Aber im übrigen fand nur die Bauern schutz politik der Regierung, weil gegen kapitalistische Akkumulation: Verwandlung von im Amt, im Handel, in der Steuerpacht akkumuliertem Besitz in Landvermögen gerichtet, Rückhalt an der Bevölkerung. Diese zum Teil schon vorstehend mitbesprochene Gesetzgebung ist durch diese Stimmung überhaupt erst ermöglicht worden und hat sich, aus eben diesem Grunde, sehr tiefe Eingriffe in den Besitzstand der Vermögenden gestatten dürfen. Hervorgegangen aus dem Kampf der autokratischen Regierung mit den Vasallen und den ursprünglich allein voll wehrfähigen vornehmen Sippen, hatte sie sich später stets erneut gegen die kapitalistisch bedingte Neubildung von Grundherrschaften zu wenden.

      Die Art der Eingriffe hat dabei stark gewechselt, wie die bisherige Darstellung schon zeigte. In den Annalen wird für den Staat Tsin[184], aus dem der »erste Kaiser« Schi Hoang Ti hervorging, für die Regierung Hiao Kongs (361-338) berichtet, daß der Literat Wei Yang, sein Minister, ihn als die »höchste Weisheit« gelehrt habe die Kunst: »wie man Herr seiner Vasallen wird«. Neben einer Reform der Steuerverfassung, vor allem: Ersatz der Landbestellungsfronden durch die allgemeine Grundsteuer, steht dabei die Zerteilung des Grundbesitzes im Vordergrund: Zwangsteilung der Familienkommunionen, Steuerprämien auf Familiengründung, Fronfreiheit bei intensiver Produktion, Familienregister und Beseitigung der Privatrache: alles typische Mittel des Kampfes gegen die Entstehung und Erhaltung von Grundherrschaften und zugleich Ausdruck des typischen populationistischen Fiskalismus. Die Gesetzgebung hat, sahen wir, geschwankt: abwechselnd lieferte die Regierung die landlosen Bauern durch Beschränkung der Freizügigkeit den Großgrundbesitzern aus oder ließ doch ihre Kommendierung in Hörigkeit geschehen, und befreite sie wieder. Aber im ganzen überwog die Tendenz zum Bauernschutz entschieden. 485 n. Chr. (unter der Wei-Dynastie) erlaubte sie offenbar aus populationistischen Gründen den Verkauf von überflüssigem Land. Bauernschutz bezweckte 653 n. Chr. das Verbot des Handels in Land und namentlich des Aufkaufs durch Wohlhabende, und 1205 n. Chr. das Verbot, Land zu verkaufen und als Höriger des Käufers auf dem Grundstück sitzen zu bleiben[185]. Die beiden letzten Bestimmungen lassen mit vollster Sicherheit erkennen, daß zur Zeit ihres Erlasses und – wie andere Nachrichten zeigen – sehr lange vorher ein faktisch veräußerliches Privateigentum an Boden bestand. Denn was hier verhindert werden sollte, war jene Entwicklung, welche an zahlreichen Stellen der ganzen Erde, vor allem in der althellenischen Polis, z.B. in Athen, eingetreten ist: daß im Handel oder aus politischen Quellen akkumulierte Geldvermögen Anlage im Grundbesitz suchten, die verschuldeten Bauern auskauften und als Schuldknechte oder hörige Pächter auf den zusammengekauften Parzellen verwendeten. – Doch genug dieser monotonen Wiederholungen, welche ja eine wirkliche »Wirtschaftsgeschichte« doch nicht bieten können. Die entscheidenden Daten (Preise, Löhne usw.) dafür fehlen bisher. Was aus allem hervorgeht, ist der lange Jahrhunderte, man darf sagen: 11/2 Jahrtausende lang, höchst prekäre Charakter der Bodenappropriation und die weitgehende, politisch-fiskalisch bedingte, zwischen willkürlichem Eingriff und völligem Gehenlassen schwankende Irrationalität des Bodenbesitzrechts. Eine Rechts kodifikation wurde von den Literaten mit der charakteristischen Begründung abgelehnt: daß das Volk die leitenden Klassen verachten werde, wenn es sein Recht kenne. Unter solchen Umständen war die Erhaltung der Sippe als Selbsthilfeverband der einzige Ausweg.

      Das heutige Immobiliarrecht in China trägt daher neben scheinbar modernen Zügen die Spuren ältester Struktur an sich[186]. Die Katastrierung alles Landes und die – freilich stets wieder an der Obstruktion der Bevölkerung scheiternde – fiskalische Vorschrift, daß jede Verkaufsurkunde der (gebührenpflichtigen) Siegelung (schoei ki) durch die zuständige Staatsbehörde bedürfe und daß der Besitz dieser Erwerbstitel, Katasterauszüge und Quittungen über die Zahlung der Steuern als Eigentumsbeweis gelte, hat die Uebertragung des Bodens (durch bloße Urkundenbegebung) überaus erleichtert. Die in jeder Verkaufsurkunde (Mai Ki) enthaltene Klausel: daß der Besitz »infolge eines wirklichen Geldbedarfs für einen legalen Zweck« veräußert werde, ist heute eine leere Formel. Aber sie läßt – im Zusammenhang mit der erwähnten ausdrücklichen Bestimmung von 485 n. Chr. – mit Sicherheit darauf schließen, daß ursprünglich der Verkauf nur bei »echter Not« zulässig war, zumal ein heute ebenfalls rein formelhaftes, früher aber zweifellos obligatorisches Vorangebot an die Verwandten danebensteht, und vollends angesichts der noch heute als »Unsitte« bestehenden Gepflogenheit des Verkäufers und unter Umständen sogar seiner Nachfahren, bei eintretender Not durch tan ki (»billet de géminance«)[187] vom Käufer eine oder mehrere Nachzahlungen als »Almosen« zu verlangen[188]. Der typische Landkäufer war eben hier wie in der alten Polis des Okzidents der reiche Geldbesitzer und Schuldherr, der Bodenbesitz aber war ursprünglich durch Retraktrechte sippengebunden. Die eigentlich nationale Form der Veräußerung war daher auch nicht der unbedingte Verkauf auf ewig, sondern teils der überall als Notgeschäft sich findende Verkauf unter Vorbehalt des Rückkaufs (hsiao mai), die Vererbpachtung (denn die Stellung eines Erbpächters

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<p>182</p>

Auf diese, mit der Struktur der inneren Verwaltung zusammenhängenden Punkte kommen wir später zurück.

<p>183</p>

Es sollen schon im 8. Jahrhundert Magazine auch für Seide und Leinen bestanden haben.

<p>184</p>

Vgl. die Exzerpte aus den Annalen bei P. Alb. Tschepe (S. J.), Histoire du Royaume de Tsin, 777-207 (Variétés Sinol. 27, bes. p. 118 f.).

<p>185</p>

Dies Verbot scheint tatsächlich die Entwicklung des Kolonats hintangehalten zu haben. Denn noch heut ist die Kleinpacht von (ländlichem) Boden anscheinend nicht sehr häufig.

<p>186</p>

Die Bannerlehen der Mandschugarnisonen und die erblichen Landpfründen der leiturgiepflichtigen Grenzertruppen, Kanalanlieger, Straßenanlieger usw. bleiben hier billig außer Betracht.

<p>187</p>

So übersetzt P. Pierre Hoang Notion technique sur la propriété en Chine, Schanghai 1897 (Variétés Sinol. 11) § 20 den Ausdruck.

<p>188</p>

Und zwar gerichtlich! Der Richter mußte zwar die Klage abweisen, pflegte aber den Käufer zu »ermahnen«, nicht hartherzig zu sein und zu zahlen. Nur einflußreiche Personen konnten sich dem entziehen (Hoang a.a.O.). Siehe weiterhin im Text.