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gesonderte Berufe. Die Bedeutung der Magie war zwar selbstverständliche Voraussetzung hier wie überall. Aber, soweit dabei Interessen der Gemeinschaft in Frage kamen, lag die Beeinflussung der Geister in den Händen der Vertreter der Gemeinschaft: für die politische Gemeinschaft des Kaisers als Oberpontifex und der Fürsten, für die Familie des Sippenhaupts und Hausvaters. Die Beeinflussung des Gemeinschaftsschicksals, vor allem: der Ernte, erfolgte eben seit sehr alter Zeit durch rationale Mittel: die Wasserregulierung, und daher war die richtige »Ordnung« der Verwaltung von jeher das grundlegende Mittel der Beeinflussung auch der Geisterwelt. Neben Schriftkunde als Mittel der Kenntnis der Tradition war Kalender- und Sternenkunde zur Ermittlung des himmlischen Willens, vor allem: der dies fasti und nefasti nötig, und es scheint, daß die Stellung der Literaten jedenfalls auch aus der Hofastrologenwürde heraus sich entwickelt hat[238]. Diese rituell (und ursprünglich wohl auch horoskopisch) wichtige Ordnung zu erkennen und darnach die berufenen politischen Gewalten zu beraten war das, was die Schriftkundigen und nur sie vermochten. Eine Anekdote der Annalen[239] zeigt in plastischer Art die Konsequenzen. Im Feudalstaate der Wei konkurrieren ein bewährter General (U Ki, der angebliche Verfasser des bis heute maßgebenden Leitfadens der rituell richtigen Strategie) und ein Literat um die Stellung als erster Minister. Nachdem der letztere ernannt ist, entsteht zwischen beiden ein heftiger Disput. Der Literat gibt bereitwillig zu: daß er seinerseits weder Kriege zu führen noch ähnliche politische Aufgaben so wie der General zu bewältigen vermöge, bemerkt jedoch dem General, der daraufhin sich für den Qualifizierteren erklärt: es drohe der Dynastie eine Revolution, – worauf der General ohne weiteres zugibt, daß zu deren Verhütung nicht er, sondern der Literat der Geeignetere sei. Für die richtige innere Ordnung der Verwaltung und für die charismatisch richtige Lebensführung des Fürsten –, rituell und politisch, – war eben der schriftkundige Kenner der alten Tradition der allein Kompetente. Im schärfsten Gegensatz zu den wesentlich außenpolitisch interessierten jüdischen Propheten waren also die chinesischen rituell geschulten Literaten-Politiker primär an den Problemen der inneren Verwaltung orientiert, mochten diese auch – wie wir früher sahen – vom Standpunkt ihrer Fürsten aus durchaus im Dienst der Machtpolitik stehen und mochten sie selbst auch, als fürstliche Korrespondenzführer und Kanzler, tief in die Leitung der Diplomatie hineingezogen werden.

      Diese stete Orientierung an den Problemen der »richtigen« Staatsverwaltung bedingte einen weitgehenden praktisch-politischen Rationalismus der Intellektuellenschicht des Feudalzeitalters. Im Gegensatz gegen den strengen Traditionalismus der späteren Zeit zeigen uns die Annalen die Literaten gelegentlich als kühne politische Neuerer[240]. Grenzenlos war ihr Bildungsstolz[241] und weitgehend – wenigstens nach der Aufmachung der Annalistik – die Deferenz der Fürsten[242]. Entscheidend für die Eigenart der Literatenschicht war nun ihre intime Beziehung zum Dienst bei patrimonialen Fürsten. Von Anbeginn unserer Kunde an bestand diese. Der Ursprung des Literatentums ist für uns in Dunkel gehüllt. Anscheinend waren sie die chinesischen Auguren und es ist für ihre Stellung der pontifikale, cäsaropapistische Charakter der kaiserlichen Gewalt und der daraus folgende Charakter der Literatur: offizielle Annalen, magisch bewährte Kriegs- und Opfergesänge, Kalender, Ritual- und Zeremonialbücher, das entscheidende Moment gewesen. Sie stützten mit ihrer Wissenschaft jenen kirchlichen Anstaltscharakter des Staats und gingen von ihm als der gegebenen Voraussetzung aus. Sie schufen in ihrer Literatur den »Amts«-Begriff, vor allem das Ethos der »Amtspflicht« und des »öffentlichen Wohls«[243]. Sie sind, wenn der Annalistik einigermaßen getraut werden darf, von Anfang an Gegner des Feudalismus und Anhänger der amtsmäßigen Anstaltsorganisation des Staats gewesen. Ganz begreiflich: weil von ihrem Interessenstandpunkt aus nur der (durch literarische Bildung) persönlich Qualifizierte verwalten sollte[244]. Andererseits nahmen sie für sich in Anspruch, den Fürsten den Weg der militärischen Eigenregie: – eigene Waffenfabrikation und Festungsbau – gewiesen zu haben, als Mittel: »Herr ihrer Länder« zu werden[245].

      Diese im Kampf des Fürsten mit den feudalen Gewalten entstandene feste Beziehung zum Fürstendienst scheidet die chinesische Literatenschicht sowohl von der althellenischen wie von der altindischen (Kschatriya-)Laienbildung und nähert sie den Brahmanen an, von denen sie sich jedoch durch ihre rituelle Unterordnung unter den cäsaropapistischen Pontifex einerseits, durch das damit und mit der Schriftbildung eng zusammenhängende Fehlen der Kastengliederung andererseits stark unterscheiden. Die Art der Beziehung zum eigentlichen Amt freilich hat gewechselt. In der Zeit der Feudalstaaten konkurrierten die verschiedenen Höfe um die Dienste der Literaten und sie suchten die Gelegenheit, Macht und – nicht zu vergessen – Erwerb[246] zu finden, da, wo sie am günstigsten war. Es bildete sich eine ganze Schicht vagierender »Sophisten« (tsche-sche), den fahrenden Rittern und Gelehrten des Mittelalters im Okzident vergleichbar. Und es fanden sich auch – wie wir sehen werden – prinzipiell amts frei bleibende Literaten. Dieser freibewegliche Literatenstand war damals der Träger philosophischer Schulbildungen und Gegensätze, wie in Indien, im hellenischen Altertum und bei den Mönchen und Gelehrten des Mittelalters. Dennoch fühlte sich der Literaten stand als solcher als Einheit, sowohl in seiner Standesehre[247] wie als einziger Träger der einheitlichen chinesischen Kultur. Und für den Stand als Ganzes blieb eben die Beziehung zum Fürstendienst als der normalen oder mindestens normalerweise erstrebten Erwerbsquelle und Betätigungsgelegenheit das ihn von den Philosophen der Antike und wenigstens der Laienbildung Indiens (deren Schwerpunkte außerhalb des Amtes lagen) Unterscheidende. Konfuzius wie Laotse waren Beamte, ehe sie amtlos als Lehrer und Schriftsteller lebten, und wir werden sehen, daß diese Beziehung zum staatlichen (»kirchenstaatlichen«) Amt für die Art der Geistigkeit dieser Schicht grundlegend wichtig blieb. Vor allem: daß diese Orientierung immer wichtiger und ausschließlicher wurde. Im Einheitsstaat hörten die Chancen der Konkurrenz der Fürsten um die Literaten auf. Jetzt konkurrierten umgekehrt diese und ihre Schüler um die vorhandenen Aemter und es konnte nicht ausbleiben, daß dies die Entwicklung einer einheitlichen, dieser Situation angepaßten, orthodoxen Doktrin zur Folge hatte. Sie wurde: der Konfuzianismus. Und mit der wachsenden Verpfründung des chinesischen Staatswesens hörte daher die anfänglich so freie Bewegung des Geistes der Literatenschicht auf. Diese Entwicklung war in jener Zeit schon in vollem Gange, als die Annalistik und die meisten systematischen Schriften der Literaten entstanden und als die von Schi Hoang Ti ausgerotteten heiligen Bücher »wiedergefunden«[248] wurden und nun, revidiert, retouchiert und kommentiert von den Literaten, kanonische Geltung erlangten.

      Daß diese Gesamtentwicklung mit der Befriedung des Reichs eingetreten oder vielmehr: in ihre Konsequenzen getrieben ist, ergibt die Annalistik klar. Ueberall ist Krieg die Angelegenheit der Jugend gewesen und der Satz: »sexagenarios de ponte« war eine gegen den »Senat« gerichtete Krieger parole. Die Literaten aber waren die »Alten« oder: vertraten sie. Daß er gesündigt habe, indem er auf die »Jungen« (die Krieger) gehört habe, nicht auf die »Alten«, die zwar keine Kraft, aber Erfahrung haben, wird als paradigmatisches öffentliches Bekenntnis des Fürsten Mu Kong (von Tsin) in der Annalistik überliefert[249]. In der Tat: das war der entscheidende Punkt bei der Wendung zum Pazifismus und – dadurch – Traditionalismus: an die Stelle des Charisma trat: die Tradition.

      Die klassischen, mit dem Namen des im Jahre 478 v. Chr. verstorbenen Kungtse: Konfuzius, als Redaktor verknüpften Schriften lassen in ihren ältesten Teilen noch die Zustände der charismatischen Kriegskönige erkennen. Die Heldenlieder des Hymnenbuches (Schi-king) singen wie die hellenischen und indischen Epen von wagenkämpfenden Königen. Aber in ihrem Gesamtcharakter sind sie schon nicht mehr, wie die homerischen und germanischen Epen, Verkünder individuellen oder überhaupt rein menschlichen Heldentums. Das Heer der Könige hatte schon zur Zeit der jetzigen Redaktion des Schi-king

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<p>238</p>

Chavannes, Journ. of the Peking Or. Soc. III, 1, 1890, p. IV, übersetzt Tai sche ling mit »Großastrologe« statt, wie meist geschieht, mit »Hofannalist«. Die spätere, namentlich aber die neuere Zeit, kennt jedoch die Repräsentanten der Literatenbildung als scharfe Gegner der Astrologen. S. später.

<p>239</p>

Bei Tschepe, Hist. du R. de Han; Var. Sinol. 31. Schanghai 1910, p. 48.

<p>240</p>

Als im 4. Jahrhundert die Vertreter der feudalen Ordnung, voran die an ihr interessierten fürstlichen Sippen, gegen die beabsichtigte Bureaukratisierung im Tsin-Staate einwenden: »durch Erziehung, nicht durch Aenderung der Verwaltung hätten die Alten das Volk gebessert« (durchaus im Einklang mit den späteren Theorien der konfuzianischen Orthodoxie), bemerkt der neue Literaten-Minister Yang höchst unkonfuzianisch: »der gewöhnliche Mensch lebt nach der Tradition; die höheren Geister aber schaffen sie und für das Außeralltägliche geben die Riten keine Anweisung; das Wohl des Volks ist das höchste Gesetz«, und der Fürst tritt ihm bei (s. die Stellen bei Tschepe Hist. du R. de Tsin, a.a.O. p. 118). Es ist recht wahrscheinlich, daß die konfuzianische Orthodoxie bei der Prägung und Purifikation der Annalistik diese Züge zugunsten des später als korrekt geltenden Traditionalismus sehr stark hinwegretouchiert hat. Andererseits sind natürlich die nachstehend referierten Berichte über die den alten Literaten gezollte erstaunliche Ehrerbietung nicht alle einfach für bare Münze zu nehmen!

<p>241</p>

Obwohl der Erbprinz von Wei vom Wagen steigt, erhielt er von dem Hofliteraten des Königs, einem Parvenü, auf mehrfach wiederholten Gruß keine Erwiderung. Auf die Frage: »ob die Reichen oder die Armen stolz sein dürften«, erwidert dieser: »die Armen« und motiviert dies damit, daß er jeden Tag bei einem anderen Hof Verwendung finden könne (Tschepe, Hist. du R. de Han a.a.O. p. 43). Darüber, daß der Bruder des Fürsten ihm für den Posten als Minister vorgezogen wird, gerät (s. ebenda) ein Literat in größte Wut.

<p>242</p>

Der Fürst von Wei hört den Vortrag des Hofliteraten, eines Schülers des Konfuzius, nur stehend an (a.a.O., vorige Anmerkung).

<p>243</p>

S. die Aeußerungen bei Tschepe, H. du R. de Tsin, p. 77.

<p>244</p>

Die Erblichkeit der Ministerwürde gilt den Literaten als rituell verwerflich (Tschepe a.a.O. p. 77). Als der Fürst von Tschao seinen Minister beauftragt, geeignetes Land als Lehen für mehrere verdiente Literaten ausfindig zu machen, erklärt er auf dreimalige Mahnung dreimal, er habe noch immer keines gefunden das ihrer würdig sei. Darauf endlich versteht der Fürst und macht sie zu Beamten (Tschepe, H. du R. de Han, p. 54/5).

<p>245</p>

S, die Stelle über die betr. Frage des Königs von U bei Tschepe, Hist. du R. de. U. Var, Sinol. 10, Schanghai 1891.

<p>246</p>

Daß auch dies der Zweck war, verstand sich von selbst, wie die Annalen erkennen lassen.

<p>247</p>

Als eine Konkubine eines Fürsten über einen Literaten lacht, streiken seine sämtlichen Literaten, bis sie hingerichtet wird (Tschepe, Hist. du R. de Han, p. 128).

<p>248</p>

Der Vorgang erinnert an die »Auffindung« des heiligen Gesetzes unter Josiah bei den Juden. Der gleichzeitig lebende große Annalist Se ma tsien erwähnt ihn nicht.

<p>249</p>

Tschepe S. J., Hist. du R. de Tsin, Var. Sinol. 27, p. 53.