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– und die Beamten waren der Sache nach solche, – die optimalen Chancen der Vermögensakkumulation[198]. Verabschiedete Beamte legten ihr mehr oder minder legal erworbenes Vermögen in Grundbesitz an. Die Söhne blieben, im Interesse der Erhaltung der Vermögensmacht, als Ganerben in Erbengemeinschaft und brachten die Mittel auf, wieder einige Mitglieder der Familie studieren zu lassen, um ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, in die einträglichen Aemter zu gelangen und dadurch wiederum ihre Erbengemeinschaft zu bereichern und ihren Sippengenossen – wie es im weitesten Umfang als selbstverständlich galt – Aemter zu verschaffen. Es hatte sich so auf der Basis der politischen Besitzakkumulation ein, wenn auch labiles, Patriziat und ein Bodenmagnatentum mit Parzellenverpachtung entwickelt, welches weder feudales noch bürgerliches Gepräge trug, sondern auf Chancen rein politischer Aemterausbeutung spekulierte. Es war also, wie in Patrimonialstaaten typisch, nicht vorwiegend rationaler ökonomischer Erwerb, sondern, – neben dem Handel, der gleichfalls zu Anlage von Gelderwerb in Land führte, – vor allem innenpolitischer Beutekapitalismus, der die Vermögens-, insbesondere auch die Boden-Akkumulation beherrschte. Denn ihr Vermögen machten die Beamten, wie wir sahen, u.a. durch Steueragiotage: die willkürliche Festsetzung des Kurses, zu welchem die Pflichtigkeiten in Courant umzurechnen waren. An dieser Krippe mitgefüttert zu werden gaben die Examina Anwartschaft. Sie wurden daher stets erneut unter die Provinzen repartiert, wennschon nur ausnahmsweise fest kontingentiert. Die Einstellung der Examina in einem Bezirk war eine höchst wirksame, weil ökonomisch höchst empfindliche Strafe für die beteiligten Honoratiorenfamilien. Es ist klar, daß diese Art von Erwerbsgemeinschaft der Familie in der gerade entgegengesetzten Richtung wie die Entwicklung rationaler ökonomischer Betriebsgemeinschaften lag. – Vor allem aber war sie überdies streng sippen gebunden. Damit kommen wir nun auf die schon wiederholt berührte Bedeutung der Sippenverbände zusammenhängend zu reden.

      In China war die im okzidentalen Mittelalter schon so gut wie völlig erloschene Bedeutung der Sippe sowohl für die lokale Verwaltung der kleinsten Einheiten wie für die Art der ökonomischen Assoziation vollkommen erhalten geblieben und hatte sich sogar in einem Maß entwickelt, wie es anderwärts, auch in Indien, unbekannt geblieben ist. Die patrimoniale Regierung von oben her stieß mit den als Gegengewicht gegen sie fest ausgestalteten Organisationen der Sippen von unten her zusammen. Ein sehr bedeutender Bruchteil aller politisch gefährlichen »geheimen Gesellschaften« bestand bis in die Gegenwart aus Sippen[199]. Die Dörfer hießen vielfach nach dem Namen einer Sippe[200], welche in ihnen ausschließlich oder vorwiegend vertreten war. Oder sie waren Sippenkonföderationen. Die alten Grenzsteine zeigen, daß das Land nicht Einzelnen, sondern den Sippen zugeteilt war und die Sippenkommunion erhielt diesen Zustand in ziemlich weitem Umfang aufrecht. Aus der an Zahl mächtigsten Sippe wählte man den – oft besoldeten – Dorfvorstand. »Aelteste« (der Sippen) standen ihm zur Seite und beanspruchten das Recht der Absetzung. Die einzelne Sippe aber, von der jetzt zunächst zu reden ist, beanspruchte als solche selbständig die Macht, ihr Mitglied zu strafen und setzte dies durch, so wenig die moderne Staatsgewalt es offiziell anerkannte[201].

      Der Zusammenhalt der Sippe und seine Bewahrung – trotz der rücksichtslosen Eingriffe der Patrimonialverwaltung mit ihren mechanisch konstruierten Haftungsverbänden, ihren Umsiedelungen, Bodenumteilungen und Gliederungen der Bevölkerung nach ting: arbeitsfähigen Individuen, – beruhte zweifellos ganz und gar auf der Bedeutung des Ahnenkults als des einzigen nicht durch die cäsaropapistische Regierung und ihre Beamten, sondern durch den Hausvorstand als Hauspriester, unter Assistenz der Familie besorgten, aber unzweifelhaft klassischen und uralten »Volkskults«. Schon im »Männerhaus« der militaristischen Urzeit scheinen die Ahnengeister eine Rolle gespielt zu haben, – was beiläufig bemerkt, mit wirklichem Totemismus schwer vereinbar scheint und auf den Gefolgschafts charakter und das daraus entwickelte Erb charisma des Fürsten und der Gefolgen unter der Form des Männerhauses als die älteste als wahrscheinlich zu erschließende Organisationsform hinweisen könnte[202]. Wie dem sei: in historischer Zeit war von jeher der Glaube an die Macht der Ahnengeister, nicht nur der eignen[203], aber vor allem der eignen, an ihre rituell und literarisch bezeugte Vermittler-Rolle für Wünsche der Nachfahren beim Himmelsgeist oder -Gott[204], an die unbedingte Notwendigkeit, sie durch Opfer zu befriedigen und günstig zu stimmen, der schlechthin grundlegende Glaube des chinesischen Volks. Die Ahnengeister der Kaiser waren die nahezu gleichgeordneten Gefolgschaft des Himmelsgeistes[205]. Ein Chinese, der keinen männlichen Nachfahren hatte, mußte unbedingt zur Adoption schreiten, und wenn er dies unterließ, so nahm die Familie eine posthume fiktive Adoption für ihn vor[206], – weniger in seinem, als in ihrem eignen Interesse: um Ruhe vor seinem Geist zu haben. Die soziale Wirkung dieser alles beherrschenden Vorstellungen liegt klar zutage. Zunächst die ungeheure Stärkung der patriarchalen Gewalt[207]. Dann aber der Zusammenhalt der Sippe als solcher. In Aegypten, wo der Toten– aber nicht: der Ahnen-Kult alles beherrschte, zerbrach ebenso (aber ganz erheblich früher) wie in Mesopotamien der Zusammenhalt der Sippe unter dem Einfluß der Bürokratisierung und des Fiskalismus. In China erhielt und stärkte er sich und wuchs zu einer den politischen Herrengewalten ebenbürtigen Macht empor.

      Im Prinzip jede Sippe hatte (und zwar bis in die Gegenwart hinein) ihre Ahnenhalle[208] im Dorf. Außer den Kultparamenten enthielt sie oft eine Tafel der von der Sippe anerkannten »Moralgesetze«. Denn das Recht, sich selbst Statuten zu geben, war für die Sippe faktisch nie bezweifelt und wirkte nicht nur praeter, sondern – sogar in Ritualfragen – unter Umständen auch contra legem[209]. Die Sippe stand nach außen solidarisch zusammen. Existierte auch, außerhalb des Kriminalrechts, wie erwähnt, Solidarhaft nicht, so pflegte sie doch, wenn möglich, die Schulden eines Mitglieds zu ordnen. Unter Vorsitz des Aeltesten verhängte sie nicht nur Prügel und Exkommunikation – welche bürgerlichen Tod bedeutete – sondern, wie der russische Mir, auch Strafexil. Das oft starke konsumtive Leihebedürfnis wurde gleichfalls wesentlich innerhalb der Sippe befriedigt, wo die Nothilfe als sittliche Pflicht besitzender Mitglieder galt. Freilich mußte auch einem Nichtmitglied, bei hinlänglich vielen Kotaus, geliehen werden: denn man konnte nicht riskieren, die Rache des Geistes des Verzweifelnden, wenn er Selbstmord beging, auf sich zu ziehen[210]. Und freiwillig scheint niemand leicht zurückgezahlt zu haben, am wenigsten dann, wenn er eine starke Sippe hinter sich wußte. Immerhin: eine klar geregelte Nothilfepflicht und Kreditbeihilfe war primär nur innerhalb der Sippe gegeben. Die Sippe führte nötigenfalls Fehden nach außen[211]: die rücksichtslose Tapferkeit hier, wo es sich um persönliche Interessen und persönliche Verbundenheit handelte, kontrastierte auf das augenfälligste mit der vielberufenen »Feigheit« der aus gepreßten Rekruten oder aus Söldnern bestehenden Heere der Regierung. Die Sippe sorgte nötigenfalls für Medikamente, Arzt und Begräbnis, versorgte die Alten und Witwen, vor allen Dingen: die Schulen. Die Sippe besaß Eigentum, vor allem: Grundeigentum (»Ahnenland«: schi tien[212] und, bei wohlhabenden Sippen, oft umfangreiches Stiftungsland. Sie verwertete dies durch Verpachtung (meist durch Auktion auf 3 Jahre), Veräußerungen davon galten nur bei Dreiviertelmehrheit für zulässig. Der Ertrag wurde an die Hausväter verteilt. Typisch so: daß alle Männer und alle Witwen eine Einheit, vom 59. Jahr an zwei, vom 69. an drei Einheiten erhielten. Innerhalb der Sippe galt eine Kombination erbcharismatischer und demokratischer Prinzipien. Alle verheirateten Männer hatten gleiches Stimmrecht, die nichtverheirateten Männer nur beratende Stimmen, die Frauen waren, wie vom Erbe (sie hatten nur Mitgiftanspruch), so von den Sippenberatungen ausgeschlossen. Als Verwaltungsausschuß fungierten die Aeltesten, nach Erb stämmen, aber: von allen Sippengenossen als Wählern, jährlich gekoren, welche die Einkünfte einzuziehen, den Besitz zu verwerten

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<p>198</p>

Der »Hoppo« (Zollaufseher und Zollpächter) in Kanton war berühmt wegen seiner riesigen Akkumulationschancen: die Einkünfte des ersten Jahrs (200 000 Taëls) gingen auf das Amtskaufgeld, die des zweiten auf »Geschenke«, die des letzten, dritten, behielt er für sich (Rechnung des »North China Herald«).

<p>199</p>

So der Kern der Taiping-»Rebellen« (1850-64). Noch 1895 wurde der Hang Yi Tang, die Sippe des Stifters der Taiping-Religion, als geheime Gesellschaft verfolgt (Peking Gazette).

<p>200</p>

Z.B. (Conrady a.a.O.): Tschang hia tsung-»Dorf der Familie Tschang«.

<p>201</p>

Offiziell anerkannt blieb nur das Gericht der kaiserlichen Sippe über deren Mitglieder und: die Haus gewalt.

<p>202</p>

Vielleicht bestand beides – »genossenschaftliches« und »herrschaftliches« Männerhaus – regional nebeneinander, denn es ist andererseits richtig, daß die von Quistorp a.a.O. zusammengetragenen Notizen im ganzen mehr für das erstere sprechen. Immerhin: Der legendäre Kaiser Yau übergibt seinem Nachfolger Schun die Regierung im Ahnentempel. Ein Kaiser bedroht seine Vasallen mit dem Zorn ihrer Ahnen geister. Solche Beispiele, die bei Hirth (Anc. Hist. of China) zusammengestellt sind, ebenso: daß ein Ahnengeist des Kaisers bei Mißregierung erscheint und Rechenschaft fordert und die Rede des Kaisers Pang-kong im Schu-king (Legge p. 238) sprechen für die letztere Annahme. Reste von Totemismus zusammengestellt bei Conrady a.a.O. (nicht wirklich ganz überzeugend, wenn auch gewichtig).

<p>203</p>

Die schon erwähnte Schonung des letzten Nachfahren einer gestürzten Dynastie führt auf die Sorge zurück, deren – immerhin, als frühere Kaiser, mächtige – Ahnengeister nicht in Unruhe zu bringen. (Vgl. noch in der Peking Gazette vom 13. 4. und 31. 7. 83: – Beschwerde des Tschang Tuan, des Repräsentanten der Ming-Dynastie, über Bebauung des Ming-Ahnenlandes.) Ebenso die früher erwähnten offiziellen staatlichen Opfer für Geister von ohne Nachkommen Abgeschiedenen und – s. gleich – die Adoptionen.

<p>204</p>

S. die Rede des Fürsten von Tschou im Schu-king (Legge S. 175) und das Gebet für den kranken Kaiser an die Ahnen (nicht: den Himmel) das. S. 391 ff.

<p>205</p>

Daß der Himmelsgeist als »primus inter pares« behandelt wird, geht sehr deutlich aus den Belegen hervor, die de Groot (Universismus) dafür gibt. Die »Geister der Ahnen« waren es nach dem in der Peking Gazette vom 29. 9. 98 publizierten Reskript, welche die (damals) gescheiterten Reformversuche des Kaisers und Kang Yu Wei's verurteilten. – Neben dem eigenen Verdienst sieht der Himmel auch auf das Verdienst der Ahnen (de Groot, The Rel. of the Chin. N. Y. 1910, p. 27, 28). Daher wohl auch die konfuzianische Lehre: daß der Himmel die Sünden einer Dynastie eine Weile mit ansehe und erst bei gänzlicher Degeneration einschreite. Dies war natürlich eine leidlich bequeme »Theodizee«.

<p>206</p>

Es finden sich Fälle, in denen eine Adoption rückgängig gemacht wird, weil die Totenopfer des natürlichen Vaters gefährdet sind (Peking Gazette vom 26. 4. 78).

<p>207</p>

»Vatermord« galt als ein so furchtbares (mit »langsamem Tode« zu bestrafendes) Ereignis, daß der Gouverneur der betreffenden Provinz ebenso abgesetzt wurde, wie bei Naturkatastrophen (Peking Gazette vom 7. 8. 94). Daß ein Trunkenbold den Großvater erschlug, führte 1895 (Peking Gazette vom 12. 7.) zur Bestrafung auch des Vaters, der den Sohn nicht so erzogen habe, daß er »auch die strengsten Strafen des Aelteren duldete«.

<p>208</p>

Eventuell hatten Zweigsippen ihre »Unter-Ahnenhallen«.

<p>209</p>

Nach klassischem Ritual durfte die Adoption nur innerhalb der Sippe erfolgen. Die Familienstatuten verfügten aber darüber – auch inerhalb des gleichen Dorfes – ganz verschieden. Manche Abrogationen des alten Rituals hatten sich fast allgemein eingebürgert. So daß die Schwiegertochter jetzt nicht mehr nur – wie offiziell vorgeschrieben – um die Schwiegereltern, sondern auch um die eigenen Eltern trauerte. Ebenso, daß jetzt auch um die Mutter, nicht nur – wie offiziell – um den Vater »tiefe« Trauer stattfand.

<p>210</p>

Deshalb ist die Lesart von A. Merx: »μηδένα ἀπελπίζοντες« statt »μηδὲν ἀπελπίζοντες« so sehr wahrscheinlich: auch hier Angst vor dem »Schreien« zu Gott und, bei Selbstmord, dem »Geist« des Verzweifelten.

<p>211</p>

Anlaß dazu boten neben Steuerrepartierungen und Blutrache namentlich die Konflikte, die das Fung Schul: die Geomantik, zwischen Nachbarn hervorrief. Es wird später zu erwähnen sein, daß jeder Bau und, vor allem, jedes neue Grab den Ahnengeistern schon bestehender Gräber Schaden tun oder die Geister der Felsen, Bäche, Hügel usw. in Erregung setzen konnte. Solche Fehden waren dann oft wegen der auf beiden Seiten im Spiel befindlichen geomantischen Interessen fast unschlichtbar.

<p>212</p>

In der Peking Gazette z.B. Ankauf von 2000 Mou (à 5,62 ar) für 17 000 Taël. Ausdrücklich wird dabei neben den Opfern auch 1. Witwen- und Waisenunterstützung, – 2. Unterhaltung der Schule für die Kinder aus den Renten erwähnt (14. 12. 83).