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– was für den Geist entscheidend ist – die Könige siegen schon im Schi-king nicht, weil sie die größeren Helden sind, sondern weil sie vor dem Himmelsgeist sich moralisch im Recht befinden und ihre charismatischen Tugenden die überlegenen, die Feinde aber gottlose Verbrecher sind, welche sich am Wohle ihrer Untertanen durch Bedrückung und Verletzung der alten Sitten versündigt haben und so ihr Charisma verwirkten. Zu moralisierenden Betrachtungen hierüber weit mehr als zu heldenhafter Siegesfreude gibt der Sieg Veranlassung. Im Gegensatz zu den heiligen Schriften fast aller anderen Ethiken fällt ferner sofort das Fehlen jeder irgendwie »anstößigen« Aeußerung, jedes auch nur denkbarerweise »unschicklichen« Bildes auf. Hier hat offensichtlich eine ganz systematische Purifikation stattgefunden und diese dürfte wohl die spezifische Leistung des Konfuzius sein. Die pragmatische Umprägung der alten Ueberlieferung in der Annalistik, wie sie die amtliche Historiographie und die Literaten produzierten, ging über die im Alten Testament, etwa im »Buch der Richter«, vorgenommene priesterliche Paradigmatik offenbar hinaus. Die Chronik, deren Verfasserschaft besonders ausdrücklich dem Konfuzius selbst zugeschrieben wird, enthält die denkbar dürrste und sachlichste Aufzählung von Kriegszügen und Rebellenbestrafungen, in dieser Hinsicht vergleichbar etwa den assyrischen Keilschriftprotokollen. Wenn Konfuzius wirklich die Meinung ausgesprochen haben sollte: man werde sein Wesen aus diesem Werke besonders deutlich erkennen – wie die Ueberlieferung sagt –, dann müßte man wohl der Ansicht derjenigen (chinesischen und europäischen) Gelehrten zustimmen, wel che dies dahin verstehen: eben diese systematische pragmatische Korrektur der Tatsachen unter dem Gesichtspunkt der »Schicklichkeit«, welche sie dargestellt haben muß (für die Zeitgenossen – denn für uns ist der pragmatische Sinn meist undurchsichtig geworden[250] –), sei das Charakteristische gewesen. Fürsten und Minister der Klassiker handeln und reden als Paradigmata von Regenten, deren ethisches Verhalten der Himmel belohnt. Das Beamtentum und sein Avancement nach Verdienst ist Gegenstand der Verklärung. Es herrscht zwar noch Erblichkeit der Fürstentümer und zum Teil auch der lokalen Aemter als Lehen, aber mindestens für die letzteren wurde dies System von den Klassikern skeptisch betrachtet und galt letztlich als nur provisorisch. Und zwar in der Theorie auch einschließlich der Erblichkeit der Kaiserwürde selbst. Die idealen legendären Kaiser (Yau und Schun) designieren ihre Nachfolger (Schun und Yü) ohne Rücksicht auf Abkunft aus dem Kreise ihrer Minister und über den Kopf ihrer eigenen Söhne lediglich nach ihrem, von den höchsten Hofbeamten bescheinigten, persönlichen Charisma, und ebenso alle ihre Minister, und erst der dritte von ihnen, Yü, designiert nicht seinen ersten Minister (Y), sondern seinen Sohn (Ki).

      Eigentliche Heldengesinnung sucht man in den meisten klassischen Schriften (ganz im Gegensatz zu den alten echten Dokumenten und Monumenten) vergebens. Die überlieferte Ansicht des Konfuzius geht dahin: daß Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit sei und ein unangebrachtes Einsetzen seines eigenen Lebens dem Weisen nicht zieme. Die tiefe Befriedung des Landes zumal seit der Mongolenherrschaft hat diese Stimmung sehr gesteigert. Das Reich wurde nunmehr ein Reich des Friedens. »Gerechte« Kriege gab es in seinen Grenzen, da es ja als Einheit galt, nach Mencius überhaupt nicht. Die Armee war im Verhältnis zu seinem Umfang schließlich geradezu winzig geworden. Daß die Kaiser nach Loslösung der Literatenschulung vom Zusammenhang mit der ritterlichen Bildung neben den literarischen Staatsprüfungen auch sportliche und literarische Wettkämpfe um Militärdiplome[251] beibehielten – deren Erlangung übrigens seit langem mit der wirklichen Militärkarriere in fast keinem Zusammenhang mehr stand[252] –, hatte daran nichts geändert, daß der Militärstand ebenso verachtet blieb wie in England seit zwei Jahrhunderten, und daß ein literarisch Gebildeter mit Offizieren nicht auf gleichem Fuß verkehrte[253].

      Der Mandarinenstand, aus deren Mitte sich alle Klassen der chinesischen Zivilbeamten rekrutierten, war in der Zeit der Einheitsmonarchie eine Schicht diplomierter Pfründenanwärter geworden, deren Amtsqualifikation und Rang nach der Zahl der bestandenen Prüfungen sich richtete. Diese Prüfungen gliederten sich in drei Hauptstufen[254], welche jedoch zufolge der Zwischen-, Wiederholungs- und Vorprüfungen, sowie der zahlreichen Sonderbedingungen um ein vielfaches vermehrt wurden: es gab allein zehn Arten von Prüflingen ersten Grades. »Wieviel Examina er bestanden habe?«, war die Frage, welche an einen Fremden, dessen Rang unbekannt war, gestellt zu werden pflegte. Nicht: wieviele Ahnen man hatte, bestimmte also – trotz des Ahnenkults – den sozialen Rang. Vielmehr genau umgekehrt: vom eigenen amtlichen Rang hing es ab, ob man einen Ahnentempel (oder, wie die Illiteraten, nur eine Ahnentafel) haben und wieviel Ahnen darin erwähnt werden durften[255]. Selbst der Rang eines Stadtgottes im Pantheon hing von dem Rang des Mandarinen der Stadt ab.

      Der konfuzianischen Zeit (6./5. Jahrh. n. Chr.) war diese Möglichkeit des Aufstiegs zu Beamtenstellen und vollends das Prüfungswesen noch unbekannt. Die »großen Familien« waren, wie es scheint, in den Feudalstaaten zum mindesten in aller Regel im Besitz der Macht. Erst die Han-Dynastie, – selbst durch einen Parvenü begründet, – stellte den Grundsatz der Verleihung der Aemter nach der Tüchtigkeit auf. Und erst die Tang-Dynastie schuf (690 n. Chr.) das Reglement für die Prüfung höchsten Grades. Es darf – wie schon gesagt – als höchstwahrscheinlich gelten, daß die literarische Bildung, vielleicht von Einzelausnahmen abgesehen, zunächst faktisch und vielleicht auch rechtlich ebenso Monopol der »großen Familien« blieb, wie die vedische Bildung in Indien. Reste davon bestanden bis zuletzt. Die Kaisersippe war zwar nicht von allen Prüfungen, wohl aber von der Prüfung ersten Grades entbunden. Und die Bürgen, welche jeder Prüfungskandidat zu stellen hatte, mußten bis zuletzt auch seine Abstammung aus »guter Familie« bezeugen (was in der Neuzeit nur den Ausschluß der Abkömmlinge von Barbieren, Bütteln, Musikern, Hausdienern, Trägern usw. bedeutete). Aber daneben bestand das Institut der »Mandarinats-kandidaten«: Abkömmlinge von Mandarinen genossen bei der Kontingentierung der Maximalzahl der Prüflinge der Provinzen eine Sonder- und Vorzugsstellung. Die Promotionslisten brauchten die offizielle Formel »aus einer Mandarinenfamilie und aus dem Volk«. Die Söhne verdienter Beamter hatten den untersten Grad als Ehrentitel: alles Reste älterer Zustände.

      Wirklich voll durchgeführt seit Ende des 7. Jahrhunderts, war das Prüfungswesen eines der Mittel, durch welche der Patrimonialherrscher die Bildung eines ihm gegenüber geschlossenen Standes, der das Recht auf die Amtspfründen nach Art der Lehensleute und Ministerialen monopolisiert hätte, zu hindern wußte. Seine ersten Spuren scheinen sich in dem später alleinherrschend gewordenen Teilstaat Tsin etwa in der Zeit des Konfuzius (und Huang Kong) zu finden: wesentlich nach militärischer Tüchtigkeit bestimmte sich die Auslese. Indessen schon das Li Ki und Tschou Li[256] verlangen ganz rationalistisch: daß die Bezirkschefs ihre Unterbeamten periodisch auf ihre Moral hin prüfen, um sie danach dem Kaiser zum Avancement vorzuschlagen. Im Einheitsstaat der Han begann der Pazifismus die Richtung der Auslese zu bestimmen. Die Macht des Literatenstandes konsolidierte sich ganz gewaltig, seit es ihm (21 n. Chr.) gelungen war, gegen den populären »Usurpator« Wang mang den korrekten Kuang wu auf den Thron zu erheben und zu erhalten. In den später zu besprechenden wütenden Pfründenkämpfen der Folgezeit schloß er sich ständisch zusammen.

      Nachdem die noch heut vom Glanz: der eigentliche Schöpfer von Chinas Größe und Kultur gewesen zu sein, umstrahlte Tang-Dynastie die Stellung der Literaten erstmalig reglementiert und Kollegien für die Ausbildung eingerichtet (7. Jahrhundert), auch das Han lin yüan, die sog. »Akademie«, zunächst zur Redaktion der Annalen für die Gewinnung von Präzedenzien, und an deren Hand: Kontrolle der Korrektheit des Kaisers, geschaffen hatte, wurden nach den Mongolenstürmen durch die nationale Ming-Dynastie im 14. Jahrhundert die, im wesentlichen, abschließenden Statuten erlassen[257]. In jedem Dorf sollte auf je 25 Familien eine Schule gegründet werden. Da sie nicht subventioniert wurde, blieb dies toter Buchstabe, – oder vielmehr: wir sahen früher, welche Gewalten sich der Schule bemächtigten. Beamte wählten die besten Schüler aus und nahmen sie in bestimmter Zahl in die – in der Hauptsache verfallenen, zum Teil neu entstandenen – Kollegien auf. 1382 wurden für diese »Studenten« Reisrente-Pfründen

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<p>250</p>

Einzelne Verschweigungen (z.B. der Angriff des Staates U gegen seinen eigenen Staat Lu) stehen fest. Aber im übrigen ist angesichts der Dürftigkeit ernstlich die Frage aufgeworfen worden, ob nicht vielmehr der große, stark moralisierende Kommentar zu jenen Annalen als sein Werk zu gelten habe.

<p>251</p>

Die Kaiserin-Regentin vermerkte noch 1900 den Antrag eines Zensors auf Abschaffung sehr ungnädig. Vgl. die Reskripte über die »orthodoxe Armee« (vom 10. 1. 99), über die »Besichtigung« während des japanischen Krieges (vom 21. 12. 94), über die Bedeutung der Militärgrade (vom 1. und 10. 11. 98 und aus älterer Zeit z.B. vom 23. 5. 78) in der Peking Gazette.

<p>252</p>

S. über die Praxis: Etienne Zi S. J., Pratique des Examens Militaires en Chine (Variétés Sinologiques Heft 9). Prüfungsgegenstände waren Bogenschießen, gewisse gymnastische Kraftproben und früher die Herstellung einer Dissertation, seit 1807 aber die Niederschrift eines Abschnitts von 100 Buchstaben aus dem U-King (Kriegstheorie), angeblich aus der Zeit der Tschou-Dynastie. Sehr viele Offiziere erwarben keine Grade, die Mandschus waren davon überhaupt befreit.

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Ein kaiserliches Reskript (Peking Gazette vom 17. 9. 94) bemerkt mit Bezug auf eine Beschwerde gegen einen aus dem Offizierstand wegen militärischer Verdienste in die Zivillaufbahn übernommenen Taotai (Präfekten), obwohl dessen Verhalten in der fraglichen Angelegenheit sachlich einwandfrei gefunden wird, dennoch: er habe seine »rauhen Soldatenmanieren« in der Art und Weise seines Betragens gezeigt, »und wir müssen uns fragen, ob er die kultivierten Manieren besitzt, welche bei jemandem von seinem Rang und Stellung unumgänglich erscheinen müssen«. Es wird daher empfohlen, daß er wieder eine Militärstellung übernehmen möge. – Die Abschaffung des uralten Bogenschießens und anderer sehr alter Sports als Bestandteile der »militärischen« Ausbildung war durch das in seinen Anfängen wohl noch an das »Männerhaus« anknüpfende Ritual fast unmöglich gemacht. Auf dies bezieht sich denn auch die Kaiserin bei ihrer Ablehnung der Reformanträge.

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Von den französischen Autoren wird seng yuen, siu tsai meist mit »Baccalaureat«, kiu jin mit »Lizenziatur« tien se mit »Doktorat« bezeichnet. Der unterste Grad gab nur den besten Prüflingen das Anrecht auf ein Studienstipendium. Diese stipendierten Bakkalaureen hießen lin scheng (»Magazinpfründner«), die vom Direktor ausgelesenen und nach Peking geschickten pao kong, die aus ihnen zur Studienanstalt zugelassenen yu kong, dagegen die durch Kauf in den Besitz des Bakkalaureen-Grades gelangten kien scheng.

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Die charismatischen Qualitäten des Nachkommen bildeten eben einen Beweis für diejenigen seiner Sippe, also der Vorfahren. Schi Hoang Ti hatte s.Z. diese Sitte abgeschafft, da der Sohn nicht über den Vater richten solle. Aber fast jeder neue Dynastiegründer hat seitdem Ränge an seine Ahnen verliehen.

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Beiläufig: ein ziemlich sicheres Sympton für dessen Jugend!

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Vgl. hierzu: Biot, Essai sur l'histoire de l'instruction publique en Chine et de la corporation des Lettrés, Paris 1847 (noch immer nützlich).