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lieferte schon damals gebildetere, weil aus der umfassenderen Umwelt stammende, Examensanwärter; aber der Norden war militärisch der Grundstein des Reichs. Der Kaiser griff also ein und bestrafte (!) Examinatoren, die einen Südländer als »Primus« placiert hatten. Es entstanden gesonderte Listen für Nord und Süd. Aber es entstand ferner auch sofort: der Kampf um die Amts patronage. Schon 1387 wurden besondere Examina für Offiziers-Söhne bewilligt. Die Offiziere und Beamten gingen aber weiter und verlangten die Befugnis der Nachfolgerdesignation (also: die Re-Feudalisierung). 1393 wurde dies konzediert, aber schließlich doch nur in der Form: daß die Präsentaten den Vorzug bei Aufnahme in die Kollegien haben und Pfründen für sie reserviert werden sollten: 1465 für drei Söhne, 1482 für einen Sohn. Einkauf in die Kollegien (1453) und Aemter (1454) trat im 15. Jahrhundert bei militärischem Geldbedarf, wie stets, auf, wurde 1492 abgeschafft, 1529 wieder eingeführt. Ebenso kämpften die Ressorts. Das Ressort der Riten examinierte (seit 736), das Ressort der Aemter aber stellte an. Boykott der Examinierten durch letzteres und Examensstreiks durch ersteres als Antwort waren nicht ganz selten. Formal war der Ritenminister, material der Aemterminister (Hausmeier) zuletzt der mächtigste Mann in China. Es kamen nun Kaufleute in die Aemter, von denen man sich – sehr zu Unrecht natürlich – erhoffte, daß sie minder »geizig« sein würden[258]. Die Mandschus begünstigten die alten Traditionen, damit die Literaten und – soweit möglich – die »Reinheit« der Aemterbesetzung. Aber nach wie vor bestanden nebeneinander die drei Wege: 1. kaiserliche Gnade für die Söhne der »Fürsten«-Familien (Examensprivilegien), – 2. leichte Prüfung (alle 3-6 Jahre offiziell) für die Unter beamten durch die höheren mit Patronage dieser, wobei dann das Aufrücken auch in die höheren Stellen unvermeidlich stets neu eintrat, – 3. effektive reine Examensqualifikation: der einzige legale Weg.

      Seine vom Kaiser ihm zugedachten Funktionen hat das Prüfungswesen in der Hauptsache wirklich erfüllt. Die gelegentlich (1372) dem Kaiser – man kann denken: von woher – als Konsequenz des orthodoxen Tugendcharismas suggerierte Konsequenz: daß man das Examen abschaffen müsse, da nur die Tugend legitimiere und qualifiziere, wurde schnell wieder verlassen. Ganz begreiflich: beide Teile – Kaiser und Graduierte – fanden schließlich doch ihren Vorteil dabei oder glaubten dies doch. Vom Standpunkt des Kaisers aus entsprach das Examen durchaus der Rolle, welche das Mjestnitschestwo des russischen Despotismus – ein im übrigen technisch heterogenes Mittel – für Rußlands Adel gespielt hat. Es hat tatsächlich durch den Konkurrenzkampf der Pfründensuchenden um die Aemter, welcher jeden Zusammenschluß zu einem Amtsadel feudalen Charakters ausschloß, und durch die Offenhaltung des Zutritts zum Pfründenanwärterstand für jedermann, der die Bildungsqualifikation nachwies, seinen Zweck durchaus erfüllt.

      Uns interessiert jetzt die Stellung dieses Bildungswesens innerhalb der großen Typen der Erziehung. Eine soziologische Typologie der pädagogischen Zwecke und Mittel kann freilich hier nicht im Vorbeigehen gegeben werden. Einige Bemerkungen darüber sind aber vielleicht am Platze.

      Die beiden äußersten historischen Gegenpole auf dem Gebiete der Erziehungs zwecke sind: Erweckung von Charisma (Heldenqualitäten oder magischen Gaben) einerseits, – Vermittlung von spezialistischer Fachschulung andererseits. Der erste Typus entspricht der charismatischen, der letzte der rational bureaukratischen (modernen) Struktur der Herrschaft. Beide stehen nicht beziehungs- und übergangslos einander gegenüber. Auch der Kriegsheld oder Magier bedurfte der Fachschulung. Auch dem Fachbeamten pflegt nicht nur Wissen angeschult zu werden. Aber sie sind Gegenpole. Zwischen diesen radikalsten Gegensätzen stehen alle jene Erziehungstypen mitten inne, welche eine bestimmte Art einer, sei es weltlichen oder geistlichen, in jedem Falle aber: einer ständischen, Lebensführung dem Zögling ankultivieren wollen.

      Die charismatische Zucht der alten magischen Askese und die Heldenproben, welche Zauberer und Kriegshelden mit dem Knaben vornahmen, wollten dem Novizen zu einer im animistischen Sinne »neuen Seele«: zu einer Wiedergeburt also, verhelfen; in unserer Sprache ausgedrückt: eine Fähigkeit, die als rein persönliche Gnadengabe galt, nur wecken und erproben. Denn ein Charisma kann man nicht lehren oder anerziehen. Es ist im Keim da oder wird durch ein magisches Wiedergeburtswunder eingeflößt, – sonst ist es unerreichbar. Die Facherziehung will die Zöglinge zu praktischer Brauchbarkeit für Verwaltungszwecke: – im Betrieb einer Behörde, eines Kontors, einer Werkstatt, eines wissenschaftlichen oder industriellen Laboratoriums, eines disziplinierten Heeres, – abrichten. Das kann man, sei es auch in verschiedenem Grade, prinzipiell mit einem jeden vornehmen. Die Kultivationspädagogik schließlich will einen, je nach dem Kulturideal der maßgebenden Schicht verschieden gearteten, »Kulturmenschen«, das heißt hier: einen Menschen von bestimmter innerer und äußerer Lebensführung, erziehen. Auch das kann, prinzipiell, mit jedem geschehen. Nur das Ziel ist verschieden. Ist eine ständisch abgesonderte Kriegerschicht der ausschlaggebende Stand, – wie in Japan –, so wird die Erziehung einen die Federfuchserei, wie der japanische Samurai es tat, verachtenden höfisch stilisierten Ritter, im Einzelfalle sehr verschiedenen Gepräges, – ist es eine Priesterschicht, so wird sie einen Schriftgelehrten oder doch einen Intellektuellen, ebenfalls sehr verschiedenen Gepräges, aus dem Zögling zu machen trachten. Die zahlreichen Kombinationen und Zwischenglieder – denn in Wahrheit kommt keiner dieser Typen jemals rein vor – können bei dieser Gelegenheit nicht erörtert werden. Hier kommt es auf die Stellung der chinesischen Erziehung innerhalb dieser Formen an. Die Reste der urwüchsig charismatischen Wiedergeburts-Erziehung; der Milchname, die (früher kurz erörterte) Jünglingsweihe, der Namenswechsel des Bräutigams usw. waren längst zur Formel (nach Art unserer Konfirmation) geworden neben der von der politischen Gewalt monopolisierten Prüfung der Bildungsqualifikation. Diese aber war, wenn man auf die Bildungsmittel sieht, eine »Kultur«-Qualifikation im Sinne einer allgemeinen Bildung, von einer ähnlichen, aber noch spezifischeren Art, als etwa die überkommene okzidentale humanistische Bildungsqualifikation, welche bei uns, bis vor kurzem fast ausschließlich, den Eintritt in die Laufbahn zu den mit Befehlsgewalt in der bürgerlichen und militärischen Verwaltung ausgerüsteten Aemtern vermittelte und die dazu heranzuschulenden Zöglinge zugleich auch als sozial zum Stande der »Gebildeten« gehörig abstempelte. Nur ist bei uns – darin liegt der sehr wichtige Unterschied des Okzidents gegen China – neben und zum Teil an Stelle dieser ständischen Bildungsqualifikation die rationale Fach abrichtung getreten.

      Die chinesischen Prüfungen stellten nicht, wie die modernen, rational bureaukratischen Prüfungsordnungen unserer Juristen, Mediziner, Techniker usw., eine Fachqualifikation fest. Andererseits aber auch nicht den Besitz eines Charisma, wie die typischen Erprobungen der Magier und Männerbünde. Wir werden freilich bald sehen, welcher Einschränkungen dieser Satz bedarf. Immerhin galt er wenigstens für die Technik der Prüfungen. Diese ermittelten den Besitz literarischer Durchkultivierung und der daraus folgenden, dem vornehmen Manne angemessenen Denkweise. Dies war in weit spezifischerem Grade als bei unseren humanistischen Gymnasien der Fall, deren Zweck man heute meist praktisch: durch die formale Schulung an der Antike, rechtfertigt. Soweit die bei den Prüfungen den Schülern gestellten Aufgaben schließen lassen, hatten diese auf den Unterstufen[259] etwa den Charakter von Aufsatzthemen in einer Prima eines deutschen Gymnasiums oder, vielleicht noch richtiger, der Selekta einer höheren deutschen Töchterschule. Alle Stufen sollten Proben der Schreibkunst, der Stilistik, der Beherrschung der klassischen Schriften[260], endlich aber – ähnlich etwa wie bei uns im Religions-, Geschichts- und deutschen Unterricht – Proben einer einigermaßen vorschriftsmäßigen Gesinnung[261] sein. Der einerseits rein weltliche, andererseits aber an die feste Norm der orthodox interpretierten Klassiker gebundene und höchst exklusiv literarische, buchmäßige, Charakter dieser Bildung war dabei das für unsere Zusammenhänge Entscheidende.

      In Indien, im Judentum, Christentum und Islam war der literarische Charakter der Bildung Folge davon, daß sie ganz in die Hände der literarisch gebildeten Brahmanen und Rabbinen oder der berufsmäßig literarisch geschulten Geistlichen und Mönche von Buchreligionen geraten war. Der hellenische vornehme Gebildete dagegen war und blieb in erster Linie Ephebe und Hoplit, solange die Bildung hellenisch – und nicht »hellenistisch« –

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<p>258</p>

Klagen bei Ma Tuan Lin, übers. bei Biot p. 481.

<p>259</p>

Themata für diese führt Williams an. Vgl. Zi a.a.O.

<p>260</p>

Dies namentlich bei den Prüfungen der Mittel-(»Lizentiaten«-) Stufe wo das Thema der Dissertation oft (vgl. das Beispiel bei Zi a.a.O. p. 144) eine gelehrte, literarhistorische und philologische Analyse des betreffenden klassischen Textes forderte.

<p>261</p>

Dies namentlich bei der höchsten (»Doktorats«-) Stufe, für welche oft der Kaiser persönlich die Themata stellte und die Klassierung der Absolventen vornahm. Administrative Opportunitätsfragen, mit Vorliebe anknüpfend an eine der »sechs Fragen« des Kaisers Tang (Biot S. 209 Anm. 1), waren dabei übliche Themata (s. ein solches bei Zi a.a.O. p. 209 Anm. 1).