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ittlichkeit. Und in noch schärferem Kontrast zu ihm war er: Anpassung an die Welt, ihre Ordnungen und Konventionen, ja, letztlich eigentlich nur ein ungeheurer Kodex von politischen Maximen und gesellschaftlichen Anstandsregeln für gebildete Weltmänner. Die kosmischen Ordnungen der Welt waren ja fest und unverbrüchlich, und nur ein Sonderfall von ihnen waren die Ordnungen der Gesellschaft. Die kosmischen Ordnungen der großen Geister wollten offensichtlich das Glück der Welt und insbesondere der Menschen. Die Ordnungen der Gesellschaft ebenso. Die »glückliche« Ruhe des Reiches und das Gleichgewicht der Seele sollte und konnte also nur durch Einordnung in jenen in sich harmonischen Kosmos erreicht werden. Gelang diese im Einzelfalle nicht, so war menschlicher Unverstand, und zwar vor allem: ordnungswidrige Leitung des Staats und der Gesellschaft, daran schuld So wurde etwa in einem Edikt (im 19. Jahrhundert) das Vorherrschen schlechter Winde in einer Provinz darauf zurückgeführt, daß die Bevölkerung gewisse polizeiliche Pflichten (Auslieferung Verdächtiger) versäumt und dadurch die Geister in Unruhe versetzt habe, oder: daß Prozesse verschleppt werden. Die charismatische Auffassung von der Kaisergewalt und der Identität von Ordnung im Kosmos und in der Gesellschaft bedingte diese Grundvoraussetzung. Auf das Verhalten der Menschen, welche für die Leitung der als eine große patrimonial regierte Gemeinschaft gedachten Gesellschaft verantwortlich waren: der Beamten, kam daher alles an. Die bildungslose Masse des Volkes sollte der Monarch als Kinder behandeln. Materielle und ideelle Fürsorge für die Beamtenschaft dagegen und eine gute und achtungsvolle Beziehung zu ihr gehörte zu seinen ersten Pflichten. Der einzelne Privatmann aber diente dem Himmel am besten durch Entwicklung seiner eigenen wahren Natur, die unfehlbar das in jedem Menschen verborgene Gute zum Vorschein bringen werde. Alles war also ein Erziehungsproblem mit dem Ziel der Selbstentwicklung aus der eigenen Anlage heraus. Es gab das »radikal Böse« nicht, – man muß bis in das 3. Jahrhundert vor Chr. zurückgehen, um Philosophen zu finden, welche die heterodoxe Lehre von der ursprünglichen Verderbtheit des Menschen vertraten[305] –, sondern nur: Fehler, und diese als Folge ungenügender Bildung. Die Welt, insbesondere die soziale Welt, war, so wie sie ist, gewiß ebensowenig vollkommen wie die Menschen: – es gab eben die bösen Dämonen neben den guten Geistern, – aber sie war so gut wie sie es eben nach dem jeweiligen Bildungsstande der Menschen und nach der charismatischen Qualität der Herrscher sein konnte. Ihre Ordnungen waren ein Produkt rein natürlicher Entwicklung der Kulturbedürfnisse, der unvermeidlichen Arbeitsteilung und der daraus folgenden Interessenkollisionen. Oekonomische und sexuelle Interessen waren nach der realistischen Auffassung des Meisters die grundlegenden Triebfedern des menschlichen Handelns. Daher waren nicht kreatürliche Verderbtheit und kein »Sündenstand« der Grund auch der als schlechthin gegeben hingenommenen Notwendigkeit von Zwangsgewalt und sozialer Unterordnung. Sondern – in sehr realistischer Art – ein schlichter ökonomischer Sachverhalt: die Knappheit der gegebenen Subsistenzmittel im Verhältnis zu den immer weiter vermehrbaren Bedürfnissen, woraus ohne die Zwangsgewalt der Krieg aller gegen alle folgen würde. Die Zwangsordnung als solche, die Besitzdifferenzierung und die ökonomischen Interessenkämpfe waren daher prinzipiell gar keine Probleme.

      Der Konfuzianismus war – obwohl die Schule auch eine Kosmogonie entwickelt hat – an sich von jedem metaphysischen Interesse in sehr hohem Grade frei. Nicht minder bescheiden waren die wissenschaftlichen Ansprüche der Schule. Die Entwicklung der Mathematik, einst bis zu trigonometrischen Erkenntnissen vorgeschritten[306], verfiel früh, weil sie nicht gepflegt wurde[307]. Konfuzius selbst hat offenbar von der Präzession der Aequinoktien, die in Vorderasien längst bekannt war, nichts gewußt[308]. Das Amt des Hofastronomen (d.h. des Kalenderordners, wohl zu scheiden von dem Hofastrologen, der zugleich Annalist und einflußreicher Berater war) ging, als Träger von Geheimwissen, im Erbgang über; aber irgend erhebliche Kenntnisse können kaum entwickelt worden sein, wie der große Erfolg der Jesuiten mit ihren europäischen Instrumenten beweist. Die Naturwissenschaften im ganzen blieben rein empirisch. Von dem alten botanischen (= pharmakologischen) Werk, angeblich eines Kaisers, scheinen nur Zitate erhalten. Den historischen Disziplinen kam die Bedeutung der alten Zeit zugute. Die archäologischen Leistungen scheinen im 10. und 12. Jahrhundert auf der Höhe gestanden zu haben, ebenso wie, bald nachher, die Kunst der Annalistik. Einen Fach juristen stand zur Besetzung der Aemter zu schaffen, hat Wang-An-Schi vergebens versucht. Für andere als rein antiquarische oder rein praktische Gegenstände interessierte sich jedenfalls gerade der orthodoxe Konfuzianismus nicht. (Die Einschränkung dieser Behauptung ergibt sich aus dem unter Nr. VII Gesagten.)

      Seine grundsätzliche Stellung zur Magie war also die: daß er, sowenig wie die Juden, Christen und Puritaner die Realität der Magie bezweifelte (man hat auch in Neu-England Hexen verbrannt). Aber die Magie hatte keine Heils bedeutung: Das war das Entscheidende. Wie bei den Rabbinen der Satz galt: »für Israel gelten keine Planeten«, d.h. die astrologische Determiniertheit ist machtlos gegen Jahwes Willen für den Frommen, so im Konfuzianismus der entsprechende: die Magie ist machtlos gegen die Tugend: Der klassisch Lebende hat die Geister nicht zu fürchten, nur Untugend (Hochstehender) gibt ihnen Macht.

      Vollends die Kontemplation des buddhistischen Heiligen und seiner taoistischen Nachahmer lag ihm gänzlich fern. Nicht ohne polemische Spitze gegen den mystischen Taoismus Laotse's läßt die Tradition den Meister es ablehnen, »im Verborgenen zu leben und Wunder zu tun, um dann bei späteren Geschlechtern Nachruhm zu ernten«. Die Stellungnahme zu einigen der großen Weisen der Vergangenheit, welche sich nach der Tradition in die Einsamkeit zurückzogen, mußte dabei freilich etwas gewunden werden: nur aus dem schlecht regierten Staat dürfe man sich zurückziehen. Im übrigen verheißt – die einzige scheinbar auf mystische Grundlagen deutende Wendung – der Meister gelegentlich als Lohn der vollendeten Tugend die Gabe der Kenntnis der Zukunft. Sieht man näher zu, so handelt es sich aber nur um die Fähigkeit, Omina richtig zu deuten, also: nicht hinter den berufsmäßigen Divinationspriestern zurückzubleiben. Die schon erwähnte, in der ganzen Welt verbreitete einzige »messianische« Hoffnung auf einen künftigen Musterkaiser (dem, nach Rezeption dieser Märchenfigur, der Phönix vorangehen sollte)[309], war volkstümlichen Ursprungs und wurde vom Konfuzianismus weder verworfen noch angetastet. Denn diesen interessierten lediglich die Dinge dieser Welt, wie sie einmal war.

      Der konventionell Gebildete wird die alten Zeremonien mit gebührendem und erbaulichem Anstand mit machen, ebenso wie er alle seine Handlungen, einschließlich der physischen Gesten und Bewegungen, nach den ständischen Sitten und den Geboten der »Schicklichkeit« – ein konfuzianischer Grundbegriff! – in Höflichkeit und Anmut regelt. Die Quellen verweilen gern bei der Schilderung, wie der Meister, in den vom Standpunkt der Etikette kompliziertesten Situationen, alle Beteiligten dem Range gemäß weltmännisch zu begrüßen und sich dabei in vollendeter Eleganz zu bewegen wußte. Der in sich und in bezug auf die Gesellschaft harmonisch abgestimmte und ausgeglichene »höhere (›fürstliche‹, ›vornehme‹) Mensch« – jener in vielen überlieferten Aeußerungen des Meisters wiederkehrender Zentralbegriff–benimmt sich in jeder gesellschaftlichen Lage, sei sie hoch oder niedrig, dieser entsprechend und ohne seiner Würde etwas zu vergeben. Ihm eignet beherrschte Gelassenheit und korrekte Contenance, Anmut und Würde im Sinne eines zeremoniell geordneten höfischen Salons. Also, im Gegensatz zu der Leidenschaft und Ostentation des feudalen Kriegers im alten Islam: wache Selbstbeherrschung, Selbstbeobachtung und Reserve, vor allem: Unterdrückung der Leidenschaft, die in jeder Form, auch der der Freude, das Gleichgewicht der Seele und ihre Harmonie, die Wurzel alles Guten, stört. Also die Loslösung nicht, wie im Buddhismus, von allem, aber von allem irrationalen Begehren, nicht, wie im Buddhismus, um der Erlösung von der Welt, sondern um der Einfügung in die Welt willen. Der Gedanke einer Erlösung fehlte der konfuzianischen Ethik natürlich völlig. Weder von der Seelenwanderung noch von jenseitigen Strafen (die beide der Konfuzianismus nicht kannte), noch vom Leben (das er bejahte), noch von der gegebenen sozialen Welt (deren Chancen er durch Selbstbeherrschung klug zu meistern gedachte), noch vom Bösen oder einer Erbsünde (von der er nichts wußte), noch von irgend etwas sonst, außer: von der würdelosen Barbarei der gesellschaftlichen Ungeschliffenheit, begehrte der Konfuzianer »erlöst« zu werden. Und als »Sünde« konnte ihm nur die Verletzung der einen sozialen

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Und diese mit der höchst unchristlichen Schlußfolgerung: daß das Gute im Menschen Kunstprodukt der Kultur sei, also im Resultat mit noch emphatischerer Bejahung der »Welt« der »Kultur«, vor allem: der Bedeutung der Erziehung, als selbst die orthodoxe Lehre.

Immerhin scheinen sich einige ihr eigene metaphysische Aufstellungen angeben zu lassen (vgl. F. Farje nel im Journ. Asiat. G. Soc. 20, 1902, p. 113 ff.) Ewigkeit der Materie, deren geistiges Prinzip (ai-ki), pantheistisch als Prinzip der Güte gedacht, die Welt hervorbringt, – logisch, wie es scheint, mit wenig Konsequenz seit dem 11. Jahrhundert durch eine orthodoxe Kommentatorenschule vertreten. Im übrigen wird angenommen, daß schon Konfuzius die später von Se Ma Tsien vertretene astrologisch unterbaute Kosmogonie (die 5 Elemente folgen aufeinander in Gestalt der alten Herrscher) geglaubt habe (so Chavannes, Vorrede zu Band I seiner Ausgaben Se Ma Tsien's, Paris 1895, p. CXLIII). Davon später.

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Der angeblich im 6. Jahrhundert in der chinesischen Arithmetik bekannte Stellenwert der Zahlen (s. J. Edkins, Local value in Chin. Arithm. Not., Journ. of the Peking Or. Soc. I, Nr. 4, p. 161 f., der seine Kenntnis auf Babylon –? – zurückführt) bleibt problematisch. Im 19. Jahrhundert benutzte man den Abacus mit Lokalwert der Kugeln, wie schon gesagt.

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Immerhin gab es bis in die Gegenwart unter den neun Fächern des fakultativen Zusatzexamens, dem man sich teils zur Erlangung vorzugsweiser Beförderung, teils als Versicherung für den Fall der Degradation unterziehen konnte, auch Mathematik als Prüfungsgegenstand.

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So Eitel, China Review XVIII, p. 266. Der babylonische Ursprung der altchinesischen Kultur ist gleichwohl von T. de Lacouperie (Western Origin of the ancient Chin. civil., London 1894) vertreten worden.

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S. das Schih Luh Kuoh Kiang Yu Tschi, übersetzt von Michels, p. XXI der »Notes« zum Kommentar.