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Plan) ist der technische Ausdruck dafür – Chinas gewesen. Auch war Literatentum mit konfuzianischer Orthodoxie, je weiter man zurückgeht, desto weniger identisch. Die Zeit der Teilstaaten kannte die Konkurrenz der Philosophenschulen, die aber auch im Einheitsreich keineswegs verschwand: er war jeweils auf dem Tiefstand der Kaisermacht besonders scharf. Der Sieg des Konfuzianismus entschied sich erst etwa im 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Es liegt hier nun fern, die Geschichte der chinesischen Philosophie zu rekapitulieren. Immerhin sei die Entwicklung zur Orthodoxie in folgenden Daten veranschaulicht:

      Die Stellung Lao tse's und seiner Schule bleibt, als ganz abseits stehend, vorerst beiseite (s. Nr. VII). Noch nach Konfuzius finden sich Philosophen wie Yang tschu: ein epikuräischer Fatalist, der im Gegensatz zu den Konfuzianern die Bedeutung der Erziehung ausschaltete, weil die Eigenart eines Menschen sein unabwendbares »Schicksal« sei, und Mo Ti, der weitgehend traditionsfrei war. Vor und in Mencius' Zeit (4. Jahrh. vor Chr.: Tiefstand der Kaisermacht) stand Sun Kung, aktiver Beamter in einem Teilstaat, auf dem antikonfuzianischen Boden der Verderbtheit der Menschennatur, standen die Dialektiker, die Asketen (Tschöu Tschang), die reinen Physiokraten (Hu Hing) mit wirtschafts politisch sehr verschiedenen Programmen gegeneinander und noch im 2. Jahrh. nach Chr. stand das Tschung Lun des Tsui Schi auf strikt antipazifistischem Standpunkt: die Sitten verschlechtern sich in langen Friedens zeiten, führen zu Ausschweifungen und Sinnenlust[316].

      Alles das waren unklassische Ketzereien, – Mencius bekämpfte die seiner eigenen Zeit. Aber sein Zeitgenosse Hsün Tse der die Güte des Menschen (konfuzianisch) als Kunstprodukt ansah, aber nicht Gottes, sondern des Menschen selbst: – politisch gewendet: »Gott ist der Ausdruck der Herzen des Volkes« – und der absolute Pessimist Yang Tschu, der das Ertragen des Lebens und die Abschüttelung der Todes furcht für der Weisheit letzten Schluß hielt, standen ihm gegenüber abseits. Daß Gottes Wille »unstet« sei, wurde oft als Grund des Leidens der Frommen hingestellt. Eine Systematik der antagonistischen Literatenschulen seiner Zeit findet sich bei Se Ma Tsien, dessen Vater Taoist gewesen zu sein scheint[317]. Sechs Schulen werden unterschieden: 1. Metaphysiker: die Yin- und Yang-Spekulation, gegründet auf Astronomie, – 2. Mi Tse (Micius und seine Schule): mystisch beeinflußt, für absolute Einfachheit der Lebensführung, auch des Kaisers, auch für die Beerdigungen, – 3. die Schule der Philologen mit Wortinterpretation und Begriffsrealismus (relativ unpolitisch, aus der Sophisten-Zeit überkommen), – 4. die Schule der Gesetze: Vertreter der Abschreckungstheorie (später durch Tsui Schui vertreten, s. o.) – 5. die Taoisten (von ihnen später), – 6. die »Literatenschule«: Konfuzianer, zu denen sich Se Ma Tsien selbst bekennt. Immerhin vertritt auch er den konfuzianischen Standpunkt noch in einer später in mehrfacher Hinsicht unklassisch erscheinenden Art. Er schätzte den bekannten zum Anachoreten gewordenen Kaiser Hoang Ti (taoistische Reminiszenzen[318]. Seine Kosmogonie (5-Elementen-Lehre) ist offenbar astrologischen Ursprungs. Seine Schätzung des Reichtums würden die orthodoxen Konfuzianer wohl mitmachen, auch die Motivierung: daß nur der Reiche die Riten richtig befolge. Aber die Empfehlung auch des Handels als Mittel des Erwerbes war ihnen anstößig[319]. Den Zweifel an der absolut determinierenden »Vorsehung« würden manche von ihnen nicht beanstandet haben: daß tugendhafte Leute vor Hunger starben, war bekannt. Auch die Monumente der Han-Zeit sagen ähnliches[320]. Immerhin war dies nicht unbedenklich. Daß Heroismus »unnütz« sei, entsprach der späteren, auf den Meister zurückgeführte Lehre. Aber daß der gefeierte Name alles sei – wie der Kastrat Se Ma Tsien lehrte –, daß die Tugend als »Selbstzweck« dargestellt wurde, daß andererseits unmittelbar didaktische Wirkungen für Fürsten beabsichtigt wurden, war wieder kaum klassisch. Dagegen stimmte der von Se Ma Tsien virtuos geübte absolute Gleichmut des Tons der Annalistik vorzüglich zu Konfuzius' eigener Praxis. Am meisten orthodox konfuzianisch mutet der Brief an, den Se Ma Tsien, der als politisch verdächtig kastriert[321], dann aber angestellt worden war, dem in Haft befindlichen Freund Jen Ngan schrieb, der sich um seine Hilfe (vergeblich) bewarb[322]:

      Ihm real helfen kann (oder: will) er (um selbst nichts zu riskieren) nicht. Aber: die Seele dessen, »der den langen Weg angetreten hat«[323], könnte Zorn gegen ihn (Se Ma Tsien) behalten (also ihn schädigen), daher will er ihm die Gründe dafür auseinandersetzen. Denn: »der wertvolle Mensch gibt sich Mühe für den, der ihn zu würdigen weiß« (echt konfuzianisch). Statt des Eingehens auf das Schicksal des Unglücklichen findet sich aber lediglich eine Darlegung des eigenen Unglücks: der Kastration. Wie hat sich der Schreiber darüber hinausgeholfen? Die wichtigsten Punkte, heißt es, seien vier: 1. nicht die eigenen Ahnen entehren, – 2. nicht sich selbst entwürdigen, – 3. nicht die Vernunft und Würde und schließlich: – 4. nicht die »für alle gültigen Regeln« verletzen. Er, der Schreiber, werde die Schande durch sein Buch abwaschen.

      Wenn der ganze Brief etwas an Abaelards uns durch ihre kalte Lehrhaftigkeit so verletzenden Briefe an Héloise erinnert (aus, vermutlich, ähnlichen Gründen!), so ist doch diese kühle Temperierung der Beziehung von Mensch zu Mensch echt konfuzianisch. Und wir wollen – wenn unserem Gefühl einiges widerstreben möchte – nicht vergessen: daß auch die am Schluß des vorigen Abschnitts zitierten prachtvollen und stolzen Dokumente solche konfuzianischen Geistes sind. Die von Se Ma Tsien[324] wiedergegebene Inschrift Schi Hoang Ti's, welche Handeln gegen die »Vernunft« als verwerflich bezeichnet, würde von ihm (und den Konfuzianern) so interpretiert werden: daß die Anleitung dafür, wie man vernunftgemäß handeln, nur durch Studium[325] und Wissen erlangt werde. »Wissen« – im Sinne der durch literarische Studien erlangten Kenntnis der Tradition und der klassischen Norm – blieb im Konfuzianismus das letzte Wort und dadurch schied er sich – wie wir nun sehen müssen – von andern Systemen chinesischer Einstellung zur Welt.

      Die »Vernunft« des Konfuzianismus war ein Rationalismus der Ordnung: »besser ein Hund und in Frieden als ein Mensch und in der Anarchie leben«, sagt Tscheng Ki Tong[326].

      Und sie war, wie dieser Ausspruch zeigt, eben deshalb essentiell pazifistischen Charakters[327]. Diese Eigenart hat sich historisch stetig gesteigert, bis Kaiser Khian Lung in der Geschichte der Ming-Dynastie den Satz schreiben konnte[328]: »Nur wer kein Menschenblut zu vergießen trachtet, kann das Reich zusammenhalten«. Denn »die Wege des Himmels sind wandelbar und nur die Vernunft hilft uns«. Das war – während noch Konfuzius selbst Rache für die Tötung von Eltern, älteren Brüdern und Freunden als Mannespflicht gefordert hatte, – das Endprodukt der Entwicklung im Einheitsreich. Pazifistisch, innerweltlich und nur an der Angst vor den Geistern orientiert blieb also diese Ethik.

      Es fehlte zwar nicht eine sittliche Qualifikation der Geister. Im Gegenteil: wir sahen schon, daß, wie in Aegypten, auch in China die irrationale Justiz auf dem spätestens unter der Han-Dynastie entwickelten festen, aus idealisierter Projektion der Bureaukratie und des Beschwerderechts in den Himmel erwachsenen Glauben ruhte: daß der Schrei des Bedrückten unfehlbar die Rache der Geister herbeiführe, vor allem gegen jeden, dessen Opfer an Selbstmord, Kummer, Verzweiflung gestorben sei. Auch daß die große, jeden Beamten zur Nachgiebigkeit zwingende, Macht der im Cortège heulenden Massen (Begleiter eines wirklich oder angeblich Bedrückten) – zumal bei der Gefahr, daß die hysterischen Massenemotionen Selbstmorde herbeiführen könnten – auf dem gleichen Glauben beruhte. Gegen einen Mandarinen, der seinen Küchenjungen geschlagen hatte, so daß dieser starb, wurde durch die Menge ein Todesurteil erzwungen (1882)[329]: der Geisterglaube in dieser Funktion war die einzige, aber sehr wirksame offizielle Magna Charta der Massen in China. Die Geister wachten aber auch über

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<p>316</p>

Fr. Kuhn, Abh. der Berl. Ak. 1914, 4.

<p>317</p>

S. Chavannes, Vorrede zu seiner Ausgabe, p. XIII.

<p>318</p>

Edkins, The place of Hwang Ti in early Taoism, China Rev. XV, P. 233 f.

<p>319</p>

Hiergegen Pen Piao in der App. II von Chavannes a.a.O. abgedruckten Stelle.

<p>320</p>

Grabinschrift aus der Han-Zeit (ca. 25 v. Chr.), Journ. As. X Ser. 14, 1909, ed. Chavannes p. 33: Trauerinschrift für den vorzeitigen Tod eines Mannes: »Menschen, die einen untadeligen Wandel führten, ohne dafür Lohn zu empfangen, hat es seit dem Altertum gegeben« (Beispiel). »Sein Andenken besteht weiter« (cf. Se Ma Tsien). »Er wird seine Nachfahren adeln« (dies die alte, erbcharismatische Auffassung, anders die neue, wie erwähnt). »Er ist in ein kaltes Schattenreich gezogen.«

Grabinschrift v. 405 n. Chr.:

»Alles Lebende muß sterben.« Der vollendete Mensch hat keine individuellen Merkmale (ist mit dem Tao vereinigt, s. VII, Einfluß Tschang tse's?).

Gerühmt wird der Gleichmut gegen Beförderung und Amtsverlust, (p. 36). Beförderung motiviert mit: »Gradheit«, »Kindespietät«, »Totenpietät«.

Aber im ganzen:

»Der Himmel kennt keine Gnade, er wurde krank und starb.« – Ein »Gott« wird nie genannt. Die Gesamtgesinnung und -stimmung ist Se Ma Tsien verwandt. Der gewaltsame Optimismus der späteren Zeit fehlt.

<p>321</p>

Ein für Chinesen furchtbares Unglück wegen des Ahnen kults!

<p>322</p>

S. ihn bei Chavannes Vol. I, App. I, p. CCXXVI f.

<p>323</p>

Unsterblichkeitsglaube wäre unklassisch. Es handelt sich nur um Geister glauben.

<p>324</p>

p. 166 seiner Biographie Schi Hoang Ti's, ed. Chavannes.

<p>325</p>

Gerühmt in den eben zitierten Inschriften der Han-Zeit.

<p>326</p>

China und die Chinesen, deutsch von A. Schultze (1896), p. 222.

<p>327</p>

Schon Konfuzius selbst soll sich in militärischen Dingen als unkompetent bezeichnet haben.

<p>328</p>

Yu tsiuan tung kian kang mu, übers. von Delamarre (Paris 1865), p. 20. Zahlreiche ähnliche Dikta ließen sich zusammentragen.

<p>329</p>

Giles, China and the Chinese, New York 1912, p. 105.