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die Entwicklung zu jenem welthistorischen Bündnis einer dieser soteriologischen Gemeinschaften: des Christentums, mit der Amtsgewalt führte, welches noch heute nachwirkt, verlief die Entwicklung in China anders. Es konnte einige Zeit scheinen: – wir reden davon später gesondert –, als ob der Buddhismus dort eine ähnliche Rolle spielen sollte, nachdem er von den Kaisern in aller Form rezipiert worden war. Indessen die schon angedeuteten Interessen: der Widerstand der konfuzianischen Bureaukratie, merkantilistische und Währungsinteressen und schließlich eine gewaltige Katastrophe beschränkte ihn auf die Stelle eines (immerhin einflußreichen) geduldeten Kultbetriebes neben anderen. Und vor allem war in China sein Einfluß gerade in dem uns hier besonders interessierenden Punkte: der Wirtschaftsgesinnung, wie wir später sehen werden, relativ gering. Die meisten alten Volksgottheiten aber, vermehrt um eine ganze Schar von Neuschöpfungen, sind in China unter die Patronage einer geduldeten Priesterschaft geraten, welche ihren Ursprung auf eine Philosophengestalt und eine Lehre zurückführen zu dürfen behauptet, deren ursprünglich nicht prinzipiell abweichender Sinn in Gegensatz geriet zu dem des Konfuzianismus und schließlich als durchaus heterodox galt. Wir können einen Blick auf diese Heterodoxie nicht umgehen.

      Individuelle mystische oder asketische Heilssuche, wie sie in Indien aus den Schichten der priesterlich nicht gebundenen Laienbildung, zumal des vedisch geschulten oder doch halbgebildeten Adels, hervorquoll, war ein dem (klassischen) Konfuzianismus gänzlich fremdes Interesse. Sie hatte im chinesischen Beamtenrationalismus ganz natürlich ebensowenig eine Stätte, wie sie jemals der Lebensführung irgendeiner Bureaukratie entsprochen hat.

      Anachoreten[334] hat es, nicht nur nach Tschung Tse[335], sondern auch nach den erhaltenen Bildwerken[336] und nach dem eigenen Zugeständnis der Konfuzianer, in China seit alter Zeit immer gegeben. Es finden sich selbst Notizen, welche zu der Annahme führen könnten: die Helden und Literaten hätten ursprünglich als Altersstadium ein Waldleben in der Einsamkeit geführt. In einer reinen Kriegergesellschaft war in der Tat oft der »Alte«, als wertlos, der Aussetzung preisgegeben, und es ist schon möglich, daß daher diese »Altersklassen« der Anachoreten sich zunächst aus ihnen rekrutierten. Indessen das sind unsichere Vermutungen: in historischer Zeit war eine Vanaprastha-Existenz der Alten nie, wie in Indien, als normal angesehen. Immerhin: nur die Zurückziehung von der »Welt« schuf Zeit und Kraft für das Denken ebenso wie das mystische Fühlen, – Konfuzius ebenso wie sein Widerpart: Lao tse lebten allein und ohne Amt. Der Unterschied war nur, daß die Mystiker, – Lao tse ebenso wie Tschung Tse – das Amt im Interesse der eigenen Heilssuche ablehnten, Konfuzius es entbehrte. Auch für politisch erfolglose Literaten galt dies Anachoretentum als normale Form des Ausscheidens aus der Politik, statt Selbstmord oder Antrag auf Bestrafung[337]. Ein Teilfürstenbruder, Tschong yong, in U, geht in die Einsiedelei[338]. Und auch von einem erfolgreichen Kaiser: Hwang ti, berichtet Tschung, daß er abdiziert habe und Anachoret geworden sei. Das »Heilsziel« der alten Anachoreten darf man sich nur als 1. makrobiotisch, – 2. magisch orientiert denken: langes Leben und magische Kräfte waren das Ziel der Meister und der, in kleiner Zahl, bei ihnen weilenden und sie bedienenden Jünger. Aber daran anschließend konnte sich eine »mystische« Einstellung zur Welt und eine auf ihr ruhende Philosophie bilden und hat dies getan. Der Weise kann nur die aus der Welt, insbesondere weltlichen Würden und Aemtern, ausgeschiedenen Anachoreten etwas lehren, – erhält Kaiser Hwang ti zur Antwort. Sie sind die »Gelehrten die zu Hause sitzen«, d.h. kein Amt annahmen: der spätere Gegensatz gegen die konfuzianischen Amtsanwärter deutet sich hier schon an. Die »Philosophie« des Anachoretentums ging darüber weit hinaus. Wie aller genuinen Mystik war die absolute Welt indifferenz das selbstverständliche, auch – nicht zu vergessen – das makrobiotisch wichtige Ziel. Und Lebensverlängerung war, wie gesagt, eine Tendenz des Anachoretentums. Wichtig unter diesem Gesichtspunkt schien nun, nach der primitiven »Metaphysik«, vor allem: sparsames und rationales Umgehen (»Wirtschaften«, möchte man sagen) mit dem offensichtlichen Träger des Lebens: dem Atem. Die physiologisch feststellbare Tatsache, daß Atemregulierung Gehirnzustände spezifischer Art begünstigen kann, führte weiter. Der »Heilige« soll »weder tot noch lebend« sein, sich so verhalten, als lebte er nicht: – »ich bin ein dummer (also: der Weltklugheit entronnener) Mensch«, sagt Laotse zur Erhärtung seiner Heiligkeit, und Tschuang Tse wollte sich nicht (durch ein Amt) »Zügel anlegen« lassen, sondern lieber »wie ein Schwein im schlammigen Graben« existieren. »Sich dem Aether gleichmachen«, »den Körper abwerfen«, wurde das Ziel. Ob indische Einflüsse auf die ziemlich alte Erscheinung eingewirkt haben, darüber sind die Fachleute verschiedener Ansicht[339]. Spurlos scheinen sie nicht bei dem berühmtesten dieser aus dem Amt geflüchteten Anachoreten, dem, wenn die Tradition recht hat[340], älteren Zeitgenossen des Konfuzius: Laotse.

      Er geht uns hier nicht als Philosoph[341] an, sondern in seiner soziologischen Stellung und Wirkung. Der Gegensatz gegen den Konfuzianismus tritt schon in der Terminologie hervor. Den harmonischen Zustand, der dem charismatischen Kaiser eignet, kennzeichnet Tsetse, der Enkel des Konfuzius, im Tschung yung als Gleichgewichtszustand, – in den durch Laotse beeinflußten oder sich als ihm anhängend ausgebenden Schriften heißt er: Leere (hu) oder Nichtssein (wu), erreichbar durch »Wu wei« (Nichts tun) und puh yen (Nichts sagen): ersichtlich typisch mystischen, keineswegs nur chinesischen, Kategorien. Nach konfuzianischer Lehre ist das Li: die Zeremonialregeln und Riten, das Mittel zur Erzeugung des Tschung[342], – nach der Ansicht der Mystiker waren sie völlig wertlos. Sich so verhalten, als hätte man keine Seele, dadurch die Seele von den Sinnen zu befreien, – das ist die innere Haltung, die allein zur Gewalt des Tao-schi (gewissermaßen: Tao-Doktors) führen kann. Leben ist gleich dem Besitz eines »schen«, also Makrobiotik gleich der Pflege des schen, – dies lehrt das dem Laotse zugeschriebene Tao te king[343] ganz in Uebereinstimmung mit den Konfuzianern. Nur die Mittel waren eben verschieden, der makrobiotische Ausgangspunkt aber der gleiche.

      Die uns schon wiederholt begegnete Grundkategorie: »Tao«, nach der sich später die Heterodoxie als »Taoisten« von den Konfuzianern schied, war beiden Schulen, überhaupt: allem chinesischen Denken, dauernd gemeinsam. Ebenso alle alten Götter, – während allerdings der »Taoismus« das Pantheon um zahlreiche der Orthodoxie als unklassisch geltende Gottheiten, wesentlich durch Apotheose von Menschen: – eine Umbiegung der Makrobiotik, – bereichert hat. Gemeinsam beiden war auch die klassische Literatur, – nur daß bei den Heterodoxen Laotse's Tao te king und die Schriften Tschuangs dazu traten, die von den Konfuzianern als unklassisch abgelehnt wurden. Auch Konfuzius selbst aber hat – worauf de Groot großen Nachdruck legt – die Grund kategorien der Gegner, auch das Wu wei (laissez faire) nicht abgelehnt und offenbar gelegentlich der Lehre von dem magischen Charisma des im Tao vollendeten Nichts tuenden nahe gestanden. Gehen wir dem Gegensatz etwas weiter nach.

      Der Konfuzianismus hatte alle ekstatischen und orgiastischen Reste aus dem Kult beseitigt und lehnte sie, wie der römische Amtsadel, als würdelos ab. Aber die magische Praxis hatte Ekstase und Orgiasmus hier wie überall gekannt. Die Wu (Männer oder Weiber) und Hih (Männer), die alten Medizinmänner und Regenmacher existieren bis in die Gegenwart und finden sich zu allen Zeiten literarisch erwähnt. Bei Tempelfesten waren sie noch zuletzt ekstatisch tätig; ursprünglich nahmen sie die magische »Kraft«, dann den »Geist«, dann den »Gott« in sich auf und wirkten durch ihn. Die Wu und Hih präsentierten sich später (und galten bis zur Gegenwart) als »taoistisch«. Aber im Anfangsstadium war es die nicht orgiastische – von ihnen sicher als würdelos abgelehnte, – sondern umgekehrt: die apathische Ekstase, welche Laotse und seine vornehmen Schüler suchten, wie alle Intellektuellen als Mystiker dies tun. Erst später, – wir werden sehen: wie – einigte sich die Gesamtheit der Magier, sich selbst als »taoistische« Nachfolger Laotse's

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<p>334</p>

Schi = Heilige, tun, jih, jin = Abgesonderte, Sien (Zeichen aus »Mensch« und »Berg«) = Anachoreten.

<p>335</p>

S. die Darstellung bei de Groot, Universismus, ferner Conrady a.a.O. und die Bemerkungen in Se Ma Tsien's Annalen, ed. Chavannes.

<p>336</p>

Gemälden, welche die Rischis als struppige Plebejer darzustellen pflegen.

<p>337</p>

Paradigma in der Annalistik: der Minister Fan ti im Staat Youe. Als sein König eine Stadt verliert, erklärt er, nach alten Regeln Selbstmord begehen zu müssen, unterläßt es aber. Sein enormes, als Minister gesammeltes, Vermögen vermehrt er dann anscheinend noch durch einen glücklichen Krieg mit Tsi, verteilt dies aber dann wirklich an seine Freunde und wird Anachoret, ganz wie noch bis in die Gegenwart manche indische Minister. (S. Tschepe, Hist. du R. de Ou. Var. Sinol. 10, Schanghai 1891, p. 157, 1. Append.)

<p>338</p>

Tschepe a.a.O. (6. Jahrh. v. Chr.).

<p>339</p>

Dagegen, für die alte Zeit, neuestens de Groot.

<p>340</p>

Für diese neuestens de Groot.

<p>341</p>

Man darf heut wohl sagen: Mode- Philosoph. Daß L. eine halbmythische Gestalt, das Tao-te-king der massenhaften Interpolation stark verdächtig und erst spät als existierend nachweislich ist, interessiert uns nicht. Wäre er eine erdichtete Gestalt, so bliebe doch der hier allein interessierende Gegensatz der Richtungen Tatsache.

<p>342</p>

Tshung = Gleichgewicht (englisch: »weak«), ein konfuzianischer Grundbegriff, – taoistisch; in »Leer« umgedeutet.

<p>343</p>

§ 30. S. de Groot, Religion in China, London 1912.