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Verläßlichkeit der Vasallentreue des Lehensmannes, auf der letzteren die Unterordnung des herrschaftlichen Dieners und Beamten. Der Unterschied war freilich kein Gegensatz, sondern mehr eine Akzentverschiebung. Auch der Vasall des Okzidents »kommendierte« sich und hatte, ebenso wie der japanische Lehensmann, Pietätspflichten. Auch der freie Beamte hat Standesehre, auf welche als Motiv seines Handelns gerechnet wird, in China wie im Okzident und im Gegensatz zum vorderasiatischen und ägyptischen Orient, dessen Beamte aus dem Sklavenstande aufstiegen. Die Beziehung des Offiziers und Beamten zum Monarchen behält eben überall gewisse feudale Züge. Auch heute ist schon der ihm persönlich geleistete Eid ihr Merkmal. Gerade diese Elemente in der Amtsbeziehung pflegen die Monarchen aus dynastischem, die Beamten aus ständischem Interesse zu betonen. Der chinesischen Standesethik haftete die Erinnerung an den Feudalismus noch ziemlich stark an. Die Pietät (hiao) gegen den Lehensherrn wurde neben derjenigen gegen Eltern, Lehrer, Vorgesetzte in der Amtshierarchie und Amtsträger überhaupt aufgezählt, – denn ihnen allen gegenüber war das hiao prinzipiell gleichen Charakters. Der Sache nach war die Lehenstreue auf die Patronagebeziehung innerhalb der Beamtenschaft übertragen. Und der grundlegende Charakter der Treue war patriarchal, nicht feudal. Die schrankenlose Kindespietät gegen die Eltern[310] war, wie immer wieder eingeschärft wurde, die absolut primäre aller Tugenden. Sie ging im Konfliktsfalle andern vor[311]. Es wird in einem Ausspruch des Meisters lobend erwähnt, daß ein hoher Beamter die unzweifelhaften Mißbräuche, die sein Vater in der gleichen Stellung geduldet hatte, aus Pietät, um ihn nicht zu desavouieren, weiter duldete, im Gegensatz allerdings zu einer Stelle des Schu-king, wo der Kaiser einem Sohn das Amt des Vaters beläßt, auf daß er dessen Verfehlungen wieder gut machen könne[312]. Keines Mannes Tun galt dem Meister als erprobt, ehe man gesehen hat, in welcher Art er um seine Eltern trauert. Es ist sehr begreiflich, daß in einem patrimonialen Staat einem Beamten – Konfuzius war zeitweise Minister – die Kindespietät, da sie auf alle Unterordnungsverhältnisse übertragen wird, als diejenige Tugend galt, aus der alle anderen folgen und deren Besitz die Probe und Garantie abgibt für die Erfüllung der wichtigsten Standespflicht der Bureaukratie: der unbedingten Disziplin. Die soziologisch grundlegende Wandlung des Heeres vom Heldenkampf zur disziplinierten Truppe liegt in China vor der historischen Zeit. Der Glaube an die Allmacht der Disziplin auf allen Gebieten findet sich in sehr alten Anekdoten und stand schon bei den Zeitgenossen des Konfuzius völlig fest. »Insubordination ist schlimmer als niedrige Gesinnung«: deshalb ist »Extravaganz« – gemeint ist: prahlerischer Aufwand – schlimmer als Sparsamkeit. Aber – lautet die Kehrseite – Sparsamkeit ihrerseits führt zur »niedrigen«, d.h. plebejischen, im Sinne des Gebildeten unstandesgemäßen, Gesinnung, deshalb ist auch sie nicht positiv zu werten. Man sieht: die Stellung zum Oekonomischen ist hier, wie bei jeder ständischen Ethik, ein Problem des Konsums, nicht: der Arbeit. Das Wirtschaften zu erlernen lohnt sich für den »höheren« Menschen nicht. Ja es schickt sich eigentlich nicht für ihn. Nicht etwa aus grundsätzlicher Ablehnung des Reichtums als solchen. Im Gegenteil: ein gut verwalteter Staat ist der, in welchem man sich seiner Armut schämt (in einem schlecht verwalteten seines – im Zweifel im Amt unehrlich erworbenen – Reichtums). Die Vorbehalte galten nur der Sorge um Reichtums- Erwerb. Die ökonomische Literatur war Mandarinen-Literatur. Wie jede Beamtenmoral so lehnte natürlich auch diejenige des Konfuzianismus die eigene Teilnahme des Beamten am Erwerb, direkt wie indirekt, als ethisch bedenklich und standeswidrig ab. Um so eindringlicher, je mehr tatsächlich der Beamte, dessen Bezüge an sich nicht hoch waren, und überdies, wie in der Antike, vorwiegend in Naturalien-Deputaten bestanden, auf Ausbeutung seiner Amtsstellung als solcher angewiesen blieb. Irgendwelche prinzipiell antichrematistische Theorien aber hat diese utilitarische, weder feudal noch asketisch gestimmte, Ethik nicht entwickelt. Im Gegenteil. Der Konfuzianismus hat sehr modern klingende Theorien von Angebot und Nachfrage, Spekulation und Profit hervorgebracht. Die Rentabilität des Geldes (der Zins heißt chinesisch wie griechisch »Kind« des Kapitals) versteht sich im Gegensatz zum Okzident von selbst und auch von Zinsschranken weiß die Theorie anscheinend nichts (während allerdings kaiserliche Statuten gewisse Arten von »Wucher« verwarfen). Nur sollte der Kapitalist als privater Interessent nicht Beamter werden. Der literarisch Gebildete persönlich bleibe dem Chrematismus fern. Wo soziale Bedenken gegen das Gewinnstreben als solches auftraten, waren sie wesentlich politischer Natur.

      Gewinnsucht galt dem Meister als Quelle sozialer Unruhen. Gemeint ist hier ersichtlich die Entstehung des typischen vorkapitalistischen Klassenkonflikts zwischen den Interessen der Aufkäufer und Monopolisten und den Konsumenteninteressen. Der Konfuzianismus war dabei naturgemäß vorwiegend konsumentenpolitisch orientiert. Aber Feindschaft gegen ökonomischen Gewinn lag ganz fern. Dies ist auch in der volkstümlichen Vorstellung nicht anders gewesen. Erpresserische und ungerechte Beamte, besonders Steuer- und andere Subalternbeamte, wurden bitter im Drama gegeißelt. Aber von Anklagen oder Verhöhnungen gegen Kaufleute und Wucherer scheint (relativ) sehr wenig die Rede zu sein. Die zornige Feindschaft des Konfuzianismus gegen das buddhistische Klosterwesen, welche zu dem Vernichtungsfeldzug des Kaisers Wu- Tsung im Jahre 844 führte, wurde in erster Linie damit begründet, daß die Klöster das Volk von nützlicher Arbeit ablenkten (tatsächlich spielte, sahen wir, »Währungspolitik« dabei eine Rolle). In der gesamten orthodoxen Literatur tritt die Schätzung ökonomischer Aktivität stark hervor. Auch Konfuzius würde nach Reichtum streben, »selbst als Diener mit der Peitsche in der Hand«, – wenn nur der Erfolg dieses Strebens einigermaßen verbürgt wäre. Aber das ist eben nicht der Fall und daraus folgt der einzige, in der Tat sehr wesentliche Vorbehalt gegen Wirtschaftserwerb: Das Gleichgewicht und die Harmonie der Seele wird durch die Risiken des Erwerbs erschüttert. Der Standpunkt des Amts pfründners tritt so in ethischer Verklärung auf. Die amtliche Stellung ist vor allem auch deshalb die einzige eines höheren Menschen würdige, weil sie allein die Vollendung der Persönlichkeit gestattet. Ohne beständiges Einkommen, meint Mencius, vermöge der Gebildete nur schwer, das Volk aber gar nicht eine beständige Gesinnung zu haben. Wirtschaftlicher, ärztlicher, priesterlicher Erwerb ist der »kleine Weg«. Denn – ein mit dem vorigen eng zusammenhängender höchst wichtiger Punkt: – er führt zur fachlichen Spezialisierung. Der vornehme Mensch aber strebt nach Allseitigkeit, die nur die Bildung (im konfuzianischen Sinne) gibt und die gerade das Amt – charakteristisch für das Fehlen der rationalen Fachspezialisierung im Patrimonialstaat, – vom Manne verlangt. Allerdings finden sich, wie politisch in Wang An Schi's Reformversuch, so auch in der Literatur, Andeutungen, welche die Schaffung von Fachkompetenzen der Beamten nach Art einer modernen Bureaukratie empfehlen, statt der traditionellen, unmöglich von einem einzelnen zu beherrschenden Allseitigkeit der Amtsgeschäfte. Aber eben diesen sachlichen Anforderungen und damit auch der Durchführung einer rationalen Versachlichung der Verwaltung nach Art unserer europäischen Mechanismen stand das alte Bildungsideal der Chinesen schroff gegenüber. Es mußte dem konfuzianisch gebildeten Amtsanwärter, der aus der alten Tradition herkam, fast unmöglich sein, in einer Fachbildung europäischen Gepräges etwas anderes als Abrichtung zum schmutzigsten Banausentum zu sehen[313]. Hier lag unzweifelhaft ein Teil der wichtigsten Widerstände gegen alle »Reform« im okzidentalen Sinne. Der grundlegende Satz: »Ein Vornehmer ist kein Werkzeug«, bedeutete: er war Selbstzweck, und nicht, wie das Werkzeug, nur Mittel zu einem spezifizierten nützlichen Gebrauch. Im geraden Gegensatz gegen das sozial orientierte platonische Ideal, welches, auf dem Boden der Polis geschaffen, von der Ueberzeugung ausging: daß der Mensch nur, indem er in einer Sache Tüchtiges leiste, zu seiner Bestimmung gelangen könne, und in noch weit stärkerer Spannung zum Berufsbegriff des asketischen Protestantismus stand hier das ständische Vornehmheitsideal des allseitig gebildeten konfuzianischen »Gentleman« (wie schon Dvořak den Ausdruck Kiün tse, »fürstlicher Mann«, übersetzt hat). Diese, auf Allseitigkeit ruhende »Tugend«, d.h. die Selbstvollendung, war mehr als der nur durch Vereinseitigung zu gewinnende Reichtum. Man konnte in der Welt nichts ausrichten, auch in der einflußreichsten Stellung nicht, ohne die aus Bildung entspringende Tugend. Aber freilich auch umgekehrt nichts mit noch so viel Tugend ohne einflußreiche Stellung. Diese, und nicht Erwerb, suchte daher der »höhere« Mensch.

      Dies sind in kurzer, meist dem Meister selbst zugeschriebener, Fassung die Grundthesen der Stellung zu Berufsleben und Besitz: der

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<p>310</p>

Auch gegen die Mutter. Ein Sohn war (im Jahre 1882) in der Trunkenheit gegen die ihn scheltende Mutter handgreiflich geworden. Diese engagiert einige Männer, läßt den Sohn fesseln und trotz inständiger Bitte aller Beteiligten lebendig begraben. Die Mitbeteiligten wurden wegen formeller Inkorrektheit bestraft, aber sofort begnadigt. Eine Bestrafung der Mutter kommt gar nicht in Frage (Reskript in der Peking Gazette vom 13. 3. 1882).

<p>311</p>

Auch dem Gehorsam gegen den Fürsten. Auf Befehl eines Fürsten soll in der Feudalzeit ein Beamter den eigenen Sohn wegen Felonie ergreifen und festnehmen. Er weigert sich und das gleiche tut ein Beamter, der den Vater wegen dieses Ungehorsams festnehmen soll. Der Vater begeht darauf Selbstmord und die Tradition belastet mit der Sünde dieses Verschuldens den Fürsten (Tschepe a.a.O. p. 217).

<p>312</p>

Vgl. den in der Peking Gazette vom 8. 6. 96 abgedruckten Bericht über das Ansuchen des Sohnes des im Kriege mit Japan wegen Feigheit zur Zwangsarbeit an den Poststraßen im Westen degradierten Kommandanten von Niutschwang: statt seines durch die Strapazen erkrankten Vaters seinerseits die Strafe übernehmen oder ihn mit 4000 Taëls auslösen zu dürfen. Der Bericht wird unter Hinweis auf die löbliche Pietät des Antragsstellers an den Kaiser weitergegeben.

<p>313</p>

Das Memorial, welches dem Reskript betreffend Abschaffung der alten »Kultur«-Examina vom 2. 9. 1905 zugrunde lag, ist ziemlich inhaltsleer und macht wesentlich nur geltend: daß der Eifer für Volks- (Realschul-) Bildung dadurch gehemmt werde, daß jedermann sich auf das Examen als Titel für eine Pfründe verlasse.