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gab es lediglich in Gestalt des in seinen magischen Wirkungen von jeher erprobten heiligen Zeremoniells und der heiligen Pflichten gegen die Geister der Ahnen. Eine naturrechtliche Entwicklung modern okzidentalen Gepräges hätte neben so manchem anderen auch eine Rationalisierung des positiv geltenden Rechtes vorausgesetzt, wie sie der Okzident im römischen Recht besaß. Dies aber war ein Erzeugnis zuerst: autonomen städtischen Geschäftslebens, welches feste Klageschemata erzwang, dann: der Rationalisierung durch die Kunstlehre der juristischen römischen Honoratiorenschicht und schließlich: der oströmischen Bureaukratie. In China fehlte ein Juristenstand, weil die Advokatur im okzidentalen Sinn fehlte. Und diese fehlte, weil dem Patrimonialismus des chinesischen Wohlfahrtsstaates mit seiner schwachen Amtsgewalt der Sinn für die formale Entwicklung des weltlichen Rechtes abging. Dem früher Gesagten ist hinzuzufügen: nicht nur galt kraft des Satzes: »Willkür bricht Landrecht« das örtliche Herkommen auch contra legem. Sondern vor allem entschied der chinesische Richter, als typischer Patrimonialrichter, durchaus patriarchal, d.h. soweit die geheiligte Tradition ihm dazu Raum ließ, ausdrücklich nicht nach formalen Regeln: »ohne Ansehen der Person«. Vielmehr weitgehend gerade umgekehrt je nach deren konkreter Qualität, und je nach der konkreten Situation: nach Billigkeit und Angemessenheit des konkreten Resultats. Dieser »salomonischen« Kadi-Justiz fehlte auch ein heiliges Gesetzbuch im Sinne des Islam. Die systematische kaiserliche Gesetzsammlung galt nur soweit als unverbrüchlich, als sie zwingende magische Tradition für sich hatte. Unter solchen Umständen fehlte auch die im Okzident, im Islam und in gewissem Umfange selbst in Indien bestehende Spannung zwischen heiligem und profanem Recht vollkommen. Eine Naturrechts-Lehre im Sinne der Antike (besonders der Stoa) und des Mittelalters hätte gerade jene Spannung philosophischer oder religiöser Postulate gegenüber der »Welt« und eine daraus entspringende »Urstands«-Lehre vorausgesetzt, wie sie offenbar im Konfuzianismus unmöglich erstehen konnte. Denn alle ethischen Zentralbegriffe, welche dafür erforderlich gewesen wären, waren ihm fremd. Davon später.

      Unsere moderne okzidentale Rechtsrationalisierung war das Erzeugnis zweier nebeneinander wirkender Mächte. Einmal des kapitalistischen Interesses an streng formalem und daher – in seinem Funktionieren – möglichst wie eine Maschinerie kalkulierbarem Recht und, vor allem, Rechtsgang. Dann: des Beamtenrationalismus der absolutistischen Staatsgewalten mit seinem Interesse an kodifizierter Systematik und Gleichförmigkeit des, von einer rational geschulten und nach interlokal gleichmäßigen Avancementschancen strebenden Bureaukratie zu handhabenden, Rechtes. Wo auch nur eine der beiden Mächte fehlte, entstand kein modernes Rechtssystem. Denn der moderne Kapitalismus konnte, wie das angelsächsische Common Law zeigt, recht gut auf dem Boden eines unsystematischen, einer streng rechtslogischen Gliederung entbehrenden, aber: formalen, in der Art des Rechtsdenkens am römischen und kanonischen Recht geschulten und dabei – als Schöpfung einer Anwalts klasse – die Autonomie der ökonomisch Mächtigen garantierenden, Rechtes leben. Der rationalistischen Bureaukratie andererseits lag formal die kompendiöse Zusammenfassung und, schon im Interesse der Ubiquität der Verwendbarkeit des Beamten, die Rechtsgleichmäßigkeit, vor allem die Ueberlegenheit der obrigkeit lichen Satzung gegenüber der Unverbrüchlichkeit des Herkommens: der Willkür der Autonomie der lokalen und sozialen Differenzierung des Rechtes, am Herzen. Inhaltlich aber, überall da wo sie allein zu schalten vermochte, nicht sowohl die formale juristische Vollendung der Rechtsnormen, als deren materiale »Gerechtigkeit«, die ja ihrem immanenten Ethos allein entsprechen konnte. Wo ihr nicht ökonomisch mächtige kapitalistische Interessen oder ein sozial mächtiger Juristenstand das Gegengewicht hielten, hat sie das Recht material rationalisiert und systematisiert, die formale, gegen die materiale »Gerechtigkeit« gleichgültige, juristische Technik aber zerstört. Der chinesische Patrimonialismus hatte nun seit der Einheit des Reiches weder mit mächtigen und für ihn nicht zu bändigenden kapitalistischen Interessen, noch mit einem selbständigen Juristenstand zu rechnen. Wohl aber mit der Heiligkeit der Tradition, die allein seine eigene Legitimität verbürgte. Und ebenso mit den Intensitätsgrenzen seiner Verwaltungsorganisation. Daher fehlte nicht nur die Entwicklung einer formalen, Jurisprudenz, sondern ist auch eine systematische materiale Durchrationalisierung des Rechtes nie versucht worden. Die Rechtspflege behielt also im allgemeinen denjenigen Charakter, welcher der theokratischen Wohlfahrtsjustiz zu eignen pflegt.

      So fehlte neben der philosophischen und theologischen auch die Entwicklung einer juristischen »Logik«. Auch eine Entfaltung systematischen naturalistischen Denkens blieb aus. Die Naturwissenschaft des Okzidents mit ihrem mathematischen Unterbau ist eine Kombination rationaler, auf dem Boden der antiken Philosophie gewachsener, Denkformen mit dem auf dem Boden der Renaissance, und zwar zuerst nicht auf dem Gebiet der Wissenschaft, sondern auf demjenigen der Kunst, entstandenen technischen »Experiment«: dem spezifisch modernen Element aller naturalistischen Disziplinen. Die »experimentierende« hohe Kunst der Renaissance war ein Kind einer einzigartigen Vermählung von zwei Elementen: des auf handwerksmäßiger Grundlage erwachsenen empirischen Könnens der okzidentalen Künstler und ihres, kulturhistorisch und sozial bedingten, durchaus rationalistischen Ehrgeizes: ihrer Kunst Ewigkeitsbedeu tung und sich selbst soziale Geltung dadurch zu gewinnen, daß sie sie zum gleichen Rang wie eine »Wissenschaft« erhöben. Dies letzte gerade war das dem Okzident Spezifische. Hier steckte auch die stärkste Triebfeder der »Rückkehr« zur Antike, so, wie man diese verstand. Neben dem durch Lionardo repräsentierten Typus war namentlich die Musik, vor allem im 16. Jahrhundert mit seinen Experimentier-Klaviaturen (Zarlino), ein Mittelpunkt dieses mit dem charakteristischen künstlerischen »Natur«-Begriff der Renaissance operierenden gewaltigen Ringens. Besondere soziale Bedingungen für die hochgradig agonale Ausgestaltung der Kunstübung waren dabei, ebenso wie im Altertum, mitwirksam. Oekonomische und technische Interessen der nordeuropäischen Wirtschaft, vor allem: Bedürfnisse des Bergbaues, halfen dann den geistesgeschichtlichen Gewalten dabei, das Experiment in die Naturwissenschaft hinüberzutragen. Das Nähere gehört nicht hierher. Der virtuosenhaft verfeinerten chinesischen Kunst fehlte jeder dieser Antriebe zum rationalistischen Ehrgeiz (im Sinne der okzidentalen Renaissance), und der Agon der Herrenschicht mündete innerhalb der Verhältnisse der Patrimonialbureaukratie gänzlich in die Pfründner- und literarische Graduierten-Konkurrenz aus, die alles andere erstickte. Die relativ sehr geringe Entwicklung des gewerblichen Kapitalismus ließ überdies auch die für einen Uebergang von der empirischen zur rationalen Technik nötigen ökonomischen Prämien in China nicht entstehen [303]). So blieb alles sublimierte Empirie.

      Im Ergebnis konnte sich also hier die immanente Stellungnahme einer Beamtenschaft zum Leben, der nichts, keine rationale Wissenschaft, keine rationale Kunstübung, keine rationale Theologie, Jurisprudenz, Medizin, Naturwissenschaft und Technik, keine göttliche und keine ebenbürtige menschliche Autorität Konkurrenz machte, in dem ihr eigentümlichen praktischen Rationalismus ausleben und eine ihr kongruente Ethik schaffen, begrenzt nur durch die Rücksicht auf die Mächte der Tradition in den Sippen und im Geisterglauben. Es trat ihr keines der anderen Elemente spezifisch modernen Rationalismus, welche für die Kultur des Westens konstitutiv waren, zur Seite, weder konkurrierend noch unterstützend. Sie blieb aufgepfropft auf eine Unterlage, welche im Westen schon mit der Entwicklung der antiken Polis im wesentlichen überwunden war. Es kann also die von ihr getragene Kultur annähernd als ein Experiment gelten: welche Wirkung rein von sich aus der praktische Rationalismus der Herrschaft einer Amtspfründnerschaft hat. Das Resultat dieser Lage war: der orthodoxe Konfuzianismus. Die Herrschaft der Orthodoxie war ein Produkt der Einheit des theokratischen Weltreiches mit seiner obrigkeitlichen Reglementierung der Lehre. In der Zeit der wilden Kämpfe der Teilstaaten haben wir, ganz ebenso wie in der Polis-Kultur der okzidentalen Antike, den Kampf und die Beweglichkeit der geistigen Richtungen. Die chinesische Philosophie in allen ihren Gegensätzen ist in etwa dem gleichen Zeitraum wie die der Antike entwickelt worden. Seit der Konsolidierung der Einheit, etwa mit dem Beginn unsrer Zeitrechnung, ist ein ganz selbständiger Denker nicht mehr aufgetreten. Und nur die Kämpfe der Konfuzianer, Taoisten und Buddhisten und, innerhalb der anerkannten oder zugelassenen konfuzianischen Lehre, die Kämpfe philosophischer und – damit zusammenhängend – verwaltungspolitischer Schulen blieben bestehen, bis die Mandschuherrschaft die konfuzianische Orthodoxie endgültig kanonisierte.

      Der Konfuzianismus war, ebenso wie der Buddhismus, nur Ethik (»Tao«, darin Скачать книгу


<p>303</p>

Neben der Erfindung des Kompasses (der in der Binnenschiffahrt und für die Orientierung von Boten auf den innerasiatischen Landwegen benutzt wurde), des Buchdrucks (für Verwaltungszwecke, infolge der Langsamkeit der schriftlichen Vervielfältigung), des Papiers, Porzellans, der Seide, der Alchemie, Astronomie (für astrologische Staatszwecke benutzt) ist auch das Schießpulver in China erfunden und militärisch im 12. Jahrhundert wahrscheinlich, im 13. sicher verwendet, also jedenfalls ein Jahrhundert vor der beglaubigten Anwendung in den Kriegen der Florentiner. Aber in technisch höchst primitiver Art. Die Befriedung des Reiches regte eben nicht zur Vervollkommnung an. (Ueber die Erfindungen s. W. A. P. Martin, Chinese discoveries in art and science, Journ. of the Peking Or. Soc. Vol. IV, p. 19 ff.) Die Geschütze des Okzidents wurden, scheint es, anfänglich vornehmlich ihrer vermeintlich magisch bedingten Wirkung wegen gefürchtet und zu importieren gesucht.