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radikaler als die Konfuzianer. Doch worin bestanden die beiderseitigen Zentrallehren und Unterschiede? Die Heterodoxie wird gern als »Taoismus« bezeichnet.

      »Tao« ist an sich ein orthodox konfuzianischer Begriff: die ewige Ordnung des Kosmos und zugleich dieser Ablauf selbst: eine in aller nicht dialektisch durchgeformten Metaphysik häufige Identifikation[344]. Bei Laotse ist es in Beziehung zur typischen Gottsuche des Mystikers gesetzt: es ist das allein Unveränderliche und deshalb absolut Wertvolle, sowohl Ordnung wie zeugender Realgrund, wie Inbegriff der ewigen Urbilder alles Seins, kurz das göttliche Alleine, dessen Teilhaftigkeit man – ganz wie in aller kontemplativen Mystik – durch absolute Entleerung des eigenen Ich von Weltinteressen und Leidenschaften bis zu völliger Nichttätigkeit (Wu-Wei) sich aneignet. Das konnte nicht nur Konfuzius selbst, sondern auch seine Schule akzeptieren und sie haben das auch getan. »Tao« war bei ihm ganz das gleiche wie bei Laotse und ein ebenso geltender Begriff. Aber: sie waren keine Mystiker. Das Interesse an der gottinnigen, durch Kontemplation zu erreichenden Zuständlichkeit hätte, wie bei der Mystik meist, so bei Laotse zur völligen Entwertung der innerweltlichen Kultur als einer Quelle religiösen Heils führen müssen. Und bis zu einem gewissen Grade traf dies auch zu. Denn das höchste Heil war auch bei Laotse eine seelische Zuständlichkeit, eine unio mystica, nicht aber ein aktiv handelnd sich bewährender Gnadenstand wie bei der Askese des Okzidents. Nach außen hin wirkte diese wie alle Mystik nicht rational, sondern nur psychologisch bedingt: die universelle akosmistische Liebesgesinnung ist typische Folgeerscheinung der objektlosen Euphorie dieser Mystiker in der apathischen Ekstase, die ihnen charakteristisch, vielleicht durch Laotse geschaffen, war. Diese an sich rein psychische Gegebenheit wurde nun auch hier rational ausgedeutet: Himmel und Erde sind als die größten Götter durch die absolute Selbstlosigkeit ihrer Leistungen für den Menschen legitimiert, durch jene bedingungslose Güte, welche nur dem Göttlichen eignet und: – der makrobiotische Einschlag der Lehre: – der Grund der dem allein ewigen Tao wenigstens angenäherten Dauer dieser Naturmächte ist. Nach diesem Muster richtet sich das eigene Verhalten des Mystikers. Wiederum wird dabei die physiologisch bedingte innere Lage rational gedeutet. Die Erhaltung der eigenen Güte und Demut in der Welt durch ein innerweltliches Inkognitoleben ist ja überall der Inhalt, jene spezifische Gebrochenheit der Weltbeziehung des Mystikers, welche das Handeln, wenn sie es nicht absolut aufhebt, dann doch minimisiert, die einzige mögliche Bewährung seines Gnadenstandes, weil der einzig mögliche Beweis: daß ihm die Welt nichts anhat. Sie sind zugleich, entsprechend der eben erwähnten Theorie Laotses, die beste Gewähr der eigenen Dauer im Erdenleben, ja: vielleicht über das Erdenleben hinaus. Eine eigentliche Unsterblichkeitslehre hat Laotse selbst (oder sein schriftstellerischer Interpret) nicht entwickelt, sie scheint späteres Erzeugnis. Aber der Gedanke der Entrückung in ein ewiges Paradies bei vollendetem Tao ist wohl ziemlich alt. Allein maßgebend war er nicht. Bei Laotse selbst war vielmehr die Minimisierung des Welthandelns wenigstens primär direkte Folge der Art des mystischen Heilsbesitzes. Gewisse Folgerungen aller mystischen Religiosität hat Laotse überhaupt nur angedeutet, nicht vollzogen. Zwar der »Heilige«, den er dem konfuzianischen Ideal des »Gentleman« überordnet, bedarf der Welttugend nicht nur nicht, sie ist ihm vielmehr als Ablenkung vom eigenen Heil im Grunde gefährlich: die weltliche Tugend und ihre Hochschätzung ist – in der bei Chinesen beliebten paradoxen Formulierung – ein Zeichen, daß die Welt unheilig und gottlos geworden ist. Und auf der niedrigsten Stufe steht ihm eine solche Welt, welche durch die konfuzianische Kardinaltugend des »Li«, der »Schicklichkeit«, zusammengehalten wird. Indessen: diese Welt ist nun einmal da und es gilt also, sich in sie zu schicken.

      Das geht nur durch Relativierungen irgendwelcher Art. Denn die Konsequenz der entschlossenen Weltabwendung, vor allem der grundsätzlichen Ablehnung des im Mandarinenstand lebendigen Ideals des gebildeten Gentleman (Kiün-tse) hat Laotse eben nicht gezogen. Hätte er es getan, so wäre wohl keine Spur seiner Gedanken auf uns gekommen. Er forderte freilich gegenüber der Weltanpassung des Konfuzianismus als der »kleinen« die »große« Tugend, d.h. die absolute Vollkommenheits-Ethik gegenüber der sozial relativierten. Aber diese Forderung konnte letztlich für ihn weder, einerseits, zu asketischen Konsequenzen, noch, andererseits, zu positiven Forderungen in der Sozialethik führen. Teils deshalb nicht, weil die kontemplative Mystik an sich solche Forderungen nicht zu gebären vermag. Aber eben auch deshalb nicht, weil die letzten Folgerungen nicht gezogen wurden. Der persönliche Gegensatz des Konfuzius gegen Laotse war, nach der (in ihrer Realität fraglichen, aber von manchen bedeutenden Fachmännern noch geglaubten) Ueberlieferung, nur durch gewisse, schon stark relativierte, Konsequenzen der Mystik des letzteren für die politischen Ideale bedingt. Auf der einen Seite der Zug zum Zentralismus des rational von Beamten regierten Wohlfahrtsstaates bei dem rationalistischen Literaten. Auf der andern Seite die möglichste Autonomie und Autarkie der einzelnen Staatsteile als kleiner Gemeinwesen, die eine Stätte schlichter bäuerlicher oder bürgerlicher Tugend bilden könnten und daher die Parole: möglichst wenig Bureaukratie, bei dem Mystiker, dessen Selbstvervollkommnung durch staatliche geschäftige Zivilisationspolitik ja unmöglich gefördert werden konnte. »Banne der Herr seinen stolzen Geist, seine vielen Wünsche, sein schmeichelhaftes Wesen, seine ausschweifenden Pläne«, schreibt die Tradition dem Laotse als Mahnung an Konfuzius bei dem berühmten Zusammentreffen beider zu, mit der vom Standpunkt des Mystikers ebenso selbstverständlichen, wie von dem des rationalistischen Sozialethikers unzulänglichen, Begründung: »Dies alles ist ohne Nutzen für deine Person«, d.h. für die Erreichung der »unio mystica« mit dem göttlichen Prinzip des »Tao«. Diese Erlangung der mystischen »Erleuchtung« (ming), auf Grund deren dem Menschen dann alles andere von selbst zufällt, war ein – wenn man aus seinen überlieferten Aeußerungen etwas schließen darf – dem Stifter des Konfuzianismus persönlich unzugängliches, außerhalb der Grenzen seiner Begabung liegendes Ziel. Die ihm in den Mund gelegte staunende Aeußerung über Laotse als den »Drachen« zeigt das. Der für Laotse grundlegende Begriff der Heiligkeit (sching) spielt im konfuzianischen System keine Rolle. Er ist nicht etwa unbekannt. Er gilt aber dem Konfuzius als kaum jemals, auch von ihm selbst nicht, erreicht und steht daher beziehungslos neben dem konfuzianischen Ideal des Kiün-tse, des »vornehmen« Menschen. Oder er wird gar, wie bei Mencius, im Grunde als ein ins Vollkommene gesteigerter Gentleman angesehen. Dagegen das Schriftzeichen für die Heiligkeit Laotses drückt Demut aus und der Laotsesche Heiligkeitsbegriff liegt, als eine Kategorie der streng individualistischen Selbsterlösung, in seiner Konsequenz in der gerade entgegengesetzten Richtung wie das konfuzianische, am Maßstab der Bildung und Angepaßtheit an die Welt und Gesellschaft, wie sie einmal ist, orientierte Ideal. Aus dem gleichen Grund, aus welchem in aller Regel der okzidentale Mystiker die Theologie als das recht eigentlich von Gott Abführende ablehnt, verwirft Laotse dies hier die Theologie vertretende Schriftgelehrtentum. Und wie gegenüber jeder konsequenten Erlösungsmystik, so ist auch gegenüber der Laotseschen der typische und ganz natürliche Vorwurf von seiten der auf die Beherrschung und Ordnung des realen Lebens gerichteten Sozialethik, im vorliegenden Falle also von seiten des Konfuzianismus der: jene sei »Egoismus«. In der Tat konnte sie, konsequent durchgeführt, nur das eigene Heil suchen, auf andere nur exemplarisch: durch Beispiel, nicht durch Propaganda oder gar durch soziales Handeln wirken wollen. In voller Konsequenz müßte sie das innerweltliche Handeln als für das Seelenheil irrelevant gänzlich ablehnen. Einige Ansätze zu prinzipiellem Apolitismus finden sich denn auch deutlich genug ausgeprägt. Indessen ist es nun zugleich der charakteristische Zug und die Quelle aller Paradoxien und Schwierigkeiten des Laotseschen Systems, daß es darin Konsequenz nicht besitzt.

      Auch Laotse (oder sein Interpret) gehörte der gleichen Schicht an wie Konfuzius und auch für ihn verstanden sich daher zunächst gewisse Dinge durchaus von selbst, wie für jeden Chinesen. Erstens – in unvermeidlichem Widerspruch mit dem jenseits der Welt liegenden Selbsterlösungszweck – der positive Wert der Regierung. Er folgte vor allem aus dem überall vorausgesetzten charismatischen Beruf des Herrschers: von seinen Qualitäten hing auch für Laotse letztlich das Wohl der Menschen ab. Nur ergab sich daraus für den Mystiker: daß der Regent persönlich das Charisma des mystisch mit dem Tao Geeinten haben müsse, auf daß diese mystische Erlösung auch ebenso allen Untertanen durch die charismatische Wirkung dieser seiner Qualitäten als Gnadengabe zuteil werde. Während für den nicht-mystischen Sozialethiker es genügte, daß der Regent als solcher vom Himmel gebilligt, seine Tugenden als

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<p>344</p>

Zu allem folgenden vgl. besonders de Groot, der auf den sekundären Charakter der Spaltung den größten Nachdruck legt.