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Verschiebung nach der Seite der Geldsteuern hat sich auch und vor allem auf die bis in die allerletzte Zeit weitaus wichtigste Steuer: die Grundsteuer, erstreckt, deren interessante Geschichte hier im einzelnen zu verfolgen nicht die Absicht ist[150]. Wir kommen darauf weiter unten, soweit nötig, bei Erörterung der Agrarverfassung etwas näher zu sprechen. An dieser Stelle genügt es zu sagen, daß auch hier, wie in den Patrimonialstaaten des Okzidents, das gelegentlich stärker differenzierte Steuersystem, weil das nicht in Grund und Boden angelegte Vermögen für die Steuertechnik der extensiven kaiserlichen Verwaltung nicht »sichtbar« blieb, zunehmend in der Richtung der Unifizierung der Steuern durch Verwandlung aller anderen Abgaben in Zuschläge zur Grundsteuer sich entwickelte. Diese Tendenz zur Verflüchtigung alles nicht sichtbaren Besitzes ist vielleicht für die stets erneuten Versuche, den Staatsbedarf tunlichst naturalwirtschaftlich: durch Fronden und Leiturgien, zu decken, mitbestimmend gewesen. Daneben und in Wahrheit wohl in erster Linie auch: die Währungsverhältnisse. Für die Grundsteuer selbst aber galten zwei ebenfalls in extensiv verwalteten Patrimonialstaaten universelle Entwicklungstendenzen: Einmal die zur Umwandlung in Geldabgaben, von welcher auch alle anderen Lasten, insbesondere die Fronden und sonstigen Leiturgien, ergriffen wurden. Ferner aber die Tendenz zur Umwandlung in eine Repartitionssteuer und schließlich in einen fest kontingentierten Tribut, der auf die Provinzen nach festem Maßstabe verteilt wurde. Der ungemein wichtige Vorgang wurde schon einmal kurz berührt. Die Befriedung des Reichs unter der Mandschu-Dynastie gestattete dem Hof den Verzicht auf bewegliche Einkünfte und führte zu dem berühmten, als Quelle der neuen Blüte Chinas im 18. Jahrhundert gepriesenen Edikt von 1713, welches die Grundsteuerpflichtigkeiten der Provinzen – der Absicht nach – in feste Abgaben verwandelte. Wir werden davon gleich zu reden haben. Neben der Grundsteuer spielten namentlich die Salzgabelle, die Bergwerke und erst in letzter Linie die Zölle eine Rolle in den Einkünften der Zentralverwaltung. Auch für sie wurde aber der nach Peking abzuführende Betrag tatsächlich ein traditionell feststehender. Erst die Kriege mit europäischen Mächten und die finanzielle Notlage im Gefolge der Taiping-Revolution (1850-64) ließen die »Likin« -Zölle unter der glänzenden Finanzverwaltung Sir Robert Harts in den Vordergrund der Finanzen des Reichs treten.

      Die Befriedung des Reichs im Zusammenhang mit dieser Steuerkontingentierung und ihren Folgen: der Entbehrlichkeit und dem Wegfall der Fronausnutzung, des Paßzwangs und aller Freizügigkeitsschranken, aller Kontrolle über Berufswahl, Hausbesitzverhältnisse und Produktionsrichtung, hat eine gewaltige Vermehrung der Bevölkerung im Gefolge gehabt. Während es scheint, daß die nach den freilich zum Teil äußerst problematischen Katasterziffern sehr stark schwankende Volksdichte Chinas zu Beginn der Mandschu-Herrschaft nicht wesentlich höher war als unter Schi-Hoang-Ti fast 1900 Jahre zuvor, jedenfalls aber die angebliche Volkszahl jahrhundertelang zwischen 50 und 60 Millionen schwankte, wuchs sie von Mitte des 17. bis Ende des 19. Jahrhunderts von 60 auf etwa 350-400 Millionen[151], entfaltete sich der sprichwörtliche chinesische Erwerbstrieb im kleinsten wie im größten und wurden auch sehr bedeutende Einzelvermögen akkumuliert. Was nun aber als etwas höchst Auffallendes an dieser Epoche erscheinen muß, ist: daß trotz dieser erstaunlichen Entwicklung der Volkszahl und ihres materiellen Befindens nicht nur die geistige Eigenart Chinas in eben dieser Zeit gänzlich stabil blieb, sondern auch auf ökonomischem Gebiet, trotz jener scheinbar so überaus günstigen Bedingungen, nicht der geringste Ansatz zu einer modern-kapitalistischen Entwicklung sich findet. Daß ferner auch der einst bedeutende Eigenhandel Chinas nach außen keinerlei Neubelebung erfuhr, sondern nur Passivhandel in einem einzigen, den Europäern unter strenger Kontrolle geöffneten Hafen (Kanton) stattfand. Daß auch von einem von innen, aus eigenem kapitalistischen Interesse der Bevölkerung heraus, entstandenen Streben, diese Schranke zu sprengen, nicht das mindeste (sondern ausschließlich: das Gegenteil) bekannt ist. Und daß überhaupt auf dem Gebiet der Technik, Wirtschaft und Verwaltung auch nicht die geringste, im europäischen Sinn, »fortschrittliche« Entwicklung einsetzte, vollends aber die Steuerkraft des Reichs, wenigstens dem Anschein nach, keinem ernsten Stoß gewachsen war, als die Erfordernisse der Außenpolitik dies gebieterisch erheischt hätten. Wie ist dies alles angesichts jener bei aller Kritik doch nicht zu bezweifelnden ganz ungewöhnlich mächtigen Volkszunahme zu erklären? Das ist unser Zentralproblem.

      Es hatte sowohl ökonomische wie geistige Ursachen. Die ersteren, von denen jetzt zunächst zu sprechen ist, waren durchaus staatswirtschaftlicher und also politisch bedingter Natur, teilten aber mit den »geistigen« den Umstand: daß sie aus der Eigenart der führenden Schicht Chinas: des Beamten- und Amtsanwärterstandes (der »Mandarinen«), hervorgingen. Von ihnen ist jetzt zu reden, und zwar zunächst von ihrer materiellen Lage.

      Der chinesische Beamte war, sahen wir, zunächst auf Naturalpräbenden aus den königlichen Magazinen angewiesen. Später traten in zunehmendem Maß Geldgehalte an die Stelle. So blieb es. Formell also zahlte die Regierung ihren Beamten Gehalt. Aber einmal zahlte sie nur einem kleinen Bruchteil der wirklich in der Verwaltung tätigen Kräfte aus ihren eigenen Mitteln Gehalt, und dann bildete dies Gehalt nur einen kleinen, oft geradezu einen verschwindenden Teil ihres Einkommens. Der Beamte hätte davon gar nicht leben und noch weniger die ihm amtlich obliegenden Kosten der Verwaltung daraus bestreiten können. Das Verhältnis war vielmehr in Wahrheit stets dies: daß der Beamte, ebenso wie ein Feudalherr oder Satrap, der Zentralregierung (und der Unterbeamte der Provinzialregierung) für die Ablieferung bestimmter Abgabenbeträge haftete, seinerseits aber fast alle Kosten seiner Verwaltung aus den von ihm wirklich erhobenen Abgaben: Steuern und Gebühren, bestritt und den Ueberschuß für sich behielt. So wenig dies, in voller Konsequenz wenigstens, offiziell anerkanntes Recht war, so zweifellos galt es tatsächlich, und zwar definitiv infolge der seit der Kontingentierung der Regierungseinnahmen bestehenden Verhältnisse.

      Die sogenannte Fixierung der Grundsteuer im Jahre 1713 war der Sache nach eine finanzpolitische Kapitulation der Krone vor den Amtspfründnern. Denn in Wahrheit wurde ja nicht etwa die Steuerpflichtigkeit der Grundstücke in eine feste Grundrente verwandelt (wie z.B. in England), sondern es wurde vielmehr dasjenige, was den Provinzialbeamten von der Zentralverwaltung als Steueraufkommen ihres Bezirks angerechnet wurde: der Betrag also, von welchem sie einen Pauschalquotienten als Tribut an die Krone abzugeben hatten, fixiert und so – auf den Effekt gesehen – nur die Höhe der Besteuerung der Pfründen dieser Satrapen durch die Zentralverwaltung für alle Zeiten festgelegt[152]. Dem genuinen Charakter aller spezifisch patrimonialen Verwaltung entsprechend wurde das Einkommen, welches der Beamte aus der Verwaltung seines Bezirks zog, als seine Pfründe behandelt, die von seinen Privateinkünften nicht wirklich geschieden war[153]. Die Inhaber der Amtspfründen ihrerseits dagegen waren soweit wie möglich davon entfernt, die Grundsteuer (oder irgendwelche andere Pflichtigkeit) der Steuerzahler als in ihrem Gesamtaufkommen pauschaliert zu behandeln. Und es konnte auch praktisch gar keine Rede davon sein, daß die Reichsregierung eine solche Festlegung hätte ernstlich beabsichtigen können. Der Amtsinhaber mußte ja, wiederum dem patrimonialen Prinzip entsprechend, von den ihm zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht nur alle sachlichen Bedürfnisse der bürgerlichen Verwaltung und Rechtspflege seines Bezirks bestreiten, sondern, und zwar vor allem, auch seinen unoffiziellen – von Kennern selbst für die kleinste Verwaltungseinheit (hsien) auf zwischen 30 und 300 schwankend geschätzten, gar nicht selten aus dem Abhub der Bevölkerung rekrutierten – Beamtenstab, ohne den er, wie wir sahen, in der ihm fremden Provinz die Verwaltung zu führen gar nicht in der Lage war. Seine persönlichen waren von den Verwaltungsausgaben nicht geschieden. Die Zentralverwaltung hatte also keinerlei Uebersicht über die wirklichen Bruttoeinkünfte der einzelnen Provinzen und Bezirke, der Provinzialstatthalter keine über diejenigen der Präfekten usw. Auf seiten der Steuerzahlenden andererseits stand nur der eine Grundsatz fest: sich nach Möglichkeit der Erhebung nicht traditionell feststehender Abgaben zu widersetzen, und wir werden sehen, daß und warum sie dies innerhalb weiter Grenzen mit großem Erfolg zu tun in der Lage waren. Indessen abgesehen von der prekären Natur dieses wesentlich von der Machtlage abhängigen Widerstands gegen die trotz allem stets erneut versuchten Uebererhebungen hatten die Beamten zwei Mittel, die Einkünfte zu steigern. Einmal die Erhebung eines Zuschlags für die Erhebungskosten (mindestens 10%) und für jegliche Nichtinnehaltung

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<p>150</p>

S. darüber die noch immer in vielem brauchbare Arbeit von Biot in Nouv. Journ. Asiat. 3 Ser. 6, 1838.

<p>151</p>

Diese Zahlen sind allerdings höchst wenig vertrauenswürdig. Denn es ist zu bedenken, daß die Beamten der Zeit vor dem Steuerkompromiß von 1713 ein Interesse daran hatten, die Zahl der Steuerpflichtigen (es bestand damals Kopfsteuer!) in den Berichten zu verringern oder stabil zu halten, was seit der Fixierung der Steuerquoten fortfiel (s.u.). Seitdem lag es umgekehrt im Interesse der Beamten, mit großen Volkszahlen zu glänzen. Denn die Volkszahlen interessierten seitdem nur noch die Götter selber, denen sie mitgeteilt wurden, – sie bewiesen also, wo sie hoch waren, das Charisma des betreffenden Beamten. Noch manche Zahlen des 19. Jahrhunderts (z.B. die abnorme Vermehrung der Bevölkerung in der Provinz Se tschuan) sind höchst verdächtig. Immerhin berechnet Dudgeon (Population of China, J. of the Peking Oriental Society III, 3, 1893) die Volkszahl von 14 Provinzen für die 80er Jahre auf 325 Millionen.

<p>152</p>

Daß dies der Sinn der Maßregel war, geht schon aus der sonst ganz widersinnigen Formulierung hervor: daß fortan eine bestimmte Anzahl von Einheiten in der betreffenden Provinz »steuerpflichtig«, alle übrigen aber »steuerfrei« sein sollten und tatsächlich bei den periodischen Volkszählungen so angeführt wurden. Natürlich waren nicht etwa eine entsprechende Anzahl Einwohner frei von Steuern, sondern: diese Anzahl wurde den Beamten nicht als steuerzahlend angerechnet. Die Unterscheidung der beiden Kategorien bei den Zählungen wurde denn auch bald – 1735 – von den Kaisern als zwecklos aufgegeben.

<p>153</p>

Alle Projekte direkter Steuern der letzten 30 Jahre scheiterten schon daran, daß sie vor allem Steuern auf die Mandarinenpfründen hätten sein müssen. Die patrimoniale Auffassung der Beamteneinkünfte trat von jeher besonders plastisch in der Wirkung der Totentrauer eines Beamten zutage. Dem uralten Sinn der Trauer entsprechend, wie er in China in deren Familien besonders eindeutig erhalten blieb, diente diese der Abwendung des Zorns und Neides des Totengei stes gegen diejenigen, welche sich nach seinem Tode als Erben seinen Besitz angeeignet haben. Abgesehen also davon, daß ihm ursprünglich bedeutende Bruchteile seiner Habe (einschließlich von Witwen- und anderen Menschenopfern) in den Hades mitgegeben wurden, mußten die Erben geraume Zeit das Totenhaus und die Berührung der Besitztümer meiden und ärmlich gekleidet in einer anderen Hütte wohnen, sich auch des Genusses ihres Besitzes enthalten. Das Amt nun wurde so sehr nur als »Pfründe« und die Pfründe so sehr nur als Privatbesitz des Pfründners gewertet, daß ein trauerpflichtiger Todesfall den Rücktritt vom Amt zur unbedingten Folge hatte. Die fortwährenden massenhaften Vakanzen zahlreicher Aemter, die zeitweise Unverwendbarkeit zahlreicher Beamten, die Aufstauung von durch Trauer amtlos gewordenen Anwärtern waren eine, zumal bei Seuchen, politisch höchst lästige Kalamität. Abwechselnd verboten die Kaiser im Staatsinteresse die allzulange Dauer der Trauer und schärften, in Angst vor den Geistern, sie wieder ein, beides bei Prügelstrafe. Noch Li Hung Tschang wurde beim Tode seiner Mutter vergebens von der Kaiserin in scharfer Form gemahnt, statt des Rücktrittes nur Urlaub zu nehmen (Peking Gazette vom 1. 5. 1882).