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schlossen, spätestens seit dem 11. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung – wahrscheinlich aber schon lange vorher – diese zu jenen künstlichen Haftungsverbänden zusammen. Daß das Dorf gleichwohl einen Verband mit weitestgehender Selbstverwaltung darstellte, wird noch zu besprechen sein. Hier interessiert zunächst die angesichts jener scharfen fiskalischen Eingriffe keineswegs selbstverständliche Tatsache, daß ein anderer, ursprünglich vielleicht auf die Vornehmen beschränkter[165], Verband seit einer für uns nicht greifbaren Vorzeit die Gesamtheit der (als vollwertig angesehenen) Landbevölkerung in sich umschloß und durch diese Fiskalmaßregeln nicht zerstört worden ist.

      Denn was sich mit Sicherheit erkennen läßt, ist der durch alle Jahrtausende ungebrochen fortbestehende Zusammenhalt der Sippe und die überragende Stellung des Sippenhaupts. Die ältere Grundherrschaft dürfte in China von da aus entstanden sein. Auf die Sippen waren – wie bemerkt – ursprünglich die Militärleistungen und, vermutlich, alle öffentlichen Lasten überhaupt repartiert und das Sippenhaupt haftete folglich – nach allen Analogien und auch nach Rückschlüssen aus den späteren Veränderungen – für die Repartierung und Ableistung. Nach Durchführung der Privateigentumsordnung, d.h. der formellen Appropriation des Bodens (oder: seiner Nutzung) an die Einzelfamilien hören wir gelegentlich, daß das Sippenhaupt in dieser Funktion durch die vermögendsten Grundbesitzer ersetzt wurde (nach der Tradition 1055), daß also der mit der Repartierung der auf dem Boden ruhenden Lasten betraute, deshalb mit Autorität bekleidete und in den Chancen, Besitz zu akkumulieren, bevorzugte »Senior« sich in einen Grundherren und die verarmten Sippengenossen in seine Hintersassen verwandelt haben, – eine Erscheinung, die bekanntlich zahlreiche Parallelen hat[166]. Inwieweit es neben den Sippengenossen – wie überall einer Oberschicht, die ihrerseits das Monopol des Boden- und Sklavenbesitzes zu beanspruchen pflegt[167] – von jeher eine Schicht sippe nloser Höriger gegeben hat, ist für den Nichtfachmann nicht entscheidbar. Daß es Hörige gab und daß ihnen ursprünglich ein sehr großer Teil, wohl der weitaus größte, der Bauernschaft angehörte, steht fest. Der Besitz von Hörigen war im 4. Jahrhundert vor Chr. nur den (damals amtsfähigen) Kuan-Familien gestattet; die Hörigen zahlten weder ko (Grundsteuer) noch leisteten sie ju (Fronden), sondern wurden, offenbar, durch ihre Herren versteuert, so weit diese nicht Immunität erworben hatten. Einzelne Familien besaßen nach der Annalistik »bis zu 40« davon, was immerhin auf einen nur bescheidenen Umfang der damaligen Grund- und Leibherrschaften schließen läßt. Sklaverei hat es in China zu allen Zeiten gegeben. Ihre ökonomische Bedeutung aber scheint nur in den Zeiten der Akkumulation großer Geldvermögen durch Handel und Staatslieferungen: als Schuldsklaverei oder Schuldhörigkeit, wirklich erheblich gewesen zu sein, – wovon bald zu reden sein wird.

      Die entscheidenden Wandlungen der Agrarverfassung gingen anscheinend stets von der Regierung aus und hingen mit der Regelung der Militär- und Abgabenpflicht zusammen. Von dem »ersten Kaiser« (Schi Hoang Ti) wird berichtet, daß er eine allgemeine Entwaffnung des Landes durchgeführt habe. Zweifellos richtete sich diese in erster Linie gegen die Streitkräfte der von ihm radikal unterdrückten Feudalherren[168]. Gleichzeitig wurde – was in China seitdem sich noch öfter wiederholt hat – das »Privateigentum« durchgeführt. Das heißt: es wurde der Boden den Bauernfamilien (welchen? ist wohl kaum feststellbar) unter Befreiung von den (welchen?) bisherigen Lasten appropriiert und die neuen Staatslasten ihnen unmittelbar auferlegt. Diese Staatslasten waren teils Abgaben, teils Fronden, teils Rekrutengestellungen für das patrimonialfürstliche Heer des Kaisers. Und für die folgende Entwicklung war offensichtlich entscheidend: in welchem relativen Umfang auf die Wehrkraft, in welchem auf die Fronleistungspflicht und in welchem auf die Steuerfähigkeit der Bauern reflektiert war, ob mehr Natural- oder mehr Geldsteuern bestanden, ob – im Zusammenhang damit – das Heer aus zum Dienst gepreßten Untertanen oder aus Söldnern zusammengesetzt war, und schließlich: welche technischen Mittel die Verwaltung schuf, um die Ableistung der – je nachdem verschieden gearteten – Lasten zu sichern[169]. Alle diese Komponenten nun haben gewechselt und die durch die ganze chinesische Literatur sich hinziehenden Gegensätze der Literatenschulen sind zum nicht unerheblichen Teil mit an diesen verwaltungstechnischen Problemen verankert gewesen. Sie haben sich daher namentlich in der Zeit des drohenden Mongolensturms, seit dem Anfang des 11. Jahrhunderts unserer Aera, besonders stark zugespitzt. Ein zentrales Problem aller damaligen Sozialreformer war immer (ganz ebenso wie bei den Gracchen) die Erhaltung oder Neuschaffung eines gegen die Nordwest-Barbaren hinlänglich schlagkräftigen Heeres und der dafür erforderlichen Finanzmittel, in Geld oder: Naturalleistungen. Das typische, wiederum keineswegs China allein eigentümliche, Mittel zur Sicherung der – in ihrer Art wechselnden – Leistungen der Bauern war die Bildung von solidarisch haftenden Zwangsverbänden (von je 5 oder 10 Familien, die ihrerseits wieder zu Verbänden zusammengeschlossen wurden) und von Leistungsklassen der Bodenbesitzer, je nach dem Besitz verschieden (z.B. in 5 Klassen) abgestuft. Ferner aber immer wieder der Versuch, um die Zahl der prästationsfähigen Bauern zu erhalten und zu vermehren, also: die Besitzakkumulation und die Entstehung von unbebauten oder extensiv bebauten Ländern zu verhindern: Besitzmaxima zu schaffen, das Bodenbesitzrecht an die effektive Bebauung zu knüpfen, Siedelungsland zu erschließen und eventuell Landumteilungen herbeizuführen auf der Basis eines auf die einzelne bäuerliche Arbeitskraft entfallenden durchschnittlichen Bodenbesitzanteils, der also etwa dem russischen »Nadjel« entsprochen hätte.

      Die chinesische Steuerverwaltung stand schon durch ihre überaus ungenügend entwickelte Maßtechnik vor erheblichen Schwierigkeiten sowohl bei diesen wie bei allen Kataster-Problemen. Das einzige eigentlich wissenschaftlich »geometrische« Werk[170], im wesentlichen den Hindus entlehnt, scheint erkennen zu lassen, daß nicht nur trigonometrische Vermessungen nach dem Stande der Kenntnisse ausgeschlossen waren, sondern daß auch die Vermessung der einzelnen Ackerstücke kaum die altgermanische, gar nicht aber die wahrlich primitive Technik der römischen Agrimensoren erreichte. Erstaunliche Vermessungsirrtümer – ebenso erstaunlich wie die Rechenfehler der mittelalterlichen Bankiers – scheinen alltäglich gewesen zu sein. Die Maßeinheit: der chinesische »Fuß« blieb trotz Schi Hoang Ti's Reform offenbar provinziell verschieden, der kaiserliche Fuß (= 320 mm) meist der größte; Schwankungen zwischen 255, 306, 315, 318, 328 mm finden sich. Das grundlegende Landmaß war das mou, in der Theorie ein langer Landstreifen von ursprünglich 100, später 240 x 1 pu = bald 5 bald 6 Fuß, im letzteren Fall also bei Zugrundelegung des Fußes von 306 mm = 5,62 Ar, wovon 100 auf ein king (= 5 Hektar 62 Ar) gingen. Unter den Han galten 12 mou, von denen jedes 11/2 schi Reis produzierte, als – russisch ausgedrückt – nötiger »Seelen-Nadjel« für jedes Individuum. Die ältesten Notizen scheinen zu behaupten, daß in der Zeit vor Wen Wang (12. Jahrhundert vor Chr.) 50 mou (zu, damals, 3,24 Ar) auf ein Individuum gerechnet worden seien, wovon damals ein Zehntel, also 5, als Kong tien (Königsland) für den Fiskus bestellt wurden, so daß also für jedes Individuum ein Besitz von 2,916 Hektar als normal gegolten hätte. Auf diese Notiz ist indessen gar kein Verlaß[171]. Man rechnete noch ein Jahrtausend und mehr später normalerweise immer wieder nicht nach Bodeneinheiten, sondern nach Familien, und klassifizierte eventuell diese – wie schon gesagt – nach der Zahl der zu ihnen gehörigen »ting«, der arbeits fähigen Individuen[172]. Den Boden aber klassifizierte man in höchst roher Form entweder einfach in »schwarzen« und »roten« Boden, also (dürfen wir wohl als sicher annehmen:) in bewässertes und unbewässertes Land. Das ergab zwei Steuerklassen. Oder nach dem Maße der Brache in 1. bracheloses (also: bewässertes), 2. Dreifelder- und 3. Feldgraswirtschaftsland. Vom ersteren rechnete man – in den ältesten zugänglichen Notizen – 100 Mou (5,62 Hektar), vom zweiten 200 (11,24 Hektar), vom dritten 300 (16,86 Hektar) als Normallandanteil einer Familie. Auch das entspräche einer Einheitssteuer auf die Familie, nicht auf die Bodeneinheit. Die Verschiedenheit der Größe und der Altersgliederung der Familie führte dabei gelegentlich zu dem Gedanken, große Einheiten auf guten, kleinere auf schlechten Boden zu setzen. Inwieweit dies praktisch wurde, ist natürlich sehr

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<p>165</p>

Dies würde dann als sicher anzusehen sein, wenn Conrady mit seiner These: daß sich Totem-Verbände in China nachweisen lassen, im Recht sein sollte. Denn die Entwicklung der Sippe scheint überall die Form gewesen zu sein, in welcher die entstehende Herrenschicht sich dem (wesenhaft plebejischen) Totem-Verband entzog.

<p>166</p>

Uebrigens wurde damals dies »Privileg« der Vermögenden nicht als Vorrecht, sondern vielmehr als Leiturgie empfunden und war auch so gemeint. Man suchte sich der Last durch fiktive Landverkäufe und durch Familienteilungen zu entziehen.

<p>167</p>

Das Recht zum Sklavenbesitz war auch in China ständisch begrenzt.

<p>168</p>

Aber der Verlauf des Aufstandes, der zum Sturz seiner Dynastie führte, scheint zu zeigen, daß bis dahin auch breite Schichten der Bauern noch (wie in Deutschland bis zur Entwaffnung nach dem Bauernkrieg) wehrhaft waren. Denn der Begründer der Han-Dynastie und andere Empörer waren Bauern und stützten sich (mindestens: auch) auf die Wehrkraft ihrer Sippen.

<p>169</p>

Im Staat Lu (dem konfuzianischen Musterstaat) wurden z.B. in einem Zeitpunkt auf die damalige Katastereinheit (von 64 »tsing«) ausgeschrieben: 1 Kriegswagen, 4 Pferde, 10 Haupt Rindvieh, 3 Gepanzerte, 64 (nicht gepanzerte) Fußsoldaten. Es ist klar, daß diese Matrikel von der Voraussetzung ausging: daß die zu der betreffenden Katastereinheit zusammengeschlossenen Sippen die zu stellenden Militärkräfte ihrerseits durch Soldzahlung beschafften. Das Zurückgreifen auf unmittelbare Zwangsaushebung blieb vermutlich subsidiär. (Die Art, wie ähnliche Zustände sich in Indien zu grundherrlichen Pfründen entwickelt haben, werden wir später kennen lernen.) In andern Fällen ist in China (wie bald zu erörtern) die Heeresgestellung so geregelt gewesen, daß unmittelbar auf die einzelnen Familien gegriffen wurde. Schon jene Ordnung im Staat Lu zeigt aber an Stelle eines Vasallenaufgebots eine Vorstufe patrimonialfürstlicher »Rekrutierung«, also die Beseitigung des Feudalismus als Militär system. Europäische Analogien finden sich (Delbrück hat diese Verhältnisse für das Feudalheer Europas sehr glücklich geschildert).

<p>170</p>

Suan fa tong tsang S. Biot N. Journ. Asiat. 3 Ser. 5, 1838 (Darstellung auf Grund des Wen hian tong kao).

<p>171</p>

Man muß immer beachten, daß das erste als leidlich sicher geltende (Chavannes) chronologische Datum der chinesischen Geschichte das Jahr 841 vor Chr. ist.

<p>172</p>

Bei nicht rein gartenmäßiger Bebauung rechnet man heut: daß eine Familie von 5 Köpfen von 15 Mou (etwa 85 Ar) gerade leben könne, eine für uns noch immer fast unglaubwürdig kleine Zahl.