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      Daß dieses Männlein Viktor Ruhnau war, braucht wohl nicht weiter bemerkt zu werden.

      Viktor fühlte sich zunächst in seiner Verkleidung höchst ungemütlich. Er fürchtete, daß man ihm die Maske ansehen müsse. Als jedoch kein Mensch auf ihn achtete, wurde er zuversichtlicher.

      Der Dampfer legte jetzt am Fischmarkt an und nahm neue Fahrgäste auf. Und unter diesen befand sich auch … der Konsul Schimpel …!!

      Viktor zuckte zusammen, als er seines Stiefvaters ansichtig wurde, der keine acht Schritte entfernt auf einer Seitenbank Platz nahm. Doch Schimpels Augen, die die Leute ringsum flüchtig musterten, glitten ebenso flüchtig auch über den ärmlichen Kanzlisten hinweg.

      Das erhöhte Viktors Sicherheitsgefühl. Er lebte sich immer mehr in die Rolle hinein, die er spielen wollte. –

      Während der Dampfer gleichmäßig unter rastlosem Stampfen seiner Maschine das gelbliche Wasser der alten Weichsel durchfurchte, vorbei an endlosen, am Ufer festgemachten Holztraften, vorbei an breiten Oderkähnen, die mit ihrem Riesensegel langsam ihrem Ziele zustrebten, überlegte Viktor sich, was wohl der vornehme Herr Schimpel in dem zumeist nur vom einfacheren Publikum besuchten Heubude zu tun haben könne. Viktor konnte sich nicht besinnen, daß der Konsul je den Namen Heubude als eines für Leute seines Standes in Betracht kommenden Ausflugsortes erwähnt hätte. Was also wollte er dort, und noch dazu zu dieser Stunde, wo doch der Abend dicht bevorstand?! –

      Der Dampfer machte an der Anlegebrücke fest. Die Fahrgäste strömten über die Planke. Schimpel war einer der vordersten.

      Trotzdem blieb Viktor ihm auf den Fersen.

      Der Konsul schlug den Weg nach dem Dorfe ein, bog dann aber bald links ab und benutzte einen schmalen Fußgängerweg. Sein Verhalten war auffällig. Er drehte sich häufiger, wie von Mißtrauen gepeinigt, daß ihm jemand folgen könne, um, so daß Viktor sehr vorsichtig sein mußte, um seines Stiefvaters Argwohn nicht zu erregen.

      Alles ging gut. Schimpel verschwand in einem abseits gelegenen, von einem großen Garten umgebenen Hause.

      Viktor war hinter einem Gebüsch stehen geblieben, wartete ein paar Minuten und näherte sich nun dem einsamen Grundstück. Der Fußsteig lief hier dicht an der einen Längsseite des Gartenzaunes entlang.

      Hinter dem Hause war ein Rasenplatz, auf dem Wäsche ausgebreitet lag. – Viktor stutzte plötzlich, ging dann aber ruhig weiter …

      Er hatte seine blonde Madonna erspäht, die gerade aus der Hintertür herausgetreten war und der Bleiche zuschritt. Sie trug eine große Wirtschaftsschürze, hatte einen Wäschekorb in der Hand …!! Also war dies hier ihr Heim, – dasselbe Haus, das Schimpel besuchte – so vorsichtig besuchte, als dürfe er nicht bemerkt werden, als solle niemand wissen, daß der angesehene Herr Konsul zu den Bewohnern in irgendwelchen Beziehungen stehe …!!

      Es waren seltsame Gedanken, die Viktor jetzt durch den Kopf schossen, während er langsam, ganz mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte.

      Nun hatte er das nächste Haus erreicht, einen blitzsauberen, niedrigen Bau aus Holz. An der Tür hing eine Papptafel: ‚Sommerwohnung und einzelne Zimmer‘.

      Fünf Minuten später hatte der Bureauvorsteher Gottlieb Schmidt bei der Fischerwitwe Klaus ein Hinterstübchen für drei Tage gemietet und die geringe Summe sofort im Voraus bezahlt. Frau Klaus war keine redselige Natur, aber dem freundlichen Herrn Schmidt gegenüber vergaß sie bald ihre sonstige Zurückhaltung und – merkte gar nicht, daß einer, der auch Tory genannt wurde, sie vollständig über das Haus da drüben und dessen Bewohner ‚auspumpte‘.

      Nachher machte der kurzsichtige Bürovorsteher noch einen Spaziergang. Es war bereits recht dunkel geworden und somit weiter kein Wunder, daß er sich verirrte und auf das einsamen Grundstück geriet, wo zu seinem Glück kein Hund gehalten wurde. Merkwürdig war nur, daß er dann auf einen umgestürzten Holzeimer stieg und durch das eine Fenster in das Zimmer hineinzusehen versuchte. –

      Später, als der letzte Dampfer abgefahren war, der auch den Konsul wieder an Bord hatte, kam Herr Schmidt wohlbehalten im Fischerhäuschen wieder an.

      * * *

      Ich hätte nie geglaubt, daß man sich, selbst wenn man ein solches Gewohnheitstier ist wie ich, doch so schnell an eine angenehme Veränderung in des Alltags grauem Einerlei gewöhnen kann.

      Kurz, bereits nach zwei Stunden merkte ich, daß Tory mir fehlte!

      Ich hatte zu arbeiten versucht, aber – es ging nicht. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab, bald hierhin, bald dorthin. Es gab ja auch genug, was des Nachdenkens wert war.

      Ich kann mir wirklich vor wie ein Mensch, der bis dahin einem wildbewegten Tanz mit überlegenem Lächeln aus der Ferne zugeschaut hatte und der nun urplötzlich von einem lachenden Weibe mithineingezerrt worden ist in den Kreis einer bunten, toll durcheinander wirbelnden Gesellschaft … – Das lachende Weib war das Schicksal, die Tanzenden waren das vielgestaltige Leben … –

      Nein, es war heute nichts mit der Arbeit! – Ich legte die Feder hin, lehnte mich in dem Schreibtischstuhl bequem zurück und überdachte nochmals die Ereignisse seit Torys Einzug ganz genau.

      Während ich mir so jede Einzelheit vergegenwärtigte und schließlich auf diesem Wege auch zu der Witwe Schmitz und ihrem ermordeten Mieter gelangte, wobei ich mich daran erinnerte, daß Tory von der Schmitz noch hatte herausholen wollen, mit wem Tompson verkehrt hatte, packte mich plötzlich der Ehrgeiz.

      Zum Donner, sagte ich mir – wozu bist du eigentlich Kriminalschriftsteller?! Solltest nicht auch du so manches erreichen können, willst du nicht auch dein Teil dazu beigetragen, den Täter zu ermitteln?

      Der Ehrgeiz kam nicht mehr zur Ruhe. – –

      Dann stand ich vor der Flurtür der Schmitz und schaute wie gebannt auf den weißen Elfenbeinknopf der elektrischen Glocke.

      Hatte ich erst gedrückt, so war die Entscheidung gefallen, dann gab es kaum noch ein Zurück, dann – hatte ich vielleicht eine kolossale Dummheit gemacht!!

      Unsinn!! Wozu die Bedenken! Nur schlau und vorsichtig mußte ich’s anfangen!!

      Ich drückte …

      Die Schmitz war daheim. Aber – oh Schreck! – sie erkannte mich sofort.

      „Ah – der Herr Nachbar aus dem Nebenhause – Bitte treten Sie näher – Freut mich sehr! – Wo ist denn Ihr Freund, der Herr Viktor Ruhnau? – Ja, denken Sie – ich habe Sie beide vormittags auf der Straße zusammengesehen, und Ihre Aufwärterin, die Frau Meller, erzählte mir dann …“

      Wie ein Wasserfall plätscherte es an mein Ohr. Der Redefluß war nicht einzudämmen. Ich kam nur dazu, hin und wieder ein ‚Ja‘ hören zu lassen, zu nicken und auch zustimmend zu lächeln.

      Aber das Lächeln verging mir bald.

      Die Schmitz erzählte, daß vor kaum zwanzig Minuten zwei Kriminalbeamte bei ihr gewesen seien, und denen hätte sie auch gern alles erzählt, was sie von dem armen, armen Herrn Tompson wüßte; denn er sei ja der Ermordete ‚von drüben‘, wie sich jetzt herausgestellt hätte. Und natürlich sei ihr da auch mein Freund eingefallen, der doch Herrn Tompson kenne, und das wäre den Beamten sehr interessant gewesen … – Also wirklich! Da war ja bereits das eingetreten, was ich befürchtet hatte!!

      Ich hörte kaum mehr hin, was die Schmitz noch weiter herunterleierte … Ich dachte nur an die Vase – daran, daß die Polizei jetzt wirklich auf uns aufmerksam geworden war …!!

      Ich saß wie auf Kohlen. Kam nicht schnell genug nach Hause. Die Vase sollte verschwinden – und wenn ich sie in kleine Stücke zerschlagen mußte …!!

      Ich stürmte die Treppe in meinem Hause hinauf. Ich rannte einen Herrn im Halbdunkel an, entschuldigte mich, wollte weiter …

      „Einen Augenblick! Herr Schriftsteller Dr. Wilde, nicht wahr?“ fragte der Mann.

      Ich ahnte, wer da vor mir stand. Jetzt

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