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sie freiwillig nie herausgegeben. Anderswo existieren fast nur Nachahmungen. Was an echten Lahore-Vasen in den Handel kommt, ist aus dem Tempel gestohlen worden, mithin auch dieses Stück.“ – –

      Es ist Zeit, daß ich die Vase ein wenig beschreibe.

      Sie war fünfundfünfzig Zentimeter hoch. Der Vasenhals hatte einen Durchmesser von achtzehn Zentimeter, war nur sieben Zentimeter lang. Dann rundete sich der Vasenkörper zur Form einer länglichen Zwiebel, deren größte Breite der Höhle des Ganzen entsprach.

      Der Vasenhals war innen drei Zentimeter unter dem Rande zugegossen und zwar bildete dieser Stöpsel, wenn man so sagen will, mit der Halswandung ein Stück. Die Vase war also fest verschlossen, hatte keine Öffnung. Als Verzierung dienten schwach erhabene Stellen, die wie ein Netz aussahen. In jeder Masche dieses Netzes waren altindische Schriftzeichen und je eine Tierfigur eingegraben.

      Das Gewicht – ich habe sie gewogen – betrug sechsundvierzig Pfund. –

      Die Gußmasse mag hier nachher mit Viktors eigenen Worten beschrieben werden. – –

      Auf Torys Ausführungen hinsichtlich der Herkunft der Vase äußerte ich meine Zweifel an der Echtheit. – Wie sollte gerade eine echte, doch so überaus wertvolle Seltenheit in das leere Haus hineingeraten sein?!

      „Sie ist echt!“ erklärte Tory bestimmt. „Ich habe im Britischen Museum in London vor zwei Jahren einen Vortrag über die einzige dort vorhandene echte Lahore-Vase mitangehört. Damals ahnte ich nicht, daß ich die Einzelheiten jenes Vortrags einmal bei solcher Gelegenheit würde verwerten können. – Bei allen Imitationen ist der Deckel oder Stöpsel des Vasenhalses nachträglich eingegossen, das heißt, die Vase besteht nicht aus einem Stück. Unsere hier – das sieht man schon mit bloßem Auge! – hält jeder Prüfung in dieser Beziehung stand. – Dann die Masse! Sie war und ist noch heute ein Geheimnis der Priester des Tempels in Lahore. Sie ist Metall, und ist es nicht. Es ist eben ein Gemenge, dessen Zusammensetzung selbst unsere heutige Chemie nicht gelöst hat. Von der Vase im Britischen Museum hat man nämlich ein kleines Stück losgesprengt und den ersten Chemikern vorgelegt. Keiner hat mit zufriedenstellender Genauigkeit die Frage beantwortet, welche Stoffe die Gußmasse der Lahore-Vasen enthält. Diese wurden seiner Zeit dazu benutzt, die Seelen berühmter indischer Fürsten darin einzuschließen. Dies soll der Art gemacht worden sein, daß, sobald ein einer Vase für würdig befundener Fürst auf dem Sterbebett lag, Priester aus Lahore mit ihren Werkzeugen und so weiter erschienen und den Guß unter genau vorgeschriebenen Gebeten und Zeremonien im Sterbezimmer selbst vornahmen und zwar genau im Augenblick des Ablebens. –

      Mit allen Einzelheiten kann ich dir diesen wunderbaren Brauch nicht mehr schildern. Ich habe von dem Vortrag damals doch schon manches vergessen. Ja – doch weiß ich noch, daß die aus einem Stück gegossenen Vasen dann in einem besonderen Raume des Brahmatempels in Lahore aufbewahrt wurden und als große Heiligtümer galten, denen man allerlei geheimnisvolle und auch wundertätige Eigenschaften andichtete.“

      „Sehr interessant,“ meinte ich. „Aber, mein lieber Tory, den Beweis für die Echtheit bist du mir doch noch schuldig geblieben. Ich gebe zu, der Stöpsel scheint nicht nachträglich eingegossen zu sein. Doch – das könnte mit aller Sicherheit nur eine ganz genaue Untersuchung feststellen. – Beweismittel Nummer zwei, chemische Untersuchung der Gußmasse, kommt für uns nicht in Frage. Also …?!“

      Tory schwieg und starrte auf das plumpe, bräunlich metallisch schimmernde Ding, indem er unzufrieden den Kopf hin und her wiegte.

      Durch das Fenster, das gleichzeitig Balkontür war, fiel die Sonne in breitem Strahl auf den Sofatisch und beschien auch den Fuß der Vase etwa in Handtellergröße.

      Dieser weiße Fleck des Sonnenlichtes war es, den Torys Augen sich zum Ruhepunkt ausgesucht hatten.

      Ich trat hinter den Freund und klopfte ihn im Gefühl meines eben errungenen kleinen Sieges auf die Schulter.

      „Alter Tory – nicht wahr, du gibst mir doch recht? – Es kann ebenso gut eine Imitation sein. Das alles ist ja schließlich auch gleichgültig. Wir haben die Vase gestohlen und …“

      „Halt!“ rief er da und sein gesenkter Kopf schnellte hoch. „Halt! Bleib’ stehen, wo du stehst! – Es ist keine Imitation! – Hier der Beweis!“

      Er gab mir die Aussicht nach der Vase frei. Ich sperrte jetzt, da ich zwischen ihr und dem Fenster vor dem Tische stand, das Sonnenlicht ab.

      Tory zeigt auf den Fuß der Vase …

      Dort, wo der weiße Fleck der Sonnenstrahlen auf der braunen Masse geruht hatte, hätte jetzt dem natürlichen Lauf der Dinge nach nichts Besonderes mehr zu sehen gewesen sein dürfen … Aber – seltsam und unerklärlich, dieser handtellergroße Fleck war geblieben, obwohl die Ursache, die Sonnenstrahlen, nur mehr meinen Rücken trafen, – – war geblieben und dehnte sich nun langsam, dabei immer mehr an Helle einbüßend, nach allen Seiten hin. –

      Es war dies eine so merkwürdige Erscheinung, daß wir beide ganz regungslos dastanden und mit aufmerksamen Augen die weitere Entwicklung des Phänomens abwarteten.

      Der helle Schimmer kroch höher und höher, floß nach allen Seiten hin. Es war, als ob ein geheimnisvolles Glühen durch die Masse ging, aus der die Vase hergestellt war.

      Jetzt begann dieses schwache Leuchten zu erblassen, nachdem es beinahe die ganze uns zugekehrten Seite sozusagen durchtränkt hatte. Von oben her verschwand es, so etwa, wie ein weißglühendes Metallstück die Farbe an freier Luft wechselt.

      Nun war alles vorüber. –

      Torys Hand legte sich auf die Vase mit etwas theatralischer Geste.

      „Karl, glaubst du nun, daß sie echt ist? Sie hat soeben eine ihrer geheimnisvollen Eigenschaften bewiesen!“ sagte er fast feierlich. Und fügte nach kurzer Pause hinzu: „Im übrigen war ich von Anfang an von ihrer Echtheit überzeugt. Weswegen – das erkläre ich dir später!“

      Ich betrachtete unsere Diebesbeute jetzt mit einem gewissen Gefühl des Unbehagens.

      Indien ist nun einmal das Land der Geheimnisse! Ich hatte mal ein Buch eines englischen Arztes gelesen, der in Indien zwanzig Jahre lang weit ab von aller Kultur auf einer einsamen Militärstation gehaust hatte. Ich entsann mich jetzt gerade auf den Schlußsatz dieses hochinteressanten Werkes mit dem Titel ‚Was wir in Indien nicht begreifen‘. Dieser Satz lautete: ‚Die Sehnsucht wird selbst in mir altem Manne nicht geringer nach all dem Rätselhaften, das mich einst dort drüben umgab und das dem über den farbigen Mitmenschen erhabenen Europäer allen Rassendünkel nahm, – denn die da drüben, die an Brahma glauben, wissen und können mehr als wir, belächeln uns und … schweigen.‘

      Ja – es war ein unbehagliches Gefühl! Wer weiß, was die Vase noch sonst an seltsamen Eigenschaften stumm bewahrte …! Eine Menschenseele sollte darin eingeschlossen sein …! Hoffentlich fiel es diesem indischen Fürsten nicht einmal ein, als Gespenst seine Urne zu verlassen …!! –

      Tory hatte es sich in einem der Sessel bequem gemacht, qualmte seine geliebten Zigaretten und schien über irgend etwas nachzugrübeln.

      Dann sagte er: „Dort unten in deinem Bücherschrank ist noch Platz. Stelle die Vase dorthin und bedecke sie.“

      Ich tat’s. Aber ich mußte auf dem mittelsten Brett erst Platz schaffen. Unten war der Raum zu niedrig. Als ich sie in den Händen hielt, schüttelte ich sie unwillkürlich und lauschte, ob sie vielleicht etwas enthielt in ihrem hohlen Inneren.

      Tory lachte. „Die Fürstenseele soll wohl klappern, wie?!“

      Ich lachte auch. Da war das Unbehagen verschwunden.

      „Setz’ dich gleichfalls, Karl,“ meinte Tory nun. „Ich habe dir viel zu erzählen.“

      Zunächst sprach er von seinem Besuch im Nebenhause bei der Frau Oberkontrolleur Schmitz.

      „Du darfst mit vollem Recht fragen, was ich dort eigentlich wollte,“ sagte er jetzt, nach einer neuen Zigarette greifend. „Ich erzähle dir von dem Manne, der in der Dachluke

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