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      „Haben Sie in der betreffenden Nacht vielleicht irgend einen außergewöhnlichen Lärm auf der Straße gehört, vielleicht einen Schrei oder laute Stimmen?“

      „Nein, nichts. Ich schlafe sehr fest, und bei geschlossenen Jalousien dringt nur wenig Geräusch in dieses Zimmer.“

      „Also Sie waren in jener Nacht zu Hause –?“

      „Ja. Ich hatte abends einen Spaziergang gemacht, kam gegen zehn Uhr heim und schrieb bis gegen zwölf. Dann ging ich schlafen und bin erst um acht Uhr aufgewacht, als meine Wirtin mir den Kaffee brachte.“

      Das sagte er mir alles so im leichtesten Plauderton, als ob es für ihn nichts auf der Welt gäbe, was ihn beunruhigen könnte. Und diese Sicherheit machte mich stutzig. –

      Sollte ich mich doch auf einer falschen Fährte befinden? Mit einem Male fühlte ich mich in dem großen, geräumigen Zimmer recht überflüssig. Während ich noch dasaß und nicht recht wußte, wie ich das Gespräch fortspinnen sollte, wanderten meine Blicke gewohnheitsgemäß über die einzelnen Möbelstücke und die Wanddekorationen hin. Neben der Tür hing eine Anzahl ausländischer Waffen, die meine Aufmerksamkeit, weil ich selbst Sammler auf diesem Gebiete bin, unwillkürlich fesselten. Es waren breite malaiische Schwerter, indische, reich verzierte Dolche, ein afrikanischer Schild aus Büffelfell, geschnitzte Kampfkeulen, Bogen, Pfeile und die verschiedensten Speere.

      „Sie haben da eine sehr reichhaltige Waffensammlung, Herr Kollins,“ sagte ich mit einer hinweisenden Handbewegung.

      „Ich habe das alles von meinen Reisen mitgebracht,“ sagte er und erhob sich. „Bitte – falls Sie sich’s näher ansehen wollen –“.

      Wir standen dicht vor den zu einer geschmackvollen Dekoration gruppierten Waffen und er erzählte mir, wo er dieses und jenes Stück erworben hatte. Aber jetzt ließ ich mich durch seine scheinbare Gleichgültigkeit nicht mehr täuschen. Mit den scharfen Augen des Kriminalisten musterte ich die einzelnen Waffen, tat dies um so hartnäckiger, als ich merkte, daß er meine Aufmerksamkeit durch seine fesselnden Erklärungen ablenken wollte. Und da – da sah ich etwas, daß mir mit einem Male klar werden ließ, wie man Heinz Adrian ermordet hatte. Die Waffengruppe war nämlich von Kollins Wirtin regelmäßig nur so weit abgestaubt worden, als die gute Frau mit dem Arm hochreichen konnte. Und daher lag auf den obersten Teilen des Büffelschildes und der Sperre eine dicke Staubschicht. Doch nicht auf allen. – Eine aus einem gut drei Meter langen Ebenholzschaft und einer messerbreiten Eisenspitze bestehende Lanze war merkwürdigerweise vollkommen sauber, und besonders fiel es mir auf, daß diese eine Spitze im Gegensatz zu den anderen Speerspitzen glänzend blank geputzt war. Sofort sagte ich mir, daß diese Lanze, anscheinend ein Zuluspeer, vor ganz kurzer Zeit von ihrem Platze herabgenommen sein mußte. Und zu welchem Zwecke dies geschehen war, darüber blieb ich mir keinen Augenblick im Zweifel. – – –

      Die Verhaftung Viktor Kollins, die ich nach diesen Beobachtungen getrost vornehmen konnte, bietet weiter keine interessanten Momente. Der Schriftsteller bestritt jede Schuld.

      Heute morgen aber fand ich in meinem Büro einen an Kollins adressierten Brief vor, den einer unserer Beamten gestern abend in der Wohnung des Verhafteten beschlagnahmte, als der Briefträger ihn brachte. Ich habe den Brief noch wörtlich im Kopf:

      „Du bist der Mörder Heinz Adrians, Viktor! Und von dieser Überzeugung könntest Du mich auch nicht abbringen, selbst wenn Du auf den Knien vor mir liegen und Deine Unschuld beteuern würdest! Eine innere Stimme sagt mir, daß Du ihn beseitigt hast. Aber umsonst hast Du Deine Hand mit Blut befleckt. So sehr ich Dich einst auch liebte – jetzt flößt Du mir nur namenloses Grauen ein. Kreuze nie wieder meinen Weg – nie wieder, wenn Du mir einen letzten Gefallen tun willst. Hättest Du Deine Leidenschaft bezähmen können – alles, alles wäre anders gekommen. Ich hatte bereits meine Vorbereitungen zur Flucht getroffen. Meines ungeliebten Bräutigams Weib wäre ich nie geworden! – Leb wohl für immer!

      Edith

      Das stand in dem Briefe. Viktor Kollins aber, dem ich das Schreiben vorlegte, hatte dieses kaum überflogen, als er auch schon auf den nächsten Stuhl sank, die Hände vor sein Gesicht schlug und schluchzend aufstöhnte: „Umsonst – umsonst!“ –

      Dann legte er ein umfassendes Geständnis ab. –

      Er war damals in der ersten Verzweiflung über die Vereitelung seiner Herzenswünsche durch Ediths Vater wirklich nach Afrika gegangen. Aber bald kehrte er nach Deutschland zurück und mietete hier in seiner Vaterstadt jenes Zimmer in der Wilhelmsstraße Nr. 16, ohne zu ahnen, daß wenige Häuser weiter derjenige wohnte, den er wie seinen Todfeind haßte. Bald nach seiner Heimkehr suchte er sich Edith, deren Verlobung der durch ein Zeitungsnotiz schon in Afrika erfahren hatte, wieder zu nähern. Zwischen den beiden entspann sich ein Briefwechsel, und es fanden auch mehrere geheime Zusammenkünfte in Dresden statt. Inzwischen rückte der Termin der Hochzeit immer näher. Kollins Angst, die Geliebte doch dem anderen überlassen zu müssen, steigerte sich von Tag zu Tag und artete schließlich in halben Wahnsinn aus. In diesem Zustande kam er auf den Gedanken, Heinz Adrian den Drohbrief zu schreiben. Da er auf diesen Brief keinerlei Antwort erhielt, faßte er den Entschluß, den Nebenbuhler für immer unschädlich zu machen. Die Gelegenheit hierzu bot sich ihm in jener Nacht, als unser Freund von der Abschiedsfeier allein heimkehrte. Kollins, der gerade die Jalousie hochgezogen und das erste Fenster geöffnet hatte, um dem Zigarettenrauch aus seinem Zimmer Abzug zu verschaffen, erkannte, als er sich für einen Moment zum Fenster hinauslehnte, seinen Feind bereits von weitem. Schnell überzeugte er sich, daß die Straße vollständig menschenleer war, riß dann den Speer von der Wand, löschte die Lampe in seinem Zimmer aus und trat an das Fenster zurück. Auf seinen Anruf blieb Heinz Adrian, wie der Mörder vorausgesehen hatte, stehen und machte sogar noch einen Schritt auf das Haus zu. Im demselben Augenblick stieß der andere ihm blitzschnell dreimal den Speer in die Brust. Und lautlos soll unser armer Freund umgesunken sein –.“

      Die Lahore-Vase

       Inhaltsverzeichnis

       1. Kapitel

       2. Kapitel

       3. Kapitel

       4. Kapitel

       5. Kapitel

       6. Kapitel

       7. Kapitel

       8. Kapitel

       9. Kapitel

       10. Kapitel

       11. Kapitel

       12. Kapitel

       13. Kapitel

       14. Kapitel

       15. Kapitel

       16.

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