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      „Soll das auf mich gehen?!“ brüllte der Konsul, der jetzt jede Selbstbeherrschung verloren hatte. „Deine Mutter hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, sich zu überzeugen, ob …“

      „Arme Mama, hast du dich zu dieser Spioniererei wirklich bestimmen lassen?“ fiel der Student dem Tobenden abermals ins Wort.

      Der Konsul schnellte empor.

      „Genug, genug, Lotterbube …!! Wir werden dir zeigen, daß …“

      Da erhob sich auch Professor Pinkemüller und streckte den Arm so gebieterisch gegen den Lasterhaften aus, daß ihm die Manschette über die Hand flog und seiner Schwester gerade in den Schoß fiel.

      „Wir könnten dich deines Lebenswandels wegen unter Vormundschaft stellen lassen,“ sagte er voll tiefster Verachtung. „Aber wir haben noch ein anderes Mittel! Dein seliger Vater, der dir gegenüber nur leider stets zu schwach gewesen ist, der schon aus dem heranwachsenden Jüngling einen eitlen Fant, einen …“

      Bis jetzt hatte Viktor sich beherrscht. Nun aber riß auch ihm der Geduldsfaden.

      „Ich verbiete mir, daß hier das Andenken an meinen Vater durch derartige Bemerkungen geschmäht wird!“ rief er mit einer Stimme, die all das Müde, Blasierte völlig verloren hatte. „Ich weiß jetzt, woran ich bin! In dieser Sache liegt System! Man will mich aus dem Vaterhause verdrängen, will mich als einen moralisch Verkommenen hinstellen! – Gut – ich gehe freiwillig! Nur verlange ich natürlich, daß …“

      Sein Zorn war schon wieder verraucht. Diese Leute hier – auch seine ihm längst völlig entfremdete Mutter, standen ihm so fern wie gänzlich Unbekannte. Für seinen Stiefvater und den scheinheiligen Professor empfand er sogar nur Verachtung. Einzig und allein die Tante Adelheid bildete eine Ausnahme, war nichts als eine Verführte, die in ihrer Altjungferlichkeit und Weltfremdheit alles glaubte, was man ihr nur mit der nötigen Überzeugungstreue vorerzählte. Sie saß denn auch jetzt ganz verschüchtert da, rang stumm die Hände und wußte nicht, wo sie die Augen lassen sollte.

      Nein – sein Stiefvater und der Professor waren es wirklich nicht wert, sich über sie aufzuregen! Und daher wurde auch Viktors zu anfangen so scharf klingende Verteidigung schnell wieder matter und ging in eine ironische Tonart über, die, freilich unbeabsichtigt, auf den Konsul den Eindruck der Unsicherheit machte und ihm den Mut gab, Viktor ins Wort zu fallen.

      „Was du zu verlangen hast und was nicht, werden wir dir nachher mitteilen. Zunächst bitte ich mir so viel Achtung aus, daß du mich nicht unterbrichst! – Wenn es lediglich deine Trunk- und Verschwendungssucht wären, die uns Sorgen bereiten, schwere, schwere Sorgen, ging das noch hin. Aber – du bist als Sohn einer hochachtbaren, hochangesehenen Patrizierfamilie dieser alten Handelsstadt schon so weit gesunken, daß du … deine Wertsachen versetzt …!! Heute Vormittag bist du in einem Leihhause gewesen …“

      „Ah – soweit geht die Spioniererei schon!“ lachte Viktor verächtlich auf.

      „… gewesen und hast Uhr und Kette deines seligen, hochverehrten Vaters, – – – Wie meintest du eben?“

      „Ekelhaft! – sagte ich.“

      Der Konsul warf seiner Frau einen Blick zu, als ob er sie ganz besonders auf diese bodenlose Frechheit aufmerksam machen wollte. – Dann fuhr er eisig fort:

      „Auch sonst bist du auf Abwege geraten, die dich notwendig in das moralische Verderben hineinführen müssen. Du bist heute, nachdem du dem Pfandleiher Katzenstein Uhr und Kette vorläufig übergeben hattest, einem jungen Mädchen nachgeeilt, hast sie …“

      „Danke für Einzelheiten. Ich weiß das alles sehr gut!“ fiel Viktor ihm ins Wort, indem er sich mit übertriebener Höflichkeit verbeugte. „Wenn irgend etwas mir die Augen über diese Umtriebe hier zu öffnen im Stande war, so ist es diese harmlose Geschichte. Ich glaube, daß mein mißglücktes Abenteuer von heute noch immer anständiger ist, als wenn ein Familienvater und Pädagoge in aller Heimlichkeit Kneipen aufsucht, die …“

      „Bube – Bube!!“ Der Professor war aufgesprungen. Wieder flog ihm die rechte Manschette über die Hand und auf Viktor wie ein weißes Geschoß zu. Der stieß sie mit dem Fuß bei Seite …

      „Bube – wagst du mich etwa zu verdächtigen?! – Schwager – heraus jetzt mit dem, was zu sagen ist, damit dieser junge Mensch einsieht, daß wir – wir seine Meister sind …!!“

      Eine Dunstwolke von Haß und unüberwindlicher Feindseligkeit schien das Zimmer zu füllen.

      Gegensätze prallten hier aufeinander, wie sie kaum größer sein konnten …

      3. Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Als mein Freund Viktor eine Stunde nach der soeben geschilderten Familienaussprache bei mir erschien, sah ich ihm sofort an, daß etwas Außergewöhnliches seiner nur schwer zu erschütternden, leicht blasierten Ruhe und seiner beneidenswerten Abgeklärtheit einen argen Stoß versetzt haben mußte.

      Mein Erstaunen wuchs, als hinter ihm ein Dienstmann auftauchte, der einen mächtigen gelben Reisekoffer schleppte.

      „’n Tag, Karl. Du bekommst Besuch,“ sagte er, indem er mir seine tadellos gepflegte Hand hinstreckte, deren Nägel er stets lackierte, so daß sie förmlich schillerten. „Stellen Sie den Koffer nur dorthin,“ wandte er sich an den Dienstmann. „Bringen Sie jetzt noch die beiden anderen Stücke herauf.“ –

      Wir waren allein. Der Dienstmann polterte die dunkle Stiege hinab, die zu meiner Mansardenwohnung hinaufführte. Es waren dies drei Räume; wenn man die winzige Küche mitrechnete, sogar vier, nämlich ein zweifenstriges und ein einfenstriges Zimmer, eine Kammer und die erwähnte Küche.

      Ich war bisher nicht zu Wort gekommen, fragte nun:

      „Was ist denn eigentlich los, Tory?“

      Tory, das war sein Spitzname von der Universität her, weil es gerade damals Mode war, alles Überfeine mit ‚hochtory‘ zu bezeichnen. –

      Er hatte sich in den Schaukelstuhl geworfen und die Beine lang von sich gestreckt.

      „Ich bin obdachlos, Karl,“ meinte er, leicht die Stirn runzelnd. „Man hat mich aus dem Elternhause verjagt, besser – weggeekelt! Ein ganzes Komplott, sage ich dir – wahrhaftig! Heute war große Familiengerichtssitzung. Zum Schluß wurde mir ein mir bisher verheimlichter Passus im Testament meines Vaters vorgelesen. Diese Nachschrift enthält die Bestimmung, daß mir mein Vermögen unter gewissen Umständen auch nach Vollendung des 25. Lebensjahres nicht ausgehändigt werden solle. Ob diese Umstände vorliegen oder nicht, hätte der Familienrat zu bestimmen, bestehend aus meiner Mutter, dem Pinkemüller und der Tante Adelheid. –

      Der Familienrat hat heute gesprochen. Zugegen war natürlich noch der Herr Konsul, der jetzt in meinem elterlichen Hause allein entscheidet, was gut oder schlecht, was moralisch oder unmoralisch ist. Kurz, meine Hoffnung, binnen acht Tagen endlich über mein Erbteil frei verfügen zu können, ist hinfällig geworden! – Nicht genug damit, hat der hohe Gerichtshof noch dahin entschieden, der Student der Rechte Viktor Ruhnau gibt seine Studien auf und tritt sofort in das Geschäft seiner Mutter, die Firma ‚Ernst Ruhnau, Zucker- und Getreideexport’ als Lehrling ein. – – Fein, was?!“

      Ich war tatsächlich sprachlos. Erst nach einer Weile platzte ich heraus: „Wie konnte dein Vater nur eine solche Bestimmung treffen?! Er wußte doch …“

      Tory winkte ab. „Rege dich nicht auf, Karlchen! – Mein Vater war der beste Mensch unter der Sonne, – nur Einflüsterungen leicht zugänglich. Diesen Nachtrag zu seinem Testament verdanke ich fraglos dem damaligen Herrn ersten Prokuristen, meinem späteren Stiefvater. –

      Papa starb vor sechs Jahren, gerade als ich mein Abiturexamen bestanden und im Anschluß daran ihm runde tausend Mark Schulden aus der fidelen Primanerzeit in dem alten Ordensstädtchen

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