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kostete Dr. Scheibler Überwindung, diese Frage auszusprechen.

      »In meinem Kopf«, antwortete Stefanie leise. »Es ist, als wäre alles leer.«

      »Wie heißt du?« wollte Dr. Metzler wissen.

      »Stefanie«, antwortete sie ohne zu überlegen. »Stefanie Metzler… nein, Scheibler.« Der Ansatz eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. »Ich bin ja jetzt verheiratet.« Sie wandte den Kopf, bis sie ihren Mann anschauen konnte. »Gerrit, ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß, daß ich mit den Kindern im Supermarkt war, aber dann ist alles dunkel.«

      »Und… jetzt?« hakte Dr. Scheibler nach. Die Angst, Stefanie könnte wieder erblindet sein, saß ihm noch immer im Herzen.

      Das begriff auch Stefanie. Mit einiger Mühe streckte sie die rechte Hand aus und berührte Dr. Scheiblers Arm.

      »Keine Sorge, Gerrit, ich bin nicht wieder blind geworden«, meinte sie. »Meinen Augen ist nichts passiert.«

      »Und du kannst dich nicht erinnern…«, begann Dr. Metzler, doch er wurde von der hereinstürzenden Oberschwester Lena Kaufmann unterbrochen.

      »Herr Chefarzt, schnell, ein Notfall!« stieß sie hervor.

      Nahezu gleichzeitig sprangen Dr. Metzler und Dr. Scheibler auf.

      »Ich komme gleich wieder«, versprach Gerrit seiner Frau, dann folgte er seinem Schwager in die Notaufnahme.

      Hier lag ein Mann, der sich vor Schmerzen krümmte.

      »Mein Bauch«, stöhnte er. »Es tut so weh!«

      Die beiden Ärzte traten an die Untersuchungsliege.

      »Drehen Sie sich bitte auf den Rücken«, bat Dr. Metzler. »Und dann zeigen Sie mir, wo genau Sie Schmerzen haben.«

      »Ich weiß es nicht«, ächzte der Mann. »Es tut überall weh… richtige Krämpfe… und es brennt.«

      »Übelkeit?« wollte Dr. Metzler wissen.

      Der Mann nickte. »Ich mußte mich im Wald übergeben.«

      »Was haben Sie gegessen?«

      »Ein Salamibrot und… und ein bißchen Quellwasser habe ich getrunken… von dem Bach im Wald.«

      »Der ist absolut sauber«, beruhigte Dr. Metzler ihn. »Ich fürchte eher, daß die Salami nicht mehr ganz frisch war. Sie haben sich vermutlich eine böse Lebensmittelvergiftung zugezogen.«

      »Ich habe die Wurst vor einer Stunde erst beim Metzger hier in Steinhausen geholt«, entgegnete der Mann und krümmte sich dabei wieder vor Schmerz.

      Unschlüssig sahen sich die beiden Ärzte an. Die Steinhausener Metzgerei war bekannt für ihre absolut frischen Fleisch- und Wurstwaren.

      »Und sonst haben Sie nichts gegessen?« vergewisserte sich Dr. Scheibler.

      Der Mann schüttelte den Kopf, hielt aber mitten in der Bewegung inne. »Doch, heute früh, eine Scheibe Toast mit Marmelade. Und Kaffee.«

      Dr. Scheibler tastete gewissenhaft die rechte Unterbauchseite ab, dann schüttelte er den Kopf.

      »Der Blinddarm ist es nicht«, meinte er. »Und Lebensmittelvergiftung können wir auch ausschließen.«

      »Haben Sie noch andere Beschwerden?« wollte Dr. Metzler wissen.

      »Als ich in die Klinik kam, hatte ich schrecklichen Durchfall«, erklärte der Mann mühsam. »Und mein Hals… er fühlt sich wie zugeschnürt an. Ich kann kaum schlucken… es… es brennt richtig, aber das kommt vielleicht auch vom Erbrechen.« Er stockte. »Es war Blut dabei.«

      Diese Beschreibung führte dazu, daß in Dr. Metzlers Kopf eine Alarmglocke schrillte. Er wandte sich der Oberschwester zu.

      »Bringen Sie mir sofort einen Katheter. Ich muß eine Urinanalyse durchführen.« Dann sah er den Patienten wieder an. »Waren Sie in der Nähe des Chemiewerks?«

      Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich war nur im Wald.«

      »Haben Sie da irgend etwas gegessen? Irgendwelche Beeren beispielsweise?«

      »Nein, aber selbst wenn… ich kenne mich bei diesen Dingen gut aus und weiß, was giftig ist und was nicht.«

      Jetzt kehrte Oberschwester Lena mit dem Katheter zurück.

      »Versuchen Sie sich trotz Ihrer Bauchschmerzen zu entspannen«, bat Dr. Metzler. »Das Katheterisieren ist nicht angenehm, aber es geht schnell und tut nicht weh.«

      Und die nachfolgende Urinanalyse ergab genau den Befund, mit dem Dr. Metzler insgeheim schon gerechnet hatte, obwohl er nach wie vor keine Ahnung hatte, wo sich der Mann vergiftet haben konnte.

      »Arsenvergiftung«, erklärte er zu Dr. Scheibler gewandt. »Gerrit, du nimmst umgehend eine Magenspülung vor, anschließend bekommt der Mann im Vier-Stunden-Rhythmus jeweils eine Ampulle Dimercaprol.«

      Dr. Scheibler beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen. Bereits nach der ersten Magenentleerung nahm Dr. Metzler eine erneute Untersuchung vor und fand seine erste Diagnose bestätigt. Im Magen des Mannes befanden sich Reste von Arsen. Während Dr. Scheibler eine erneute Magenspülung vornahm, bereitete der Chefarzt schon die Injektion des Chelatbildners vor, der das Gift im Körper des Mannes binden und auswaschen würde.

      »Das Einspritzen des Medikaments ist sehr unangenehm«, warnte Dr. Metzler den Mann, bevor er die Injektion setzte. »Und Sie müssen mit Nebenwirkungen wie Übelkeit, Hitzegefühl in der Kehle und Kopfschmerzen rechnen.«

      Der Mann nickte nur. Er war von der Magenspülung zu erschöpft, um eine Antwort zu geben. Und im Grunde war es ihm auch völlig egal, was der Arzt mit ihm machte. Wenn nur die Schmerzen und das gräßliche Engegefühl in der Kehle endlich aufhören würden!

      »Bringen Sie den Mann auf Intensiv«, wies Dr. Metzler die Oberschwester an. »Er muß ausreichend Flüssigkeit bekommen, und wenn er wegen des Brechreizes, der sich durch das Medikament möglicherweise einstellt, nicht trinken kann, dann benachrichtigen Sie mich, damit ich ihm eine Infusion legen kann.«

      Oberschwester Lena nickte, dann brachte sie den Patienten auf die Intensivstation.

      »Gerrit, sorgst du bitte dafür, daß der Mann heute und morgen alle vier Stunden das Dimercaprol bekommt? Und grundsätzlich ins Gesäß spritzen.«

      Dr. Scheibler nickte. »Was glaubst du, Wolfgang, wo kann er sich diese Arsenvergiftung geholt haben?«

      Dr. Metzler zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Weißt du, einen Augenblick dachte ich an Waldfrüchte. In einigen Pestiziden, die in der CHEMCO hergestellt werden, ist Arsen enthalten, und obwohl es in Steinhausen und Umgebung nicht verwendet wird, könnte ja doch – auf welchem Weg auch immer – etwas von diesen Pestiziden auf den hiesigen Pflanzen gelandet sein und die Früchte vergiftet haben. Aber wenn er nichts gegessen hat…« Wieder zuckte er die Schultern. »Ich weiß es nicht, aber Tatsache ist, daß er eine akute Arsenvergiftung hatte.«

      *

      Eine Stunde nach ihrer Verlegung von der Intensiv- auf die normale Station bekam Stefanie Scheibler Besuch von Dr. Daniel. Und an ihren rotgeweinten Augen erkannte er, daß sie inzwischen Bescheid darüber wußte, was mit ihrem Baby passiert war.

      Mit einer väterlichen Geste ergriff er Stefanies Hand und hielt sie fest.

      »Ich habe mein Baby verloren«, waren dann auch ihre ersten Worte, und dabei hatte sie schon wieder Mühe, die Tränen zurückzuhalten.

      »Ich weiß, Steffi«, entgegnete Dr. Daniel leise. »Und ich kann mir vorstellen, wie weh dir das tut. Aber schau mal, du warst doch zuerst so erschrocken, als du deine Schwangerschaft bemerkt hast, und zu jenem Zeitpunkt hast du dich beinahe danach gesehnt, nicht schwanger zu sein.«

      Stefanie schluchzte auf. »Sie haben ja recht, Herr Doktor, aber…« Hilflos zuckte sie die Schultern. »Gerrit und ich haben uns trotzdem auf das Kind gefreut. Und jetzt…«

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