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zu lösen, ließ der Druck an meiner Hand nach und das ängstliche Gesicht meiner Freundin, das noch blasser als gewöhnlich war, verschwand aus meinem Blickfeld. Dafür tauchte die nicht minder beunruhigte Miene meiner Lehrerin auf und dann bemerkte ich auch die vielen anderen Gesichter um mich herum. Ich wurde von allen Seiten neugierig beäugt und hörte aufgeregtes Getuschel.

      Oh Shit! Entsetzt schloss ich die Augen, in der Hoffnung, dies alles wäre nur ein ganz übler Traum. Doch als ich sie wieder öffnete, begriff ich, dass ich mich tatsächlich auf dem Fußboden des Klassenzimmers befand.

      »Ich bin okay«, versuchte ich zu sagen, um der ganzen Situation etwas von ihrer Peinlichkeit zu nehmen. Doch statt eines sinnvollen Satzes brachte ich nur ein unverständliches Krächzen zustande. Kein Wunder. Es fühlte sich an, als hätte ich Sand geschluckt.

      Aber als ob jemand meine Gedanken gelesen hätte, tauchte unvermittelt eine blaue Plastikflasche vor meiner Nase auf.

      »Sie sollte vielleicht etwas trinken.«

      Die Stimme gehörte weder Kathy noch Mrs. B. Sie klang unglaublich angenehm und war eindeutig männlich.

      Ich hätte dem Typen mit der sexy Stimme gerne mitgeteilt, wie angetan ich von seinem Vorschlag war, aber wieder kam nur das scheußliche Geräusch aus meinem Mund. Und überhaupt fühlte ich mich grauenhaft. Alles tat mir weh und ich war unfähig, mich zu bewegen. Hoffentlich hatte ich mir nichts gebrochen.

      »Ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir …« Meine Lehrerin zögerte, doch zum Glück war Kathy wieder zur Stelle. Wie eine gelernte Krankenschwester stützte sie meinen Kopf und hielt mir die Flasche an den Mund, ohne Mrs. Brewsters Zustimmung abzuwarten.

      Das Zeug schmeckte fantastisch. Leicht süßlich, auch wenn ich nicht sagen konnte, wonach. Egal, Hauptsache das pelzige Gefühl in meinem Mund verschwand endlich. Leider hielt mein Glückgefühl nicht lange an. Viel zu schnell war die Flasche leer, aber immerhin fühlte ich mich etwas besser. Nein, eigentlich fühlte ich mich sogar sehr viel besser. »Was ist denn passiert?« Selbst meine Stimme klang jetzt beinahe wieder normal und davon ermutigt, setzte ich mich auf, ohne Mrs. Brewsters Protest zu beachten.

      Etwas schwindlig, aber sonst ganz okay, analysierte ich für mich meinen Zustand.

      »Du bist einfach zur Seite gekippt«, klärte Kathy mich auf. Sie wirkte noch immer verstört. »Und danach warst du wie tot. Du hattest nicht mal mehr Puls und dann hast du plötzlich geröchelt und …«

      »Hören Sie auf, so einen Unfug zu reden, Kathy!«, fiel ihr Mrs. Brewster scharf ins Wort. »Celia war nur kurz ohnmächtig. Mehr nicht. Und warum das passiert ist, wird die Schwester klären.«

      Wie aufs Stichwort erschien Schulschwester Kendall und übernahm augenblicklich das Kommando. Sie scheuchte alle schaulustigen Schüler bis auf Kathy aus dem Raum. Mrs. Brewster hatte sich ebenfalls nicht gerührt und sah zu, wie Mrs. Kendall meine Hand nahm, um meinen Puls zu überprüfen.

      »Na, fühlt sich doch recht gut an. Sie sind Celia McCall, nicht wahr?« Sie lächelte mich freundlich an und während ich nickte, ertönte der Schulgong.

      Mrs. Brewster räusperte sich. »Ähm, ich habe jetzt gleich nebenan Unterricht. Brauchen Sie mich hier noch, Mrs. Kendall?«

      Die Schwester schüttelte den Kopf. »Gehen Sie nur. Ich denke, ich nehme die junge Dame erst mal mit und dann sehen wir weiter. Können Sie aufstehen und gehen, Kindchen?«

      Seitdem ich getrunken hatte, ging es mir gut, auch wenn das Schwächegefühl noch nicht ganz verschwunden war, aber ich nickte zuversichtlich. Kathy half mir beim Aufstehen, nahm meinen Rucksack, und während wir hinter der Schwester den leeren Flur entlanggingen, beschäftigte mich, wer wohl die geniale Idee mit der Flasche gehabt hatte. Ehe ich Kathy jedoch danach fragen konnte, hatten wir das Krankenzimmer erreicht.

      »Aber ich fühle mich wirklich schon wieder super«, protestierte ich, als Mrs. Kendall mich auf die Krankenliege dirigierte und eine dünne Wolldecke über mir ausbreitete.

      Sie ignorierte meinen Einwand und sagte zu Kathy mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: »Sie können vor der Mittagspause wiederkommen und sehen, wie es Ihrer Freundin geht.«

      Widerstand war bei Schwester Kendall offenbar zwecklos, also nickte Kathy nur eingeschüchtert und schnappte sich ihre Tasche. Nachdem sie sich getrollt hatte, »genoss« ich wieder die volle Aufmerksamkeit der Krankenschwester.

      »Hatten Sie früher schon einmal so einen Schwächeanfall?«

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Haben Sie heute schon etwas gegessen?«, forschte sie weiter und wirkte dabei, als würde sie nicht eher aufgeben, bis sie den Grund für meine Ohnmacht ergründet hatte. Also entschied ich mich für eine kleine Notlüge und behauptete einfach, mein Frühstück ausnahmsweise vergessen zu haben.

      Beruhigt, die Ursache so schnell gefunden zu haben, verschwand sie im Nebenzimmer. Ich hörte ein Klappern und kurz darauf erschien sie mit einem Käsesandwich und einer Tasse.

      Nachdem ich unter ihren wachsamen Blicken die Hälfte des trockenen Sandwiches heruntergewürgt und etwas an der heißen Flüssigkeit genippt hatte, die ich als Pfefferminztee identifizieren konnte, ließ sie mich endlich allein. Allerdings nicht, ohne kopfschüttelnd etwas von magersüchtigen Teenagern und unverantwortlichem Verhalten vor sich hin zu murmeln.

      Auf einmal merkte ich, dass ich doch noch nicht so fit war. Vielleicht war es ganz gut, dass ich mich ausruhen konnte. Allein und ohne noch mehr nervige Fragen.

      Während ich mit geschlossenen Augen auf der Krankenliege vor mich hin döste, dachte ich darüber nach, was überhaupt passiert war.

      Der Neue. Ich hatte ihn beobachtet und dann hatte er sich ganz plötzlich umgedreht. Erschrocken riss ich die Augen auf, als mir der »Stromschlag« wieder einfiel. Ich wusste genau, wie sich so etwas anfühlte, denn ich hatte schon mal einen leichten von einer kaputten Lampe bekommen. Aber das heute, das war sehr viel intensiver gewesen. Und dann diese seltsame Welle, die Kälte und die furchtbaren anderen Dinge. Ich schauderte. Das alles hatte sich so schrecklich echt angefühlt.

      Und ich erinnerte mich an noch etwas - den Blick des Neuen. Der Typ hatte wütend ausgesehen. Aber weshalb? Weil ich ihn angestarrt hatte? Nein. Das konnte nicht der Grund gewesen sein. Schließlich war es doch normal, am ersten Tag in einer neuen Schule Aufmerksamkeit zu erregen. Konnte ich ihn sonst irgendwie verärgert haben? Wieder lautete meine Antwort nein. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen, also wie hätte ich?

      Das alles ergab überhaupt keinen Sinn. Genauso wenig wie zu glauben, dass ich nur durch seinen Blick ohnmächtig geworden war. Schon es so zu formulieren, klang idiotisch. Nein, es musste eine ganz einfache und logische Erklärung für das Ganze geben.

      Genau, das musste es sein! Er hatte bestimmt nur an etwas Unangenehmes gedacht und dabei zufällig in meine Richtung gesehen. Und ich? Ich hatte vergessen zu atmen vor Schreck, weil ich von ihm ertappt worden war. Tja, und wenn man keine Luft bekam, konnte man auch ohnmächtig werden. Das war alles. Aus! Ende! Das nächste Mal, wenn ich ihn sah, würde ich bestimmt nicht noch mal umfallen und keine gruseligen Sachen erleben.

      Doch beim Gedanken daran, ihm wieder zu begegnen, verspürte ich ein eigenartiges Kribbeln in meinem Magen.

      »… und dann hat’s plötzlich Rums gemacht und sie lag auf dem Boden.«

      Kathy erzählte die Story von meinem Zusammenbruch gefühlt schon zum zehnten Mal, während ich genervt in meinen Nudeln herumstocherte. Inzwischen waren sie ganz kalt und schmeckten überhaupt nicht mehr.

      »Können wir vielleicht mal das Thema wechseln.«

      Abby war ein Schatz. Natürlich wusste sie, dass ich nichts mehr hasste, als im Mittelpunkt zu stehen, und mit der bescheuerten Ohnmachtsaktion war es mir gelungen, das Thema des ersten Schultages zu werden.

      Vielleicht hätte ich Schwester Kendalls Angebot doch annehmen und lieber nach Hause fahren sollen.

      »Oh ja genau, lasst uns lieber über den Neuen reden.

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