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Krallenspur. Lara Seelhof
Читать онлайн.Название Krallenspur
Год выпуска 0
isbn 9783981851915
Автор произведения Lara Seelhof
Издательство Автор
»Du sagst es, Mann. Brauchten nur dringend noch was zu beißen. Magst du?« Doug hielt Abby grinsend sein Schinkensandwich unter die Nase, die erwartungsgemäß angewidert das Gesicht verzog.
»Weißt du nicht, dass zu viel Fleisch total ungesund ist?«, murmelte sie pikiert.
»Quatsch, ungesund. Das ist pure Energie. Eiweiß, verstehst du? Als Leistungssportler braucht man das«, widersprach Doug ihr schmatzend und klopfte sich stolz auf seine breite Brust.
Er überragte uns deutlich und erinnerte mich immer ein bisschen an einen Grizzlybären. Keine Ahnung, warum, denn dieser »Bär« hier hatte hellblonde, kurz geschorene Haare und jede Menge Sommersprossen auf seiner knolligen Nase, die schon etliche Male gebrochen worden war. Er war Linebacker in unserer Footballmannschaft und deswegen ständig in irgendwelche Auseinandersetzungen mit dem gegnerischen Quarterback verwickelt. Zusammen mit Tyler hing er immer mit uns rum.
»Stimmt’s nicht, Ty?« Doug klopfte seinem Kumpel, der ebenfalls an seinem Sandwich kaute, so derb auf die Schulter, dass dieser sich prompt verschluckte.
»Genau … grrch … Kumpel«, keuchte Tyler und hustete heftig, während sich die Farbe seines Gesichts bedrohlich dem Rotton seiner Haare annäherte.
Er war einen halben Kopf kleiner als Doug, nicht so muskulös, dafür aber drahtig und wendig, was ihm auch seine Position in der Mannschaft beschert hatte, Wide Receiver. Als schnellster Spieler auf dem Feld war es seine Aufgabe, die Bälle des gegnerischen Quarterbacks abzufangen und damit davonzusprinten. Auch seine für einen Jungen erstaunlich zierliche Stupsnase hatte schon einiges abbekommen. Wenn er nicht gerade zu ersticken drohte, war seine Haut blass und wie Dougs mit einem wirren Haufen Sommersprossen übersät.
»Leistungssportler, pah!«, schnaubte Abby missbilligend und setzte schon zu einem ihrer Vorträge über die Auswirkungen übertriebenen Fleischkonsums an, als der Schulgong sie unterbrach.
Eilig sammelten wir unsere Taschen und Rucksäcke ein und verabredeten uns für die Mittagspause in der Schulcafeteria, ehe wir in unterschiedliche Richtungen aufbrachen.
Wenig begeistert machte ich mich gemeinsam mit Kathy auf den Weg zu unserem Unterrichtsraum. Mathematik bei Mrs. Brewster und das am Montagmorgen in der ersten Stunde nach den Ferien, das war eindeutig die Höchststrafe.
Ich war mir sicher, dass der Montag nicht unbedingt mein Lieblingstag der Woche werden würde.
Es wurde auch nicht besser, als ich mich neben Kathy in der zweiten Reihe niederließ. Warum waren wir bloß so spät gekommen? Nun waren nur noch Plätze in den ersten beiden Reihen frei. Weiter hinten und außer Reichweite der gestrengen Lehreraugen hätte ich mich sehr viel wohler gefühlt. Aber ich war offensichtlich nicht die Einzige, die so dachte.
Genervt hob ich meinen Rucksack hoch, angelte nach meinem Ordner und dem Block, aber als ich mich auf die Suche nach meinem Kugelschreiber machen wollte, ließ mich Kathys lautes Schnaufen wieder aufschauen. Sie hockte mit offenem Mund da und als ich ihrem Blick zur Tür folgte, blieb auch mir die Luft weg.
Oh Mann! Sie hatte vollkommen recht. Der Typ war einfach … der Hammer!
Zum Glück war mein Mund wenigstens noch geschlossen, auch wenn ich ansonsten bestimmt genauso dumm guckte wie Kathy. Doch der Neue schien gar nicht zu bemerken, dass ihn jeder im Raum anstarrte.
»Guten Morgen, Herrschaften!«
Nicht nur ich zuckte bei Mrs. Brewsters durchdringender Stimme zusammen. Unbemerkt von uns allen war sie hereingekommen, stellte schwungvoll ihre Tasche auf den Tisch und begann ohne Umschweife mit ihrem Unterricht.
»Wie Sie sich sicher vorstellen können, haben wir in diesem Schuljahr wieder jede Menge Arbeit vor uns. Wir werden in den kommenden Wochen …« Was die gute Brewster genau für uns geplant hatte, bekam ich allerdings nicht mehr mit.
Da dem Neuen nur noch die Reihe vor uns geblieben war, saß er jetzt direkt vor meiner Nase und ich konnte gar nicht anders, als ihn anzustarren, denn aus der Nähe sah er noch heißer aus.
Er war groß und durchtrainiert, aber nicht auf diese übertriebene Art wie Doug, der fast jede freie Minute außerhalb des Spielfeldes seine Muskeln stählte. Dem Neuen schien sein Aussehen wohl eher egal zu sein, denn sonst hätte er kaum eine zerrissene Jeans und ein verwaschenes T-Shirt, das irgendwann einmal schwarz gewesen sein musste, für den ersten Schultag ausgesucht.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Direktor Wilcox von seiner Kleiderwahl sonderlich begeistert gewesen war. Vermutlich ebenso wenig wie von seinem lässigen Dreitagebart und den Haaren, die ihm bis weit in den Nacken reichten und nach Schulordnung eindeutig zu lang waren.
Ich unterdrückte ein Seufzen. Man würde ihn garantiert zwingen, sie abzuschneiden und sich anständig zu rasieren, was echt schade war, denn genau dieser nachlässige Look ließ ihn doch so verflixt cool aussehen. Auch jetzt hingen ihm Haarsträhnen in den Augen, während er scheinbar aufmerksam verfolgte, was Mrs. Brewster an die Tafel schrieb.
Vorsichtig sah ich mich um und stellte fest, dass ich die Einzige war, die sich nicht für den Unterrichtsstoff interessierte. Eigentlich kein Wunder. Mrs. Brewster hatte aus gutem Grund den Ruf, die strengste Lehrkraft der Schule zu sein. Aber zum Glück achtete sie nicht auf mich und so würde ich mich weiter meinem speziellen »Studium« widmen können.
Allerdings hatte ER anscheinend gespürt, dass ich ihn beobachtete. Jedenfalls drehte er plötzlich den Kopf und …
Überrascht schnappte ich nach Luft. Es war, als hätte ich einen Stromschlag bekommen, und mir wurde schwindlig. Doch obwohl alles um mich herum verschwamm, sah ich noch immer seine Augen deutlich vor mir. Sie waren grau und der Ausdruck darin alles andere als freundlich. Ich versuchte wegzusehen, aber es gelang mir nicht. Sein eiskalter Blick hielt mich auf eine seltsame Art gefangen.
Es endete abrupt, als mich diese merkwürdige eisige Welle erfasste. Natürlich gab es hier nicht wirklich Wasser, aber es fühlte sich genauso an. Und was auch immer es war, es raubte mir den Atem und riss mich zu Boden. Ich krümmte mich verzweifelt zusammen, während meine Zähne unkontrolliert aufeinanderzuschlagen begannen. Flüssiges Eis schien durch meine Adern zu rinnen und zitternd schlang ich die Arme um meinen Körper, um mich zu wärmen. Doch es half nichts. Ich fror entsetzlich. Aber als ich glaubte, es nicht länger aushalten zu können, verschwand das eigenartige Kältegefühl so plötzlich, wie es gekommen war. Bevor ich aufatmen konnte, geschah jedoch etwas noch viel Schlimmeres. Ich fühlte eine unglaubliche Wut in mir. Nein, Hass. Ich sann auf Rache, aber die Verzweiflung und die entsetzliche Einsamkeit, die gleichzeitig in mir kämpften, raubten mir jede Kraft.
»Nein, bitte nicht, nein …«, hörte ich eine wimmernde Stimme in meinem Kopf und spürte, wie heiße Tränen über meine Wangen liefen. Ich konnte nicht mehr. Bitte, es musste doch endlich aufhören. Es musste einfach …
Aber es gab kein Entrinnen für mich. Die Gefühle verwandelten sich nur in schwarze Rauchschwaden, die höhnisch grinsend um mich herumtanzten und sich dann zu einem riesigen Schleier vereinigten. Ich versuchte, um Hilfe zu rufen, als sich das undurchdringliche finstere Nichts auf mein Gesicht legte und sich den Weg durch meine zusammengepressten Lippen erzwang. Verzweifelt schluckte ich, rang nach Atem, schluckte wieder, würgte … aber es half nichts. Die Schwärze drang tiefer und tiefer, bis in meine Lungen, und dann bekam ich keine Luft mehr …
»Celia? Hörst du mich? Bitte sag doch was!«
Verwirrt starrte ich auf das weiße Gesicht, während ich mir den Kopf zerbrach, woher ich es kannte und warum es direkt über mir schwebte.
Kathy? … Ja. Langsam begriff ich. Es war meine Freundin Kathy Marshall, die sich mit besorgtem Gesichtsausdruck über mich beugte, und dann wurde mir auch klar, dass das taube Gefühl meiner linken Hand von ihrer Hand kam, die meine beinahe zerquetschte.
»Bleiben Sie ganz ruhig liegen, Celia. Die Schulschwester wird gleich hier sein.«
Ich runzelte die Stirn.