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und niemand von den anderen Gästen mitbekam, was dort in Wahrheit ablief.

      Als sich der Kerl ihrem Hals näherte, war er bereits an der Treppe, die in den Keller führte. Der Angestellte, der sie bewachte und ein Zwillingsbruder des Türstehers vor dem Club hätte sein können, machte ihm erwartungsgemäß auf die gleiche wortkarge, aber zuvorkommende Weise Platz.

      Am Ende der Steintreppe angekommen, öffnete er die Metalltür und modriger Geruch schlug ihm entgegen. Wieder spendete eine verstaubte Glühlampe dürftiges Licht. Er wandte sich nach links und folgte dem Gang, bis er von einem Holzregal gestoppt wurde, in dem sich allerlei Gerümpel stapelte. Zwischen staubigen Kisten, Stricken und stockfleckigen Tüchern stand im obersten Fach ein Weidenkorb, gefüllt mit leeren Flaschen. Sie klirrten leise, als das Regal nach einem kurzen Druck auf eins der Astlöcher zur Seite glitt. Als es sich von selbst wieder hinter ihm schloss, sah er nicht zurück, sondern durchquerte bereits den Lagerraum, die Tür auf der gegenüberliegenden Seite im Blick.

      Sollten sich Clubgäste trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch bis hierher verirren, würde sie hinter der einfachen grauen Metalltür – bereits sie war eine perfekte optische Täuschung – nur ein weiterer Raum mit Kisten und alten Möbeln erwarten. Doch wie alle Eingeweihten sah er den riesigen Messingtürklopfer, der die Form eines Wolfsschädels hatte, ergriff ihn und ließ ihn gegen das edel polierte Eichenholz schlagen, aus dem die Tür tatsächlich war. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er ein.

      Der blutrote dicke Teppich schluckte jedes Geräusch, als er gemessenen Schrittes das Arbeitszimmer durchquerte. Er hatte erwartet, Gealdor an seinem Schreibtisch vorzufinden, doch der hochgewachsene, schwarzhaarige Mann stand vor dem Kamin. Er schien sein Eintreten gar nicht bemerkt zu haben, denn er wandte ihm weiterhin den Rücken zu und starrte in das flackernde Feuer vor sich.

      Wortlos blieb er hinter ihm stehen. Er zögerte kurz, doch dann neigte er den Kopf und beugte sein Knie. Bei seinem Eintreten hatte er sich nicht in dem Raum umgesehen und auch jetzt tat er es nicht. Gealdor hatte ihn schon einmal in seinem elegant möblierten Arbeitszimmer mit der hohen Decke und den silbernen Kerzenleuchtern empfangen. Schweigend hielt er den Kopf gesenkt und verharrte in seiner knienden Position geduldig, bis Gealdor ihn mit einer lässigen Handbewegung anwies, sich zu erheben. Während er sich aufrichtete, drehte sich auch der Mann endlich zu ihm um und dabei blitzten die Silberstickereien auf seinem weißen Seidenkaftan im Kerzenlicht auf.

      Gealdor besaß einen ausgesprochen extravaganten Geschmack, aber - ob er ihn nun teilte oder nicht - er musste zugeben, dass er einem gut aussehenden Mann gegenüberstand. Der dunkle Bart betonte Gealdors markante Züge und sein glattes schwarzes Haar trug er inzwischen länger als bei ihrer letzten Begegnung. Es musste ihm bis auf die Schultern reichen, wenn er es nicht wie jetzt mit einem schwarzen Lederband zusammengebunden hatte. Als der Mann seine schmalen Lippen zu einem Lächeln verzog, erschienen unzählige kleine Lachfältchen um seine Augen, und er fühlte sofort den bohrenden Schmerz, denn diese lachenden Augen gehörten doch eigentlich jemand anderem. Jemandem, den er vor sehr langer Zeit verloren hatte.

      Doch er zwang sich, seine unbewegte Miene aufrechtzuerhalten, und Gealdor bemerkte sein Unbehagen offenbar nicht. Noch immer lächelnd trat er zu ihm und umarmte ihn.

      »Wunderbar, dass du so schnell kommen konntest. Ich fürchtete schon, du wärst zu beschäftigt.«

      »Kein Problem.«

      Schnell löste er sich aus der für ihn unangenehmen Umarmung und stellte erleichtert fest, dass seine Stimme genauso gleichgültig klang, wie er es beabsichtigt hatte. »Mein Auftrag war bereits erledigt, als ich Eure Nachricht bekam …« Ein zynisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Sein Handy hatte genau in dem Moment vibriert, als er das Blut von der Klinge abgewischt hatte. »… und ich hatte den Eindruck, es wäre dringend, Êvrîssê.«

      »Allerdings. Das ist es. Aber warum denn so förmlich, mein Lieber?« Gealdors Lächeln wurde eine Spur breiter. »Wir sind doch verwandt.«

      »Nun … Ihr seid aber auch ein Mitglied des GraMaars, Êvrîssê …«

      Natürlich war das ein Vorwand. Er wusste es und der jüngere Bruder seines Vaters wusste das auch.

      »Von mir aus. Wenn du darauf bestehst … Karganî.« Der Spott in Gealdors Stimme war unüberhörbar. »Aber nun genug der Höflichkeiten, ich habe einen Auftrag für dich.«

      »Habt Ihr vergessen, für wen ich arbeite?« Seine Stimme klang schärfer, als er es beabsichtigt hatte.

      Doch sein Onkel blieb gelassen. »Keineswegs. Die Anordnung stammt selbstverständlich vom GraMaar. Ich wurde in diesem sehr speziellen Fall nur mit der Weitergabe an dich beauftragt.« Er machte eine Pause, als erwartete er eine Reaktion von ihm. Als sie ausblieb, fuhr er fort: »Der Auftrag ist von größter Wichtigkeit und … er muss schnellstens erledigt werden.«

      Er war ein aufmerksamer Beobachter und ihm entging nicht, dass sich die Stimmung seines Onkels verändert hatte. Er wirkte jetzt angespannt.

      »Außerdem erfordert die ganze Sache absolute Verschwiegenheit. Es ist von allergrößter Bedeutung, dass niemand außerhalb dieser Mauern etwas von unserer Unterredung erfährt. Hast du das verstanden?« Gealdors Stimme klang jetzt geradezu beschwörend.

      Es war überflüssig, so etwas von ihm zu verlangen. Er sah auf seinen Arm herab, an dem sich sein Onkel in seiner Erregung festgeklammert hatte, und hob eine Augenbraue.

      »Verzeih«, murmelte Gealdor und zog hastig seine Hand zurück. »Aber es wäre fatal, wenn irgendetwas von dem hier nach außen dringt. Irgendwelche dummen Gerüchte … das wäre eine Katastrophe.« Nervös fuhr er sich mit seinen schlanken, blassen Fingern über sein bärtiges Kinn. »Also, kein Wort über Zolandras Prophezeiung. Zu niemandem!«

      Zolandra. Verdammt! Natürlich war sie darin verwickelt.

      »Und … was besagt diese Prophezeiung?« Er hatte gelernt, seine wahren Gefühle zu verbergen, und gerade jetzt war er sehr dankbar für diese Fähigkeit.

      »Nun … ich war der Erste, der davon erfuhr, und natürlich habe ich sofort den Rat informiert. Es geht um eine Tarsûanî und den GraMaar. Das Ganze hört sich vielleicht absurd für dich an, besonders da Zolandra keine Details sehen konnte, aber sie ist sich sicher, dass diese Tarsûanî den Rat vernichten wird. Und du weißt selbst - sie irrt sich nie.«

      Er erwiderte den prüfenden Blick seines Onkels gelassen und dadurch offenbar ermutigt, fuhr Gealdor fort: »Und es wird nicht mehr sehr lange dauern, bis sich ihre Weissagung erfüllt. Es wäre also mehr als unklug, sie zu ignorieren oder Zeit zu verschwenden.«

      Wie wäre es dann, wenn du endlich aufhören würdest, meine zu verschwenden?, dachte er.

      »Daher hat unser ehrenwerter Vorsitzender auch entschieden, dich mit dieser Aufgabe zu betrauen. Und ich habe ihm selbstverständlich zugestimmt. Schließlich bist du der Beste.«

      »Und wie lautet mein Auftrag?«, erkundigte er sich und sein Tonfall klang beinahe gelangweilt. Er wusste, dass sein Onkel ihm mit dieser Bemerkung kein Kompliment machen wollte. Es war einfach nur eine Tatsache und auch wenn sie einander normalerweise nicht sehr schätzten, war sogar Gealdor klug genug, in diesem offenbar brisanten Fall kein Risiko einzugehen.

      »Oh, sagte ich das noch nicht?« Sein Onkel wirkte einen Moment irritiert. »Du wirst die Tarsûanî finden und eliminieren!«

      Wieder zuckte seine Augenbraue nach oben. »Ihr verlangt, dass ich eine Tarsûanî töte?«

      »Ja.«

      »Nur weil Zolandra behauptet, sie könne eine Gefahr für den GraMaar werden, ohne dass sie tatsächlich etwas Genaueres darüber weiß?«

      »Wage es nicht, die Weissagung einer Augurin anzuzweifeln. Das ist Hochverrat!« Gealdors Stimme klang plötzlich schrill. »Außerdem wünsche nicht ich ihren Tod, der GraMaar befiehlt es!«

      »Aber es ist gegen unsere Gesetze, eine Tarsûanî ohne Beweis ihrer Schuld zu töten, und diese Prophezeiung ist kein Beweis für mich. Ihr wisst, dass die Zukunft sich jederzeit ändern kann.« Er sagte

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