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steht dir nicht zu, über diese Tatsache zu urteilen, Krieger!«, fuhr Gealdor ihn mit harter Stimme an. »Die Tarsûanî ist eine Bedrohung und du wirst tun, was man von dir verlangt. Als GraMaarianer bist du dem Rat gegenüber verpflichtet, vergiss das nicht, Karganî!«

      Jetzt musste er sich doch zwingen, nicht die Fäuste zu ballen. »Ich habe bei meinem Leben geschworen, dem GraMaar zu dienen, und das tue ich auch. Immer. Das solltet Ihr nicht vergessen … Êvrîssê!« Diesmal verwendete er den Titel nicht mit der gebotenen Höflichkeit. Er wusste, dass es ihn den Kopf kosten konnte, doch er hasste es, wenn man seine Loyalität infrage stellte.

      Sein Onkel schien darüber erstaunlicherweise jedoch nicht verärgert. »Aber sicher wirst du das. Ich habe nichts anderes von dir erwartet. Und sei beruhigt, es ist in diesem besonderen Falle auch nicht gegen das Gesetz. Du erhältst von unserem ehrenwerten Vorsitzenden, stellvertretend durch mich, alle erforderlichen Befugnisse dafür. Eine Generalvollmacht sozusagen. Und natürlich ausreichende finanzielle Mittel.«

      Eine Generalvollmacht und genug Geld? Schon allein das war ungewöhnlich. Und dann auch noch übermittelt durch seinen Onkel? Normalerweise erhielt er seine Befehle doch ausschließlich von Corvinius?

      »Du bist genau der Richtige für das Problem. Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen.« Gealdor beugte sich vor und klopfte ihm vertraulich auf die Schulter.

      Erneut fühlte er sich bei der Berührung unbehaglich und war erleichtert, als sich sein Onkel abwandte, um zu dem kleinen Tisch hinüberzugehen.

      »Und der GraMaar weiß das natürlich auch. Du wirst den Auftrag zu unserer Zufriedenheit erledigen und darauf sollten wir anstoßen, meinst du nicht?« Er nahm eine der kostbaren Glaskaraffen und entfernte den gläsernen Stopfen. Als die goldene Flüssigkeit den Boden des schweren geschliffenen Kristallglases berührte, stieg ein kaum wahrnehmbarer Nebelhauch auf. Gealdor sog ihn genüsslich ein. »Ein köstlicher Tropfen! Leider nicht legal, aber was soll’s.«

      Er füllte ein weiteres Glas, nahm es und hielt es ihm einladend hin. »Komm, trink einen Schluck mit mir, und dann weihe ich dich in die Einzelheiten ein. Wie ich schon erwähnte, Zolandra konnte uns nicht viel über die Tarsûanî sagen, aber das dürfte doch kein großes Problem für dich sein, nicht wahr?« Sein Onkel lächelte, doch der harte Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass der GraMaar kein Versagen dulden würde.

      Doch darüber machte er sich keine Gedanken, während er das Glas entgegennahm. Auch nicht über die verbotene Substanz, die es enthielt, oder dass der GraMaar tatsächlich in Gefahr sein könnte. Ihn beunruhigte etwas ganz anderes.

      »Und wie geht es dem guten Corvinius?«, erkundigte er sich scheinbar beiläufig, während er das Kristallglas in seiner Hand nachdenklich betrachtete.

      »Oh gut, gut. Ausgezeichnet. Ich weiß, normalerweise hätte er dich über deinen Auftrag informiert, aber er ist in dringenden Geschäften unterwegs und wird erst in einigen Wochen zurückkehren. Unser ehrenwerter Vorsitzender hat daher auch darauf verzichtet, ihn mit dieser Angelegenheit zu behelligen. Wie gesagt, je weniger davon wissen, umso weniger besteht Gefahr, dass etwas davon bekannt wird. Nur so können wir eine Panik oder mögliche Unruhen verhindern. Wir brauchen unter allen Umständen eine stabile Ordnung, verstehst du?« Gealdors Blick fiel auf das unberührte Glas in seiner Hand. »Du trinkst ja gar nicht. Glaub mir, es ist exquisit. Ganz frisch.«

      Es stimmte, der Duft war mehr als verlockend und es war schon eine Weile her, dass man ihm so etwas Ausgezeichnetes angeboten hatte. Und was sein Onkel gesagt hatte, klang eigentlich logisch. Wer konnte ihn sonst informieren, wenn Corvinius nicht zur Verfügung stand und niemand davon erfahren sollte? Dass sein Verhältnis zu seinem Onkel kompliziert war, interessierte den Rat natürlich nicht.

      Also durfte es auch für ihn bei diesem Auftrag keine Rolle spielen.

      Entschlossen setzte er das Glas an die Lippen und leerte es mit einem kräftigen Zug.

      »Celia! Huhu! Hier sind wir!«

      Meine Freundin brüllte so laut über die Köpfe der anderen Schüler hinweg, dass diese erschrocken zusammenzuckten. Ich musste grinsen, denn gleichzeitig winkte sie so heftig wie eine Ertrinkende, die ein vorbeifahrendes Schiff auf sich aufmerksam machen wollte und dieses Schiff war eindeutig ich. Ich hob den Arm, damit sie wusste, dass ich sie bemerkt hatte. Als könnte man Abby Mitchell übersehen.

      Während ich mich durch das Gedränge zu ihr vorarbeitete, musste ich daran denken, wie ich ihr das erste Mal begegnet war.

      Wir waren beide erst fünf gewesen, aber sie hatte mutig, nämlich unter Androhung einer handfesten Prügelei, einen wesentlich älteren Jungen auf dem Spielplatz davon abgehalten, mir lebende Regenwürmer in den Mund zu stopfen. Von dieser Sekunde an waren wir nicht nur beste Freundinnen, ich kam auch in den Genuss, an ihren zahlreichen verrückten Ideen teilzuhaben.

      Mit neun zum Beispiel weigerte sie sich plötzlich, vorwärtszugehen. Sie hielt den Rückwärtsgang eisern durch, bis sie über eine Stufe stolperte und sich den Fuß brach. Drei Tage nach ihrem elften Geburtstag schnitt sie sich sehr zum Ärger ihrer leidgeprüften Mutter ihr blondes langes Haar ab. Stolz und immun gegen alle spöttischen Kommentare trug sie es ein Jahr lang kurz und karottenrot. Mit dreizehn stach sie sich selbst ein Tattoo und ich werde nie den Blick von Mr. Mitchell vergessen, als er zufällig den eigenwillig tätowierten Skorpion am Knöchel seiner Tochter entdeckte. Zu diesem Zeitpunkt beschloss sie auch, Vegetarierin zu werden, weil ihr die armen Tiere leidtaten.

      Letztes Jahr, und das betrachtete ich als den absoluten Höhepunkt in Abbys Liste durchgeknallter Ideen, wären wir bei dem Versuch, ebensolche armen Tierchen aus einem Versuchslabor zu retten, beinahe auf dem Polizeirevier gelandet. Zum Glück ging die Alarmanlage jedoch los, ehe wir überhaupt über den Zaun geklettert waren.

      Seit einigen Wochen hatte sie nun ihre okkulte Phase. Auf ihrem Nachttisch stapelten sich alle möglichen Bücher über Magie, sie trug nur noch schwarze Klamotten und hatte bereits jedem aus unserer Clique die Karten gelegt. Bei dem Gedanken an meine »Prophezeiung« musste ich wieder grinsen. Mal sehen, wann dieser geheimnisvolle Unbekannte auftauchte, in den ich mich verlieben würde.

      »Hey C.« Sie umarmte mich. Heute hatte sie sich für ihren Lieblingsrock, Stiefel und eine kurze Jacke entschieden. Natürlich alles in Schwarz. Und Netzstrümpfe.

      Na hoffentlich gab das keinen Stress mit Direktor Wilcox.

      »Hallo Celia. Hübscher Pulli!«, begrüßte mich Kathy, ein weiteres Mitglied unserer Clique, ehe sie sich wieder ihrer Freundin Sandra zuwandte, die gerade die Story eines Italieners zum Besten gab, den sie während ihrer Ferien in Europa kennengelernt hatte. Erstaunlicherweise war Sandra, die vom Äußeren her dem Klischee eines kalifornischen Beachgirls entsprach – braun gebrannt, sportliche Figur und lange, goldblonde Haare -, vom Temperament viel zurückhaltender als die quirlige und immer gut gelaunte Kathy, die koreanische Wurzeln hatte.

      Wie ich trugen auch sie ganz normale Sachen - Jeans, Pulli und Ballerinas -, sodass Abby neben uns noch einen Tick schriller wirkte.

      »Ich dachte schon, du hast verschlafen«, lenkte meine Freundin meine Aufmerksamkeit wieder auf sich und zupfte eine ihrer kurzen, in alle Himmelsrichtungen abstehenden und inzwischen ebenfalls pechschwarz gefärbten Haarsträhnen in Form.

      Ein Blick auf die Uhr bestätigte mir, dass ich tatsächlich ziemlich spät dran war.

      »Das liegt nur an Grandma. Sie wollte unbedingt, dass ich noch frühstücke«, rechtfertigte ich mein verspätetes Auftauchen am ersten Schultag nach den Ferien.

      »Oh ja, das kenn ich.« Abby verdrehte wissend die Augen. »Mum lässt uns auch nie ohne aus dem Haus. Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages«, imitierte sie beinahe perfekt den mahnenden Tonfall ihrer Mutter.

      »Aber ich scheine nicht die Einzige zu sein, die spät dran ist.« Ich blickte mich suchend um.

      »Die Jungs sind auch noch nicht da«, bestätigte meine Freundin. »Die haben garantiert gestern Abend das Ferienende zu heftig gefeiert und liegen

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