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hatte in Erfahrung bringen können, dass Logan sich wohl ebenfalls weigerte, mit seinen Freunden über besagten Vorfall zu sprechen. Aus diesem Grund schien Luke sich wohl von Logan zu distanzieren. All diese Informationen hatte ich von Poppy, die es natürlich aus erster Hand wusste, da sie schließlich mit meinem Bruder ausging. Ich selbst wagte es nicht einmal, Logans Name in Lukes Gegenwart auszusprechen.

      Allerdings konnte ich meinen Bruder auf gewisse Art und Weise verstehen. Er tappte nach wie vor im Dunkeln und es machte ihn sicherlich wahnsinnig, nicht zu wissen, was sich zwischen seiner kleinen Schwester und einem seiner Freunde abspielte - oder besser gesagt abgespielt hatte. Doch mit ihm darüber zu reden, kam für mich nicht in Frage. Wer versicherte mir, dass Luke nicht vor Wut explodieren würde? Allerdings war ich mir sicher, dass Lukas eine leise Ahnung hatte. Schließlich war er nicht gerade auf den Kopf gefallen und Logans Verhalten, als er Adam geschlagen hatte, war mehr als aussagekräftig.

      »Diesen Samstag solltest du vielleicht bei Poppy verbringen«, sprach Luke und legte mit einer bedeutungsvollen Geste sein Besteck beiseite.

      »Adam und Tante Carolyn kommen zum Abendessen. Ich gehe nicht davon aus, dass du dabei sein möchtest«, er hob den Blick und sah mir direkt in die Augen.

      Mein Magen rebellierte, als ich an Adam dachte. Sofort schwand mein Appetit auf das Essen vor mir und ich legte ebenfalls mein Besteck weg.

      »Okay. Danke«, erwiderte ich leise und senkte den Blick auf meinen Teller, während die Erinnerungen an den Vorfall vor zwei Monaten auf mein inneres Auge einprasselten.

      Ich hörte Lukas laut seufzen.

      »Drea, so kann das nicht weitergehen. Adam wohnt zwar nicht mehr bei uns und hat die Schule gewechselt, aber du wirst ihm nicht für immer aus dem Weg gehen können. Nicht wenn du nicht endlich darüber redest. Mit Dad. Mit Tante Carolyn. Sie verdienen es, die Wahrheit zu erfahren«, er legte eine kurze, bedeutungsvolle Pause ein, ehe er in einem energischeren Ton weitersprach. »Und für mich ist das auch nicht leicht, weißt du? Was denkst du wie ich mich fühle? Jedes Mal, wenn ich diesem… «, seine Gesichtszüge verdunkelten sich, »diesem Mistkerl in die Augen schauen muss und Dad und Tante Carolyn vorspiele, dass alles in bester Ordnung sei?«

      »Ich weiß«, brachte ich lediglich hervor und ließ den Kopf sinken.

      »Es ist bald Weihnachtszeit. Denkst du nicht, dass Dad die beiden über Weihnachten zu uns einlädt? Wie stellst du dir das alles vor, Drea?«, ungläubig schüttelte er den Kopf.

      Ich wusste, dass Luke ebenfalls unter dieser Situation litt und ein schlechtes Gewissen beschlich mich. Doch Lukas‘ Drängen stieß bei mir auf taube Ohren. Ich fühlte mich dadurch nur in die Enge getrieben.

      »Luke, ich weiß, aber ich …«, noch ehe ich meine Worte aussprechen konnte, beendete Lukas meinen Satz.

      »Aber du kannst es nicht, das sagst du immer wieder. Genauso wenig wie du mir sagen willst, was zwischen dir und Logan war.«

      Als ich Logans Name vernahm, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Erneut stieß er einen Seufzer aus und fuhr sich ratlos mit beiden Händen über sein Gesicht. »Ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht vertraust. Aber lange mache ich das nicht mehr mit, Drea«, mit diesen Worten ließ er mich alleine am Tisch zurück.

      Noch eine ganze Weile blieb ich sitzen und starrte vor mich hin, während meine Gedanken sich überschlugen. Ich verstand meinen Bruder. Ihn belastete die ganze Sache genauso. Er liebte mich, musste zusehen wie ich litt. Tag für Tag.

      Er musste sich unglaublich machtlos fühlen, da er nicht die geringste Ahnung hatte, wie er mir helfen konnte. Und als wäre das nicht schon genug, musste er vor Dad und Tante Carolyn gute Miene zum bösen Spiel machen.

      All das war eine Bürde, die ich meinem Bruder auferlegt hatte und die ich ihm ganz einfach wieder nehmen konnte. Es lag an mir, ihm das Leben wieder etwas leichter zu machen. Doch ich schaffte es nicht, da ich zu viel Angst und Scham empfand.

      Ich fühlte mich mies.

      Nachdem ich noch eine halbe Ewigkeit in der Küche gesessen und nachgedacht hatte, fiel mir siedend heiß ein, dass ich Mia noch bei ihrer Freundin Lucy abholen musste. Schnell sprang ich auf, schlüpfte in meine Sneaker, schnappte mir meine Autoschlüssel und hechtete die Haustür raus zu meinem Auto. Beinahe wäre ich sogar in dem Schnee ausgerutscht, fand aber im letzten Moment mein Gleichgewicht wieder. Heute war definitiv nicht mein Tag.

      Ich verband mein Handy mit dem Autoradio und wollte bereits wieder meine Liebeskummer Lieder abspielen, als mein Blick auf eine Playlist fiel, die ich mir vor einigen Wochen erstellt hatte. Nach kurzem Zögern tippte ich sie an und die sanften Klänge von The Weeknd, Logans Lieblingsinterpret, erfüllten mein Auto. Das Lied hieß Same Old Song. Ich wusste nicht weshalb, doch die Melodie dieses Liedes hatte eine beruhigende Wirkung auf mich und zum ersten Mal konnte ich mich an diesem Tag etwas entspannen.

      Es dauerte nicht lange, bis ich auch schon meinen Zielort erreicht hatte. Ich stoppte den Wagen und stellte den Motor ab. Die Montgomerys, Lucys Eltern, hatten sich wie jedes Jahr mal wieder selbst übertroffen und alle Geschütze im Hinblick auf die Weihnachtsdekoration, aufgefahren.

      Das komplette Dach war mit Lichterketten geschmückt. Sogar an der Veranda waren bunte Girlanden drapiert und machten jeglichem Sternenhimmel Konkurrenz. Im Vorgarten zierte ein Schlitten mit blinkenden Rentieren und einem Weihnachtsmann.

      Es sah wirklich schön aus, doch für meinen Geschmack war dies schon etwas zu viel des Guten. Genau wie Mom, sie hatte wirklich ein Händchen und einen liebevollen Blick für Details gehabt. Doch wenn es um die Weihnachtsdekoration ging, neigte sie dazu, zu dick aufzutragen und schoss Jahr für Jahr übers Ziel hinaus.

      Unvermittelt begann ich mich zu fragen, wer bei uns zuhause dieses Jahr dekorieren würde. Für gewöhnlich fiel auch dies in den Aufgabenbereich meiner Mom. Traurigkeit stieg in mir auf, übermannte mich und dabei wurde mir schmerzlich bewusst, wie sehr sie mir doch fehlte, gerade jetzt um diese Zeit. Es war ihr die liebste Zeit des Jahres gewesen. Weihnachten. Das Fest der Liebe.

      Mein Magen verkrampfte sich. Schnell schob ich diese traurigen Gedanken beiseite und steuerte auf die Veranda zu. Als ich die Stufen betrat, ging auch schon die Haustür auf und Mrs Montgomery erschien, gemeinsam mit Lucy und Mia im Schlepptau.

      »Mia, Liebes, komm und zieh bitte deine Mütze auf, sonst erkältest du dich noch bei diesen Temperaturen«, Mrs Montgomery zog Mia ihre rosafarbene Bommelmütze über den Kopf, ehe sie zu mir aufsah und mich mit einem warmen Lächeln begrüßte.

      »Hallo, Drea. Wie schön dich mal wieder zu sehen. Wie geht es dir, meine Liebe?«, als ich an der Haustür zum Stehen kam, zog sie mich auch schon in eine herzliche Umarmung.

      »Hallo, Mrs Montgomery«, grüßte ich sie meinerseits zurück. Irina Montgomery war eine unglaublich nette und herzensgute Frau, die in der letzten Zeit schon öfter auf Mia aufgepasst hatte, als es uns lieb war. Ich kannte sie auch schon ziemlich lange. Nicht nur, weil Mia mit ihrer Tochter Lucy zusammen den Kindergarten besuchte, nein, sie war auch die Mutter von Dannys bestem Freund Noah, für den ich noch ein Wichtelgeschenk besorgen musste.

      So gern ich Mrs Montgomery allerdings auch mochte, sie war eine furchtbare Quasselstrippe, die sobald sie den Mund öffnete, nicht mehr zu bremsen war. Und so stand ich bestimmt eine gute halbe Stunde in der Kälte und lauschte ihrem neusten Klatsch und Tratsch. Auch Mia verlor so langsam die Geduld und warf mir immer wieder genervte Grimassen zu.

      Als ich mich schlussendlich von Mrs Montgomery losmachen konnte und Mia und ich endlich im Auto saßen stießen wir gleichzeitig ein erleichtertes Seufzen aus.

      »Ich dachte schon, die hört nie mehr auf zu reden«, erklang Mias Stimme genervt von der Rückbank.

      »Da hast du wohl recht«, stimmte ich ihr zu.

      »Wie war es bei Lucy?«, erkundigte ich mich. Mia berichtete mir aufgeregt von ihrer Schlittenfahrt, die sie heute Mittag unternommen hatten und von Lucys neuem Puppenhaus. Wieder einmal wünschte ich mir, nochmal so jung und unbedarft zu sein, wie meine kleine Schwester.

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