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ich denn ändern? Hast du die Macht, einen Schlaganfall zu verhindern?“, fuhr Thomas auf. „Eins, zwei, drei, hex-hex? Ach ne, ihr seid ja eher auf der Schiene Herr, bitte hilf und heile diesen Kranken, ne? Amen.“

      Nathanael schüttelte den Kopf und atmete tief durch. „Nicht ich habe die Macht. Du allein kannst etwas ändern. Ich kann dich nur darauf aufmerksam machen. Was du daraus machst, ist deine Sache.“

      Der Engel tippte einen neuen Code ein und drehte das Tablet zu dem Mann im Bett. Der schrak zurück.

      „Was ist das?“

      „Das bist du, in ungefähr anderthalb Jahren. Du warst bei einem Kunden und hast dort einen Schwächeanfall erlitten. Du bist einfach zusammengebrochen, mitten im Gespräch. Der Kunde hat einen Krankenwagen gerufen und dich ins Krankenhaus bringen lassen, trotz deines Protestes. Du warst schon wieder bei Bewusstsein und hast heftig protestiert. Deine Mitarbeiter hätten dem wahrscheinlich stattgegeben. Dein Kunde hatte aber Sorge um deine Gesundheit …“

      „... wohl eher um seinen guten Ruf. Wer will schon von sich hören, dass dort Kontaktpersonen in der Firma zusammenbrechen.“

      „Wie auch immer“, stellte der Engel fest. „Tatsache ist, dass du untersuchst wurdest. Und der Chefarzt im Krankenhaus hat dich gewarnt. Du betreibst Raubbau an deinem Körper. Bluthochdruck, Übergewicht, auch durch die vielen Arbeitsessen bis weit in den Abend hinein, der dauerhafte Stress. Wenn du dein Leben so fortführen würdest, würde dein Körper irgendwann die Notbremse ziehen. Du solltest dir, so sein Fazit, den Warnschuss zu Herzen nehmen, und dir ein Leben außerhalb der Arbeit aufbauen.“

      Nathanael wechselte die Anzeige und und zeigte auf ein Standbild des alten Thomas in seinem Wohnzimmer. „Wenn du dir dies jetzt anguckst, was vermutest du? Hast du auf den Arzt gehört?“

      „Wohl eher nicht“, gab Thomas zu.

      „Und ich möchte dir noch etwas zeigen“, ergänzte der Engel. „Aber dafür legst du dich bitte schon wieder hin, damit du dabei einschlafen kannst.“

      Thomas rutschte nach unten und legte sich widerspruchslos auf die Seite. Seine Augen fühlten sich plötzlich ganz schwer an.

      „Es ist gibt nicht nur einen Abzweig im Leben. Dein Weg hat lauter kleine Verästelungen. Täglich triffst du Entscheidungen und mit jeder Entscheidung, mag sie auch noch so klein sein, bestimmst du deine weitere Richtung. Manche Wege verlaufen fast parallel zu deinem bisherigen Weg, andere beschreiben einen Bogen. Wohin du gehst, bestimmst du, jeden Tag aufs Neue.“

      Nathanael öffnete eine neue Datei und drehte das Tablet zu Thomas. „Du hast vorhin selbst von deiner Tante erzählt, die im Pflegeheim lebt. Doch dort war sie nicht immer. Früher hat sie allein einen ganzen Hof bewirtschaftet, hat die Aufsicht über die Arbeiter geführt, hat den Hofladen betrieben und im Winter Wollprodukte hergestellt. Wusstest du, dass sie mal das Gesicht ihrer Region war? Auch die Pressetermine hat sie mit Bravour gemeistert. Erinnerst du dich an den Hof?“

      „Dunkel. Ich war als Kind ein paar Mal in den Sommerferien dort.“

      „Ich kann dir sagen: Du fandest es wunderbar! Sie hat dir ganz viele Freiheiten gelassen, und du hast ihr Vertrauen nicht missbraucht. Doch davon sprichst du schon lang nicht mehr. Mein letztes Video ist eine Vision. Ein Vorschlag von mir, eine Idee, ein Traum. Mach damit, was du möchtest. Ich habe getan, was ich konnte.“

      Nathanael startete das Video und hockte geduldig auf seinem Koffer, das Tablet in seiner Hand.

      ---

      Am nächsten Morgen erwachte Thomas und schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte geträumt, eine Tatsache, die er schon länger verleugnete. Er träumte nicht. Das gab es gar nicht. Doch dieser Traum fühlte sich fast real an. Er war im Pflegeheim gewesen, wie an jedem Sonntag. Doch im Traum war er nicht mit seiner Tante auf dem Flur unterwegs gewesen, ungeduldig, weil sie schon wieder nach ein paar Schritten stehen blieb. Sie hatten zusammen im Garten gesessen, in der Rosenlaube, die er bisher in der Realität nur vom Fenster aus gesehen hatte. Eine Kanne mit Tee hatte auf dem Tisch gestanden, daneben eine Schale mit Plätzchen. Und seine Tante hatte erzählt, von früher, von ihren Eltern, von ihren Geschwistern, von ihm als Kind, von ihrem Leben. Ihr Gesicht hatte gestrahlt und er hatte ihr sogar ein bisschen zugehört. Wirklich zugehört. Zumindest teilweise. Zwischendurch hatte er sich schon gefragt, ob sie es nicht auch beim Laufen erzählen könnte. All die Meter, die jetzt fehlten … Da würde er nächsten Sonntag dann, wenn er wieder da wäre, dringend etwas nachholen müssen. Wobei, zu sitzen hatte auch seine Vorteile. Da war ja auch noch die Pflegerin gewesen, die gekommen war, um seine Tante an die Tabletten zu erinnern. Hatte sie ihm zugelächelt? Thomas schüttelte den Kopf. Es war ja nur ein Traum. Aber was wäre, wenn der Traum wahr werden könnte?

Ein Bild, das Text, Vektorgrafiken enthält. Automatisch generierte Beschreibung

      „Und dann haben wir ja auch noch unseren Adventskalender!“ Katja hielt den kleinen Koffer mit den aufgeklebten Glitzersternen in die Höhe. Die Kinder der Bärengruppe saßen vor ihr im Halbkreis auf dem Teppich im Gruppenraum: Ben, Ole, Lilli und Anna, die Zwillinge Janne und Matti, Emir, Leyla, Ali, Emily und Jason. Die kleine Emma hatte wieder ihren Lieblingsplatz auf Liahs Schoß ergattert, und daneben kuschelte sich Vincent an seine große Schwester Amelie.

      „Wer weiß denn, welche Zahl heute dran ist?“

      Sofort schossen mehrere Hände in die Höhe. Emir folgte zögerlich.

      „Ja?“ Katja nickte ihm lächelnd zu. „Welche Zahl war es denn heute bei dir?“ In der Bärengruppe hatten alle Kinder auch zu Hause einen Adventskalender. „Möchtest du sie mir zeigen?“

      Emir stand auf und zeigte auf den Stern mit den zwei Bäuchen. „Die da.“

      „Ja, genau!“

      Emir strahlte und setzte sich wieder auf seinen Platz.

      „Und wer weiß, wie die Zahl heißt? Ja, Anna?“

      „Das ist die Acht. Und morgen ist dann die Neun dran.“

      „Super!“ Katja lächelte und summte den Anfang einer Melodie. „Wie viel Tage sind es noch, bis wieder Weihnacht ist?“, stiegen die Kinder mit ein. „Wie viel Tage sind es noch bis zum Heil`gen Christ? Wir zählen rasch die Sterne, wie viele sind noch dran? Wir zählen rasch die Sterne. Dort vorne fang`n wir an.“

      Gemeinsam zählten sie: „Eins, zwei, drei, vier … fünfzehn, sechzehn.“

      „Ja, in sechzehn Tagen ist Weihnachten! Da haben wir zum Glück noch viel Zeit, um zu basteln, zu backen oder einfach auch mal zu kuscheln.“

      „Aber wir haben doch noch was vergessen!“, erinnerte Amelie.

      „Natürlich“, lachte Katja. „Wie könnte ich das vergessen. Möchtest du schauen, was heute für uns in dem Koffer ist?“

      Amelie nickte und kam zu Katja. Ehrfürchtig öffnete sie den Deckel und holte eine Papierrolle heraus. Ole durfte am Band der Schleife ziehen, und Janne rollte den Zettel auseinander. Darauf waren fünf Wichtel zu sehen.

      „Die fünf Weihnachtswichtel!“ Katja sah die Kinder an. „Möchtet ihr wissen, was sie so treiben?“

      „Ja!“

      Katja begann zu erzählen und untermalte das Gedicht mit Gesten.

      Fünf Weihnachtswichtel

      Der erste Weihnachtswichtel ist dort in seinem Wichtelhaus.

      Was er wohl grade macht?

      Wer hätte das gedacht?

      Er übt, ganz klarer Fall,

      den Tanz für´n Weihnachtsball.

      Der erste Weihnachtswichtel ist dort in seinem Wichtelhaus.

      Der zweite Weihnachtswichtel

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