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als sei ein heller Stern am Abendhimmel zu sehen.

      „Genau, sie wurde erwischt! Und man kann diese Geschichten nicht oft genug erzählen!“

      „Aber das sind Geschichten von vorgestern, Anaximander. Keiner Hexe ist es mehr verboten, freitags zu hexen!“

      „Mein Großonkel sagt immer: Es war nicht alles gut damals, aber es gab wenigstens Regeln. Und die Hexenausbildung war auch besser. Damals hätte keine Hexe versucht, ihren Untermieter ins Weltall zu schießen.“

      Empört stemmte Elli ihre Arme in die Seite und stellte dabei fest, dass sie immer noch die Schöpfkelle in der Hand hatte: „Also erlaube mal, ich komme im nächsten Jahr aufs Hexenlyzeum! Ich bin keine kleine Hexe mehr, ich bekomme eine umfangreiche und fundierte Ausbildung!“

      Anaximander krächzte und krächzte und wollte nicht mehr aufhören. Er lachte, dass es ihn schüttelte: „Was haben die euch denn auf der Hexengrundschule beigebracht? Offenbar nichts Nützliches, sonst hättest du kapiert, was es bedeutet, wenn ich dir das Buch Zauberhafte Backideen empfehle.“

      Elli schielte auf das aufgeschlagene Backbuch auf dem Küchentisch, der durch die vorangegangene Explosion einer Rührschüssel eine halbe Stunde zuvor am Rand noch etwas Glut aufwies. Auch einige Seiten des Buches waren leicht versengt, und Elli hoffte, dass sie in der Stadtbibliothek keinen großen Ärger bekommen würde. Wenigstens stand das zweite Buch, Backen wie durch Zauberhand, unversehrt im ebenso unbeschädigten Küchenregal.

      „Ich habe dir gesagt, das sind Bücher für nicht-magische Menschen. Die machen alles mit den Händen und backen ganz normal im Backofen. Zaubern bedeutet da nicht, dass man zaubern muss.“

      „Aber ohne Zaubern dauert das doch viel zu lange!“

      „Ist aber erheblich ungefährlicher.“

      Elli zog ihre Augenbrauen zusammen. Dem will ich’s jetzt aber mal zeigen! Sie atmete tief ein und schwenkte dann ihren Zauberstab durch die Luft, nur um zu bemerken, dass sie keinen Zauberstab, sondern die Schöpfkelle in der Hand hatte und Teigreste in der Küche verteilte. Sie errötete und griff nach dem Zauberstab. Anaximander krächzte schon wieder vor Vergnügen.

      Wild schwenkte sie ihre Hand, murmelte einen Zauberspruch, es gab einen großen Knall und viel Rauch, und das Loch in der Decke war verschwunden.

      Ha, dachte Elli, von wegen nichts gelernt! Zufrieden verschränkte sie die Arme vor ihrem Körper und beugte sich wieder über das Backbuch. Schließlich wollte sie die besten Plätzchen der Welt backen.

      „Sag mal, warum haben wir denn jetzt Karotten an der Decke?“

      Elli folgte Anaximanders Blick. Das Loch in der Decke war in der Tat gestopft, nur hatte sie offenbar den Zauberspruch doch nicht ganz korrekt wiedergegeben. Anstelle von Holzbrettern waren dort Mohrrüben zu sehen. Erneut errötete sie.

      „Lass mich mal aufzählen, was du heute alles schon geschafft hast.“ Der Rabe, immer noch auf dem sicheren Schrank sitzend, streckte einen Flügel vor und zählte mit seinem Schnabel ab: „Zuerst wolltest du die Butter verdoppeln und hast sie in stinkenden Krötenschleim verhext. Dann wolltest du Zucker unterrühren und hast den Kochlöffel in einen Hubschrauber verwandelt, der deine Fenstervorhänge zerschnitten hat und dann aus dem Fenster geflogen ist. Wer weiß, wo der Kochlöffel nun sein Unwesen treibt. Danach wolltest du Eier aufhexen, und die Eier sind nun überall, nur nicht in der Schüssel. Anschließend endete dein zweiter Rührversuch mit einer Explosion der Rührschüssel und einem am Rand auch jetzt noch glühenden Arbeitstisch. Dein Kessel ist unterwegs zum Jupiter, und wir haben seit einigen Sekunden nun auch noch Karotten an der Decke. Es ist kein Wunder, dass euer Hexen-Schulsystem bei der letzten PIWA-Studie so erbärmlich abgeschnitten hat.“

      Ja, die PIWA-Studie, das Programme for International Witchcraft Assessment. Elli konnte es nicht mehr hören. Angeblich seien die Hexen in anderen Ländern viel besser ausgebildet. Aber war das wirklich so? Und, mal ganz ehrlich: Welche Hexe in so jungen Jahren war denn schon in der Lage, mit nur wenigen Hexensprüchen eine derartig grundlegende Verwüstung wie sie anzurichten? Das mussten doch die anderen Hexen erst mal hinbekommen!

      Andererseits half ihr das alles nicht. Sie hatte nicht mehr viel Zeit, und die Gäste würden kommen. Sie hatte ihre Freunde eingeladen, um ihre neuen Plätzchen vorzustellen. Schließlich sollten diese Plätzchen die besten der Welt werden. Und morgen wollte sie ganz viele davon auf dem Adventsbasar der Kirchengemeinde verkaufen. Schließlich sollte viel Geld damit verdient und für Kinder gesammelt werden. Nur: Wie sollte das jetzt alles gelingen? Sollte sie es doch nach der Methode ohne Magie versuchen?

      Elli schaute zu der großen Uhr an der Wand, einem Erbstück ihrer Urururgroßmutter. Es war ein Monster aus dunklem Holz, mit einem riesigen Pendel, auf dem ein Totenkopf abgebildet war, und zwei schweren Gewichten in der Form von Hexenbesen. Zu jeder halben und vollen Stunde sprang ein Geier aus der kleinen Tür und verkündete die Uhrzeit. Der Kessel hatte, bevor er die Decke durchschlug, die Zeiger ganz offensichtlich versengt, aber auch jetzt noch war unverkennbar zu erkennen: Die Gäste kamen gleich.

      Und während sie noch versuchte, einen geeigneten Zauberspruch in ihrem Hexenbuch zu finden, der ihr erlauben würde, aus dem Nichts die besten Plätzchen der Welt zu zaubern, sprang der Geier aus der Uhr und meldete kraftvoll und laut: „Es ist halb Sieben, halb Sieben!“

      Und natürlich klopfte es auch schon entschlossen an die Tür. Ihr erster Gast war gekommen, und wie fast immer war es Lieutenant Bones, das Skelett. Lieutenant Bones war die Pünktlichkeit in Person, überaus zuverlässig und immer unterwegs in Erfüllung seiner Pflicht. Er war als Soldat im Ersten Weltkrieg gestorben, hatte sich aber einfach geweigert, auch wirklich tot zu sein. Schließlich ging die Pflicht vor. Und so war er als Skelett immer noch auf der Erde und beriet heutzutage Hexenschulen in Sachen Disziplin und Zeitmanagement.

      „Hallo, Lieutenant Bones“, sagte Elli, während das Gerippe zackig vor ihr salutierte. „Entschuldigen Sie die Unordnung, aber es ist etwas schiefgegangen ...“

      „Guten Abend, Fräulein Elli“, schnarrte Bones. „Woll’n mal doch sehen, was wir da machen können. Alles eine Frage der Planung und Organisation, junge Dame.“ Mit den knochigen Armen auf dem Rücken betrat er das Haus und blickte sich in dem Chaos um. „Vermute, Sie wollen Plätzchen backen? Ist denn die Truppe schon vollzählig angetreten?“

      „Äh, nein, Sie sind der Erste.“

      „Gut, gut“, nickte Lieutenant Bones. „Dann haben wir noch ein wenig Zeit, um uns anders aufzustellen und den Feind genauer in den Blick zu nehmen. Was macht der Tross?“

      „Die Versorgung ist derzeit noch halbwegs sichergestellt, Sir“, krächzte der Rabe mit an den Kopf gelegten Federspitzen des rechten Flügels, bevor Elli antworten konnte. „Sofern die Hausherrin nicht auch noch den Rest der Lebensmittel in Raketen oder grünen Schleim verwandelt.“ Die letzten Worte verloren sich in belustigtem keuchendem Krächzen.

      Lieutenant Bones‘ Schädel drehte sich zu Elli und starrte sie aus seinen leeren Augenhöhlen vorwurfsvoll an: „Fräulein Elli, haben Sie eine Aufstellung Ihrer Lagerbestände? Bitte händigen Sie mir diese aus.“

      Aufstellung? Lagerbestände? Elli hatte keine Aufstellung. Sie wusste so ungefähr, was in ihrer Vorratskammer war, und wenn etwas aus war, flog sie auf einem ihrer Besen zum Einkaufen. Aber eine Aufstellung? Wozu? Und überhaupt, dachte sie, wie konnte man als Skelett eigentlich ohne Augen gucken?

      Ihre Überlegungen wurden durch die Ankunft des nächsten Gastes unterbrochen. Sigismund von Schreckenfels war eingetroffen und bemühte sich verzweifelt, durch Anklopfen auf sich aufmerksam zu machen. Doch da er ein Geist war, konnte er nichts berühren. Außer die Bekleidung, die er getragen hatte, als er zum Geist geworden war. Und so war sein Anklopfen eher wie das Winken einer durchscheinenden Hand durch die Eingangstür. Er hätte auch einfach durch die Tür schweben können, doch er war ein Geist von tadellosem Benehmen, und er wäre niemals ohne Aufforderung hereingeschwebt.

      Elli öffnete die Tür: „Sehr verehrter Herr von Schreckenfels, treten Sie doch bitte ein!“

      Der

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