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und die Zweige in warmes Wasser gelegt. Sie sollten denken, es wäre schon Frühling. Dann haben wir sie in eine Vase gestellt. Wenn wir Glück hatten, haben sie an Weihnachten geblüht.“

      „Oh, das sah bestimmt toll aus!“

      „Ja, das tat es!“, nickte Mama. „Es ist ein Zeichen der Hoffnung. Mitten im Winter blühen Zweige. Es gibt dazu übrigens auch eine Geschichte von dem Mädchen Barbara, das in einen Turm eingesperrt wird. Auf dem Weg dorthin bleibt Barbara an einem Zweig hängen. Sie nimmt ihn mit, und er beginnt, in ihrem Turm zu blühen“, erinnert sich Mama. „Und deshalb nennt man die Zweige auch Barbarazweige. Das ist eine ganz alte Geschichte.“

      „So alt wie die Bücher in deinem Koffer von früher?“, fragte Merle.

      Mama schüttelte den Kopf. „Noch viel, viel älter. Aber wir haben damals noch etwas anderes gemacht.“

      „Was denn?“ Merle kuschelte sich an ihre Mutter und schaute sie von unten aufmerksam an.

      „Als Theresa und ich älter waren, hatte jede von uns ihren eigenen Strauß mit Zweigen. Daran haben wir Zettel mit Namen befestigt.“

      „Was waren denn das für Namen?“

      Mama lächelte. „Das waren die Namen von Jungs, die wir gut fanden. Und der Junge, dessen Zweig als erstes blühte, der hatte gewonnen.“

      „War Papa auch mit dabei?“

      „Nein“, sagte Mama wehmütig. „Papa habe ich erst viel später kennengelernt. Bei ihm brauchte ich keine Entscheidungshilfe.“

      „Weißt du was?“ Merle nahm Mamas Hände und zog sie vor ihren Bauch. „Wir können das doch dieses Jahr wieder machen. Einen Zweig haben wir ja schon.“

      „Das ist eine gute Idee“, stimmte Mama zu. „Wir können hier noch einen zweiten Birkenzweig nehmen. Und von unserem Apfelbaum können wir auch noch ein paar Zweige abschneiden.“

      „Und dann hängen wir Zettel daran“, bestimmte Merle. „Dann sind wir vielleicht bald nicht mehr allein, und du musst nicht mehr so traurig sein.“

      Mama lächelte und küsste ihre Tochter auf die Wange. „Du suchst die Zweige aus. Ein bisschen Hoffnung können wir immer gebrauchen.“

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      Mir ist kalt. Schon seit einiger Zeit spüre ich meine Pfoten kaum noch. Ich habe sie abgeleckt, aber trotzdem haben sie nur leicht gekribbelt. Es wäre besser, wenn ich weiterhin stehen würde, doch ich habe keine Kraft mehr. Deshalb liege ich jetzt hier.

      Ein Napf mit Futter steht neben mir. Doch wie könnte ich jetzt essen? Mein Brustkorb fühlt sich eng an, und mein Herz tut weh. An der Stelle, an der mein Halsband ist, brennt es. Ich habe versucht, mich loszureißen, aber das Halsband sitzt zu fest und die Leine ist neu. Und doch habe ich es immer und immer wieder versucht. Ich muss ihnen doch folgen. Es ist doch meine Familie.

      Meine Decke riecht noch nach Madita. Ich konnte mich von ihr nicht verabschieden. Sie hat gleichmäßig geatmet, als wir angehalten haben und man mich aus dem Auto gehoben hat. Ich dachte, dass ich mich noch einmal erleichtern soll. Es war schließlich ein besonderer Tag. Die ganze Zeit über haben sie zu Hause Dinge hin- und hergetragen und in Koffer gepackt, Madita hat ihre Spielsachen genommen, und für mich hat sie die Decke bereitgelegt. Aber ich konnte mich nicht hinlegen. Ich hatte Angst, etwas zu verpassen. Immer wieder saß ich im Weg, bekam Tritte ab und wurde angemeckert. Trotzdem bin ich nicht von meinem Platz im Flur verschwunden. Es lag etwas Besonderes in der Luft …

      Doch nach meinem kurzen Spaziergang hier sind wir nicht zum Auto zurückgegangen. Ich schnupperte noch an einem Laternenpfahl, als plötzlich meine Decke neben mir lag und Herrchen zwei Näpfe hinstellte. Er strich mir noch einmal kurz über den Kopf. Dann war ich allein und musste mit ansehen, wie das Auto losfuhr. Ohne mich. Meine Familie war weg.

      Madita, du fehlst mir. Du hast mich zum Geburtstag bekommen. Ich sei dein schönstes Geschenk, hast du gesagt. Doch schon nach kurzer Zeit war ich nicht mehr so interessant, und du hast mich kaum noch beachtet. Trotzdem habe ich dich lieb und freue mich, wenn du aus der Schule kommst. Ich erkenne deine Schritte aus allen anderen im Treppenhaus heraus. Wenn sich die Aufzugtüren öffnen, springst du immer mit einem kleinen Hüpfer in den Flur und brauchst dann sieben Schritte bis zu unserer Wohnung. Bis dahin habe ich mich längst geschüttelt und schnaube unter der Tür durch.

      Dann warst du mit einem Mal zu Hause und bist nicht mehr morgens zur Schule aufgebrochen. Überall waren Heimlichkeiten. Es lagen Dinge herum, die sonst nicht dort liegen. Und dann habt ihr plötzlich einen Baum ins Wohnzimmer getragen. Am nächsten Tag habt ihr alle zusammen davorgesessen und Geschenke ausgepackt. Mich hast du nur ein Mal kurz gestreichelt. Ansonsten hast du mich nicht beachtet. Anderes war viel interessanter.

      Ich habe die Sätze gehört, aber ich habe sie nicht verstanden. „Was machen wir mit Theo? Onkel Dieter will ihn nicht, und Tante Bettina ist selber weg. Mitbringen dürfen wir ihn auch nicht.“ Was sollte das bedeuten?

      Die Autos sausen in der Ferne vorbei. Es ist keine große Masse mehr. Inzwischen kann man sie einzeln hören. Dort hinten fahren sie langsamer und halten auch bei dem hell erleuchteten Haus an. Doch wenn sie später an mir vorbeifahren, sind sie fast schon wieder so schnell wie dort in der Ferne. Kein Auto bremst bei mir. Und nie ist das Motorengeräusch dabei, auf das ich warte.

      Da wird ein Auto langsamer. Ist das vielleicht …? Nein, doch nicht. Es fehlt etwas. So ein Stottern … Trotzdem bleibt das Auto stehen. Die Lampen leuchten zu mir herüber. Ich muss die Augen schließen.

      Eine Autotür wird geöffnet, jemand steigt aus und nähert sich mit leichten, schnellen Schritten. Es scheint eine Frau zu sein. Sie riecht fürsorglich, aber auch traurig und erschrocken. Ihre Stimme klingt nett, warm, freundlich. Sie spricht mit mir. Ich blinzele. Würde es sich lohnen, die Augen zu öffnen?

Ein Bild, das Whiteboard enthält. Automatisch generierte Beschreibung

      „Ich bin ja wirklich mal gespannt, was uns erwartet.“

      Flip reckte sich und versuchte, im Halbdunkel etwas zu erkennen. „Hey, wie kannst du denn jetzt schlafen?“ Vorwurfsvoll sah er zu seinem Bruder, der schon wieder leise schnarchte, und stupste ihn an.

      „Was hast du gesagt?“ Flop sah sich verwirrt um. „Was ist los? Wo …? Warum …?“

      Flip lachte. „Du kannst wirklich überall schlafen. Sogar beim Reden.“

      „Beim Reden?“, wiederholte Flop verständnislos.

      Flip grinste. „Na ja, mir scheint, dein Kopf schläft immer noch, auch wenn du redest.“ Er sah sich erneut um und ergänzte: „Zu Wo? kann ich dir sagen: Wir sind im Wohnzimmer. Warum? Tja, wenn ich das mal wüsste. Ich habe gestern Abend nur gehört, dass Milo irgendwas von Überraschung und Stiefeln und Geschenken erzählt hat.“

      „Aber wir sind doch keine Stiefel“, wunderte sich Flop. „Und außerdem gehören wir doch Franzi. Weiß sie überhaupt, dass wir hier sind?“

      „Ja, da kann ich dich beruhigen. Milo hat sie gefragt.“ Flip kicherte. „Allerdings erst, nachdem er uns aus dem Schrank geholt und hierhin gestellt hatte.“

      „Das passt zu ihm.“ Flop gähnte und schüttelte sich. „Mir ist kalt. Und ich bin müde. Sooooo müde …“

      „Na das ist doch nichts Neues“, stellte Flip fest. „Aber kalt ist es wirklich. Und es riecht auch ganz anders. Sommer ist grad bestimmt nicht.“

      „Könnt ihr nicht ein bisschen leiser sein?“, grummelte der Wanderschuh neben Flop. „Ich bin auch müde und muss meine

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