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„Gefällt-mir“-Angaben??? Wie lange hatte er geschlafen?

      Er öffnete seinen Account. Sein letzter Post war geteilt, kommentiert und mit ganz vielen Herzen versehen worden. Innerhalb von nur etwas mehr als einer Stunde. Und dort: Ein weiteres Bild eines anderen Users, ebenfalls mit seinem Hashtag #NachrichtamBaum. Auch dort war eine weiße Karte zu sehen, ebenfalls beschriftet:

      Wieder frei. Endlich. Oder zu früh?

      Weg und doch noch da …

      WAS IST RICHTIG???

      Dominik nahm seine Karte in die Hand und verglich sie mit dem Foto. Es schien die gleiche Handschrift zu sein. Sollte die #NachrichtamBaum etwa von der gleichen Person stammen? Gab es vielleicht noch mehr Nachrichten?

      Ja, ganz offensichtlich, denn gerade vermeldete sein Handy den Eingang einer weiteren Nachricht. Es war wieder ein Foto einer weißen Karte, wieder mit einem Loch oben links in der Ecke und wieder mit einem handschriftlichen Eintrag, der dieses Mal allerdings nur aus zwei Zeilen bestand:

      So viele und doch allein!

      WAS STIMMT NICHT MIT MIR???

      Worauf war er da gestoßen? An wen waren die Nachrichten gerichtet? Und von wem stammten sie?

      ---

      Jetzt hatte sich sogar ein Reporter des ortsansässigen Käseblattes bei ihm gemeldet und um ein Gespräch gebeten. Dominik sah zu dem leeren Stuhl hinüber, auf dem sein Interviewer noch vor kurzem gesessen hatte. Was hatte er alles wissen wollen!

      Ob er die Person kannte oder zumindest eine Vermutung hätte, wer es sei. – Nein, leider nicht.

      Ob es ein großer Fake sei, eine Promotion irgendeines Produkts. – Wofür denn???

      Ob es ein Hilfeschrei sei. – Könnte sein.

      Ob er die Person jemals finden würde. – Wenn er das mal wüsste …

      Schließlich war der Reporter mitsamt seinem Diktiergerät wieder verschwunden und hatte ihn allein in der Bäckerei zurückgelassen. Er hatte enttäuscht gewirkt, als hätte er sich mehr von dem Interview versprochen. Eine Liebesgeschichte. Oder eine Story über Helden des Alltags. Doch das konnte Dominik ihm nicht liefern. Oder hätte er sich etwas ausdenken sollen?

      Er schüttelte den Kopf und trank den letzten Schluck seines inzwischen kalt gewordenen Kaffees, schob den Stuhl zurück, schlüpfte in seine Jacke und wickelte sich den Schal um den Hals. In der Tür nickte er seinem Freund Matthias, dem die Bäckerei mit kleiner Caféecke gehörte, zum Abschied zu.

      Vor der Tür blieb er stehen. Er könnte ja noch einmal beim Baum vorbeischauen. An der Kastanie, die auf dem Hof der Bäckerei stand, hing ein Briefkasten, den er mit Matthias zusammen angebracht hatte. Matthias hatte die Idee gehabt, als #NachrichtamBaum immer beliebter geworden war. Seitdem waren viele Zettel mit Fragen, Anregungen, Nöten, aber auch guten Zusprüchen in dem Kasten gelandet, der für jedermann zugänglich war, zum Einwerfen aber auch zum Beantworten. Völlig fremde Menschen sprachen sich Mut zu, fanden einen Ansprechpartner oder hatten einfach nur das Gefühl, dass ihre Sorgen Gehör fanden. Es war aber keineswegs so, dass nur traurige Botschaften geteilt wurden. Dominik lächelte, als er an den Bericht eines Vaters dachte, der von der Freude seines kleinen Kindes berichtete, als dieses zum ersten Mal Schnee gesehen hatte. Kein Thema, das noch nicht vorgekommen wäre. Hier in dem Kasten ihrer kleinen Stadt, aber auch weiterhin online unter #NachrichtamBaum. Sein Hashtag hatte sich zum Austausch der eigenen Gedanken entwickelt.

      Dominik griff nach dem Schloss und zuckte zurück. Das Metall war ja noch kälter als beim letzten Mal. Und bewegen ließ sich der Verschluss auch nicht. Seufzend hauchte er dagegen, probierte, hauchte weiter. Wie oft hatte er früher, als er noch regelmäßig Fahrrad gefahren war, sein Schloss genauso behandeln müssen, damit sich der Schlüssel wieder ins Schloss stecken ließ? Und hier war noch nicht einmal ein Schlüssel notwendig. Schließlich sollte es die Möglichkeit des Austausches für alle geben. Matthias hatte wegen der Romantik ein altes Kofferschloss daran befestigt.

      „Ist doch schöner als nur ein Haken, damit die Tür nicht vom Wind aufgeht“, hatte er gesagt. Jetzt ging sie gar nicht auf. Auch nicht besonders romantisch. Zum Glück gab es wenigstens den Briefschlitz oben, wie bei einem normalen Briefkasten.

      Dominik hauchte weiter. Endlich sprang das Schloss auf. Er öffnete die Tür und zog einen Haufen heraus: Karten, zusammengefaltete Zettel und einen gelben Briefumschlag. Dominik sah darauf und sog die Luft ein. Das war die Schrift. Die Schrift der ersten Karte. Für Dominik - #NachrichtamBaum stand darauf.

      Würde er endlich Antworten bekommen? Er stieß die Luft aus und wog den Brief in der Hand. Er fühlte sich schwer an. Würde er endlich erfahren, wer der Absender der Karten war?

      Er hatte sich immer eine Frau vorgestellt, die mit großen traurigen Augen an einem Schreibtisch am Fenster saß, allein in einer Dachwohnung vielleicht. Der beim Schreiben immer wieder eine Haarsträhne ins Gesicht fiel, die sie sich zurückstrich, um dann bewusst und langsam weiterzuschreiben.

      Dieser Kontrast aus verzweifelten Fragen und der unglaublich ordentlichen Schrift hatte ihn seit Beginn fasziniert. Sollte er jetzt endlich erfahren, ob die Wirklichkeit mit seiner Fantasie übereinstimmte? Wollte er es überhaupt wissen?

      Doch, definitiv. Aber nicht hier. Er würde sich Zeit nehmen, so wie der Schreiber sich Zeit ließ für das Beschriften der Karten. Er würde den Brief lesen. Irgendwann. In Ruhe. Was wohl darinnen stand?

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      „Ich hab` noch einen Zapfen gefunden! Und noch einen!“ Merle trug ihre Schätze zu ihrer Mutter.

      „Oh, die Kiefernzapfen sind aber gut geeignet!“, stellte Mama begeistert fest. „Siehst du, die sind so schön offen.“

      „Da kann ich ganz viele Pompons reinkleben. Noch viel mehr als neulich in der Kita.“

      „Genau“, lächelte Mama. „Und guck mal, was ich grad entdeckt habe!“ Mama holte mehrere große Eicheln mit Hut aus ihrem Korb. „Darauf könntest du Gesichter malen, und wir könnten noch einen Bart ankleben.“

      „Ja, das mache ich! Unser Weihnachtsbaum wird toll aussehen!“, strahlte Merle und gab ihrer Mutter die Zapfen. Im nächsten Moment sprang sie schon wieder ins Unterholz davon.

      Mama bückte sich und legte die gesammelten Schätze in den Korb. Dabei verhakte sie sich mit der Mütze in einem Baum. „Mist, ich hänge fest“, seufzte sie.

      Merle drehte sich um und rannte zurück. „Warte, ich helfe dir!“ Sie half Mama, ihren Kopf von der Mütze zu befreien, so dass sie sich wieder aufrichten konnte. Die Mütze baumelte weiter am Zweig.

      „Mütze am Stiel“, lachte Merle. „Sieht lustig aus.“

      Mama stimmte mit ein. „Da hast du recht.“ Sie rieb sich die Ohren. „Aber auf Dauer könnte es etwas kalt werden.“ Es hatte noch nicht geschneit, kalt genug wäre es allerdings dafür.

      Vorsichtig versuchte Mama, die Mütze von dem Ast zu lösen. Dabei brach der Zweig ab. Nachdenklich blickte sie auf die beiden Gegenstände in ihrer Hand.

      „Das erinnert mich an etwas, das wir als Kinder gemacht haben.“

      „Echt? Bitte erzähl, bitte!“

      Merle kuschelte sich an Mamas Bein. Mama sah sich um, ging zu einem großen Baumstumpf und setzte sich. Merle kletterte auf ihren Schoß.

      „Als ich ein Kind war, bin ich mit deiner Oma und Tante Theresa immer am 4. Dezember in den Garten gegangen. Wir haben eine Gartenschere mitgenommen und haben ein paar Zweige vom Kirschbaum abgeschnitten. Über Nacht haben wir die Zweige manchmal zuerst noch einmal den Tiefkühler gelegt, wenn es vorher noch nicht gefroren hatte.“

      Merle lachte. „Zweige im Tiefkühler! Das klingt

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