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wieder einen Chor gründen. Da habt ihr ja schon Erfahrung.“

      „Au ja“, piepste eine rothaarige Meerjungfrau, „das machen wir. Freiwillige können sich bei mir melden!“

      „Ihr habt es gehört. Freiwillige wenden sich bitte direkt an unsere Meerjungfrauen.“ Oskar überlegte und nickte sich dann selber bestätigend zu. „Damit hätten wir auch schon die Planung abgeschlossen. Jeder kennt seine Aufgabe?“ Oskar ließ seinen Blick durch die Reihen schweifen. „Dann wünsche ich uns allen viel Spaß bei der Vorbereitung und später ein schönes Fest!“

      ---

      Horst, der alte Nachtwächter, der zu einem zusätzlichen Sonntagsdienst eingeteilt worden war, öffnete die Tür zum nächsten Stockwerk des Kaufhauses. Wie immer am Wochenende, wenn die Fahrstühle und Rolltreppen abgestellt waren, musste er zu Fuß gehen. 29 anstrengende Stufen und ein Podest waren es pro Stockwerk, die er im Lichtkegel seiner Taschenlampe bewältigen musste. Erschöpft ließ er den schweren Schlüsselbund in seine Tasche gleiten und atmete durch. Erstaunt lauschte er. Das Treppensteigen musste ihm schwerer gefallen sein als sonst. Er hörte leise Weihnachtsmusik, dazu wurde gesungen. Kicherte da nicht auch jemand? Horst wischte sich über die Augen und ließ dabei die schwere Feuerschutztür los, die den Verkaufsraum vom Treppenhaus trennte. Sie fiel mit einem lauten Knall ins Schloss.

      Horst horchte. Er musste sich getäuscht haben. Alles war still, kein Gesang, kein Kichern war mehr zu hören. Er ging ein paar Schritte, bis er den Bereich vor den Rolltreppen erreichte. Dort war ein weihnachtlicher Läufer ausgebreitet, auf dem ein Koffer lag. Darauf stand eine flackernde LED-Kerze inmitten von künstlichen Zweigen, Sternen, Wichteln und Skifahrern. Um die Kerze waren unglaublich viele Kuscheltiere und Spielsachen angeordnet. Es wirkte auf ihn wie ein weihnachtliches Schaufenster mitten im Kaufhaus. Hatte der Bär dort vorn nicht sogar einen angebissenen Keks in der Pfote?

      Horst schüttelte den Kopf. Er musste den Chef informieren. Wer auch immer sich das überlegt hatte, mit ihm war es nicht abgesprochen. Es ging ja auch gar nicht. Die Sicherheit, wenn dort jemand stolperte … Horst zog sein Handy aus der Tasche, wählte eine Nummer und setzte seinen Rundgang durch die Gänge fort.

      Sein Chef meldete sich am Telefon. „Horst, ich hoffe, es ist wichtig, wenn Sie mich schon am Sonntag stören! Meine Familie erwartet mich beim Adventsessen. Es gibt Raclette und hinterher die leckeren Kekse, die mein Schwiegervater mit den Kindern gebacken hat. Wir feiern doch immer am ersten Advent mit der Familie.“

      „Das ist ein gutes Stichwort, Chef“, antwortete Horst. „Ich bin grad auf meiner Runde. Und wissen Sie, was ich da entdeckt habe?“

      „Nein. Aber Sie werden es mir bestimmt gleich verraten.“

      „Hier findet auch eine Adventsfeier statt. Also, es ist alles dafür aufgebaut, aber mit Kuscheltieren und mitten im Gang.“

      Der Chef lachte dröhnend ins Telefon. „Sie wollen mir also sagen, die Kuscheltiere feiern Advent?!?“

      „Genau, Chef. Warten Sie, ich schicke Ihnen gleich ein Foto.“

      Horst beendete das Telefonat und ging um die Ecke. Vor ihm lag wieder der Platz bei den Rolltreppen. Er war frei. Kein Kuscheltier und kein Spielzeug stand mehr im Weg. Nur ein angebissener Keks lag noch herum.

      Horst schüttelte den Kopf. Das war doch nicht möglich … Gerade hatte es noch so ausgesehen, als ob da im Gang eine Adventsfeier mit ganz vielen Kuscheltieren stattgefunden hätte. Und jetzt? Der Aufbau konnte sich doch nicht in Luft auflösen.

      Horst sah sich um. Dort hinten hing ein Affe am Wandregal, mitten vor den anderen Fächern. Schwankte der nicht hin und her? Und der alte Clown mit der Trommel, der sonst immer auf dem obersten Brett stand, saß daneben und stützte sich auf einen Schlägel. Zwinkerte der ihm etwa zu? Das konnte nicht sein. Er, Horst, Nachtwächter aus Leidenschaft, war es doch gewohnt, nachts zu arbeiten. Da sah er doch nicht plötzlich Dinge, die es so nicht gab. Nicht geben konnte. Oder etwa doch?

Ein Bild, das Kerze enthält. Automatisch generierte Beschreibung

      „… und deshalb haben sie sich überlegt, es dieses Mal digital stattfinden zu lassen. Ein Adventskalender für die ganze Familie, live im Internet. Na ja, nicht live, aber für jeden einzelnen ja irgendwie schon!“

      Carolin rollte genervt mit den Augen, während das Lachen ihres Chefs dröhnend durch das Telefon klang. Eigentlich war er gar nicht wirklich ihr Chef. Sie war Freelancerin, arbeitete aber schon so lange für dieses Entwicklerbüro als Grafikerin, dass es sich fast so anfühlte, als würde sie fest dazugehören. Früher war sie auch mindestens einmal im Monat zu einer persönlichen Besprechung im Büro gewesen. Der direkte Kontakt war ihren Auftraggebern immer wichtig. Doch das schien wie aus einer anderen Welt zu sein. Inzwischen hatte sie ihr Büro ins Wohnzimmer verlegt. Auf dem Esstisch stand ihr Laptop mit dem großen Monitor, daneben stapelten sich Bleistiftskizzen. Den Couchtisch hatte ihre jüngere Tochter mit ihren Schulsachen in Beschlag genommen, genauso wie den umliegenden Boden, die Sofas und Stühle. Und um überhaupt zu den Tischen gelangen zu können, musste man Slalom laufen oder wie ein Storch stolzieren. Kneippen im Wohnzimmer. Und im Flur. Von den Kinderzimmern ganz zu schweigen … Carolin seufzte. Schön sah es nicht aus. Aber die Zeit …

      „… einen ersten Entwurf bis Ende der Woche. Bekommst du das hin?“

      Ups, er redete ja schon wieder. Es ging wohl um das Design der Türchen, so hoffte sie zumindest.

      „Bis Ende der Woche ist ganz schön knapp. Da ist ja auch noch der CFI-Auftrag.“

      „Mach dir darüber keine Gedanken“, unterbrach sie der Projektleiter. „Das kannst du schieben. Mit der Adventszeit lässt sich das aber nicht machen.“

      Carolin seufzte. „Nein, leider nicht. Ich habe für unsere Adventskalender noch gar nichts.“

      „Dann kannst du deinen Girlies ja den Link zu unserem Projekt geben. Adventskalenderproblem gelöst.“

      „Ich glaube, dann hätte ich erst recht ein Problem!“ Carolin konnte sich die enttäuschten Gesichter ihrer Töchter lebhaft vorstellen, wenn sie ihnen als Adventskalender nur einen Link präsentieren würde. Aber mit dieser Baustelle würde sie sich ein anderes Mal beschäftigen.

      „Doch zurück zu unserem Projekt“, unterbrach der Projektleiter ihre Gedanken. „Erster Entwurf bis Ende der Woche? Ist das gebongt? Und die fertige Abgabe dann eine Woche später. Ich erwarte also kein achtes Weltwunder. Einfach nur nette Bildchen, die auf einen Blick zusammen schön aussehen. Geeignet für die ganze Familie, also nicht zu kitschig, aber auch nicht zu verstaubt. Die Kinder sollen sich ja auch angesprochen fühlen. Du weißt ja: …“

      „Verspielte Seriosität?“, ergänzte Carolin und grinste. Das hatte einmal ein Kunde gefordert und es hatte sich zum geflügelten Wort im Büro entwickelt. „Okay, wenn ich CFI erst einmal aufs Eis legen kann, dann schaffe ich das. Sind ja drei Tage bis Freitag. Das sollte reichen für einen ersten Entwurf. Schreibst du alles noch in den Projektordner?“

      „Klar, lege ich dir ab. Und danke schon mal.“

      „Danke dir!“, entgegnete Carolin automatisch und verabschiedete sich.

      „Wer war das?“, fragte Leonora ihre Mama, als diese das Headset absetzte.

      Carolin seufzte. Sie hatte schon so oft darum gebeten, in Ruhe telefonieren zu können. Das klappte inzwischen. Schließlich gingen beide Kinder ja auch schon in die Schule. Also theoretisch zumindest. Im Moment bedeutete es: Schule zu Hause. Aber dass das Gespräch noch nicht bei der Verabschiedung vorbei war, schien Leonora immer wieder zu vergessen. Hoffentlich hatte ihr Gesprächspartner es nicht gehört. Wobei, eigentlich wäre es nicht so schlimm. Zurzeit arbeitete ja fast jeder zu Hause. Wie oft waren da schon Kinder in die Videokonferenzen hineingeplatzt oder hatten auf dem Schoß der Kollegen gesessen, weil sie Kuschelzeit brauchten … Aber sie versuchte trotzdem noch, eine gewisse Arbeitsatmosphäre

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