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Sie aussehen.“

      Elli merkte, dass sie wieder errötete. Sigismund von Schreckenfels war fast 400 Jahre alt, aber sein Charme hatte sich bestens gehalten.

      „Wäre es mir möglich gewesen, Jungfer Elli, hätte ich mir auch erlaubt, Ihrer Lieblichkeit ein Sträußlein Blumen zu überreichen. Nur, es ist Winter, und außerdem ...“, traurig streckte er seine Hände vor, mit denen er nichts greifen konnte. Und dann verneigte er sich abermals und wedelte mit seinem großen Hut durch die Luft, bevor er in den Raum schwebte und sich interessiert umschaute: „Jungfer Elli, haben Sie umdekoriert? Möhren an der Decke? Und warum glimmt Ihr Küchentisch? Ich gebe zu, nicht alles in der neuen Zeit werde ich verstehen.“

      Anaximander öffnete seinen Schnabel, doch ein mahnender Blick Ellis ließ ihn schweigen. Wehe, warnte sie stumm, oder du kannst dich nach einer neuen Unterkunft umschauen!

      Ehe sie die Tür schließen konnte, war ein weiterer Gast eingetroffen. Madame Arachnia, die Spinne, krabbelte über die Schwelle, winkte mit ihrem ersten Beinpaar und blinzelte mit allen acht Augen: „Guten Abend, Elli-Kindchen. Wie freue ich mich, bei dir zu sein.“ Aus einem Beutel zog sie ein zusammengefaltetes Blatt hervor und überreichte es der Gastgeberin.

      „Danke schön“, sagte Elli artig und wagte nicht, das Blatt aufzufalten. Madame Arachnias Geschenke waren stets äußerst ungewöhnlich.

      „Ooooh“, machte die Spinne, nickte den anderen Anwesenden zu und flüsterte dann: „Das ist etwas ganz Besonderes. Das Blatt habe ich in einer Neumondnacht gepflückt und mit Wasser benetzt, das aus einer Quelle stammt, die in der ersten Adventsnacht, außer in Schaltjahren, da in der Nacht vor der ersten Adventsnacht, besondere Kräfte besitzt.“ Verschwörerisch nickte sie. „Oh ja, Kindchen, und wenn du Blatt und Wasser zusammenführst und dann vierzehn Tage aufbewahrst, dann hast du den Weg zur ewigen Jugend!“

      „Ewige Jugend?“, schnarrte Lieutenant Bones und klapperte mit seinen Knochen. „Schauen Sie mich an, Verehrteste. Oder Herrn von Schreckenfels.“

      „Sie beide hätten mehr auf mich hören sollen, dann würden Sie auch gesünder aussehen“, gab Madame Arachnia pikiert zurück. „Elli-Kindchen, hör nicht auf die beiden. Achte auf deine Ernährung. Wenn du nicht so enden möchtest, dann fügst du, das ist etwas problematisch im Winter, nach vierzehn Tagen eine frische, selbst geerntete, mit der linken Hand in Scheiben geschnittene Mohrrübe hinzu, ...“

      „Selbst geerntete Mohrrübe? Kein Problem, die haben wir ab sofort unter unserem Dach ganzjährig im Angebot“, meldete sich Anaximander vom Schrank aus.

      „... und in der Neujahrsnacht bereitest du alles mit biologisch angebautem Spinat zu. Du wirst sehen, Elli-Kindchen, deine Haut bleibt zart und weich, und deine innere Energie wird für ein ganzes weiteres Jahr aufgeladen.“

      Elli war sprachlos. Wo bekam sie biologisch angebauten Spinat im Winter her? Musste sie den auch selbst ernten? Aber sie dankte der Spinne nochmals für ihr Adventsgeschenk.

      „Wer ist denn noch geladen?“, fragte Sigismund von Schreckenfels.

      „Die weiteren Gäste kommen erst, wenn es richtig Nacht ist“, antwortete Elli. Und sie musste ihren Besuchern gestehen, dass das Plätzchen-Essen nicht stattfinden konnte, da sie noch keine Plätzchen hatte. Und dass sie nun traurig sei, dass ihre Gäste nichts zu essen hatten und dass sie so auch kein Geld für die Kinder morgen auf dem Adventsbasar der Kirche sammeln konnte.

      „Organisation“, schnarrte Lieutenant Bones, „alles nur eine Frage der Organisation.“

      Mitleidig neigte Sigismund von Schreckenfels seinen Kopf zur Seite: „Jungfer Elli, mit Verlaub, ich erinnere mich an Gertrude, die Köchin auf der Burg meines Vaters. Und sie konnte wundervoll backen. Sie machte die besten Weihnachtsplätzchen, die es gab.“ Sehnsüchtig zog der Geist Luft durch die Nase. Oder tat zumindest so, da er die Luft nicht einsaugen konnte. „Auch nach so vielen Jahrhunderten erinnere ich mich an ihren Duft.“

      „Das hilft mir aber nicht“, antwortete Elli, „es sei denn, Gertrude ist auch ein Geist. Wir brauchen doch das Rezept. Ich glaube, der einzige Weg ist, wenn ich es noch einmal mit Zaubersprüchen ...“

      Die Reaktion aller Anwesenden war eindeutig, und Madame Arachnia führte die Gedanken der Besucher zusammen: „Es mag sicherer sein, wenn wir es auf die übliche Art machen.“ Und sie fügte hinzu: „Und so ist es dann auch ökologisch-nachhaltig.“

      Sofort entstand geschäftiges Treiben. Sigismund von Schreckenfels zählte die Bestandteile von Gertrudes Rezept auf. Allzu oft hatte er in der Küche der Burg gehockt, wenn sie die Plätzchen buk, um schon vorher Teig zu naschen. Elli wog die Zutaten ab, Anaximander öffnete die Eier mit seinem Schnabel, Madame Arachnia griff nach zwei Kochlöffeln und begann kraftvoll zu rühren. Lieutenant Bones schritt wichtig zwischen den anderen auf und ab und ließ von Zeit zu Zeit Anweisungen zur disziplinierteren Vorgehensweise erschallen.

      Bald schon hatten sie einen leckeren Teig erstellt, den Sigismund von Schreckenfels mehrfach versuchte zu kosten, doch sein Finger glitt wieder und wieder einfach nur durch die Schüssel. Lieutenant Bones vermeldete, während ihm Teig von den Kieferknochen tropfte: „Ausgezeichnet. Wirklich ausgezeichnet. Hätten wir damals im Ersten Weltkrieg eine derartige Verköstigung gehabt, wir hätten nur gegessen und nicht gekämpft!“

      Elli holte die Ausstechförmchen, während Madame Arachnia den Teig auswalzte. Es waren ganz besondere Ausstechförmchen, denn es waren nicht nur Sterne, Weihnachtsbäume, Engel, Weihnachtsmänner und Schaukelpferde. Elli hatte auch Fledermäuse, Besen, Spinnen, Kröten, Zauberhüte und sogar – darauf war sie besonders stolz - einen Drachen. Sie hatte so viele Ausstechförmchen, dass sie ein ganzes Täschchen füllten. Schnell hatten die Freunde unzählige Plätzchen ausgestochen und nach und nach in den Backofen geschoben, während sie die nächsten Plätzchen herstellten. Lieutenant Bones stand zwischen Küchentisch und Ofen und gab den Takt des Ausstechens vor, indem er mit seinem Offiziersdegen gegen seine Stiefel schlug.

      Und dann war der Moment gekommen, als die ersten fertigen Plätzchen aus dem Ofen genommen werden konnten. Elli hatte den Ofen geöffnet, und Sigismund von Schreckenfels schwebte durch sie hindurch, um das Ergebnis besser in Augenschein nehmen zu können.

      „Hervorragend. Wenn sie so riechen und schmecken, wie sie aussehen, werden sie deliziös sein!“ Er wollte nach einem Topflappen greifen, um das Backblech aus dem Ofen zu ziehen, doch zu seiner Enttäuschung glitt seine Hand durch Topflappen und Tischplatte.

      „Elli-Kindchen“, säuselte Madame Arachnia, „die Plätzchen duften wundervoll. Siehst du, so etwas geht nur mit Handarbeit und nicht mit Zauberei. Und das ist auch gesünder.“

      „Insbesondere für die Anwesenden, damit sie nicht ins All geschossen werden“, meldete sich Anaximander aus dem Hintergrund.

      Madame Arachnia war mit ihren Gesundheitsratschlägen noch nicht am Ende: „Wiewohl, ich muss anmerken, dass es den Kindern auch gut täte, weniger Plätzchen und mehr Obst und Gemüse zu essen.“

      „Aber verehrteste Madame Arachnia“, wandte Sigismund von Schreckenfels ein und neigte höflich seinen Kopf in Richtung der Spinne, „wir haben doch Weihnachten. Da gehören Plätzchen einfach dazu.“

      „Nun, da mag ich Ihnen zustimmen“, überlegte Madame Arachnia und ließ die Halskette mit den unzähligen bunten Glaskugeln klimpern. „Aber nur, weil Weihnachten ist!“

      „Und deswegen sollen die Plätzchen ja auch etwas ganz Besonderes sein!“, ergänzte Elli. Sie griff nach einem frischgebackenen Plätzchen-Besen und kostete. Es war natürlich noch viel zu warm, aber es schmeckte umwerfend!

      „Fräulein Elli, mehr Disziplin. Jedes jetzt gegessene Plätzchen kann nicht mehr verkauft werden“, mahnte Lieutenant Bones. „Ich erkenne auch ein gewisses Maß an undisziplinierter Nachlässigkeit in der Truppe.“ Das Skelett schritt durch die Küche und setzte seine knöchernen Füße besonders lautstark auf. „Nachlässigkeit vor Erreichen des Ziels gefährdet den Gesamterfolg!“

      Einige Zeit später klopfte es an die Tür, und

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