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eine gefährliche Sache zur Welt bringe, dann muss ich auch dafür sorgen, dass es behandelt werden kann«, echauffierte er sich und steigerte sich immer mehr in die Sache rein.

      Plötzlich spürte er ihre Hand auf seiner. Verblüfft sah er in ihre Augen. »Vielleicht sollten wir auf eigene Faust nach einem Gegenmittel forschen«, schlug sie überraschenderweise vor und erntete erstaunte Blicke.

      Wie in einer Art Trance streichelte er mit seinem Daumen über die dünnen Finger ihrer Hand.

      Natürlich könnten wir auf eigene Faust forschen. Das wäre nicht das Problem.

      »Wenn das rauskäme, würde man uns suspendieren«, wiegelte er ab, rutschte im Rattan Sessel nach unten und hielt weiter ihre Hand ohne es zu merken. »Wahrscheinlich müssen wir es einfach akzeptieren … oder es drauf ankommen lassen und los forschen. Komme, was wolle«, sinnierte er und sah in ihr Gesicht. Plötzlich merkte er, dass seine Hand die ihre streichelte, und zog sie peinlich berührt weg.

      Sie schmunzelte geschmeichelt, trank einen Schluck und stützte verträumt ihren Kopf auf ihrer rechten Hand ab.

      »Donnerstag geht’s nach Lyon?« Er nickte. »Wann geht dein Flieger?«

      »Ich fahre mit einem Leihwagen hin«, erwiderte er mürrisch.

      Stutzig googelte sie die Entfernung nach Lyon und zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Das sind ja zwölf Stunden Fahrt!«

      »Viel Zeit zum Nachdenken.«

      »Soll ich dich begleiten?«, fragte Susann.

      Sag ja, du Idiot!, schoss es ihm durch den Kopf, während Marvin sie perplex anstarrte. »Nein. Ich fahre allein.« Du Vollpfosten! Da entgeht dir eine große Chance.

      Wieder steckte er sich eine Zigarette an. Er erhob sich und lehnte locker am Geländer. Er sah dem Nachbarn dabei zu, wie er in gefühlt hundert Zügen einzuparken versuchte. Leise lachte er vor sich hin und Susann gesellte sich zu ihm. Sich das Schauspiel gemeinsam anzusehen, war für Marvin eine innige Situation.

      Wie gern würde ich den Arm um deine Hüfte legen und den Sonnenuntergang mit dir genießen. Dich nur im Arm halten bis die Nacht hereinbricht.

      »Herr Becker braucht immer eine Ewigkeit, um einzuparken.« Sie bemerkte den betrübten Blick von Marvin und stupste ihn keck mit der Hüfte an.

      »Ich werde jetzt nach Hause fahren.«

      »Wenn du willst, fahre ich dich. Dein Rad kann ich morgen mit ins Institut bringen.«

      Dankend nickte er ihr zu. Er packte seine Unterlagen wieder in den Rucksack, schwang diesen auf seinen Rücken und ging mit ihr nach unten.

      Sie schloss die Tür des alten Opel Corsas auf, der bedeutend bessere Tage hatte. Aber sie liebte dieses Auto. Es war penibel aufgeräumt und ein ausgeblichenes Duftbäumchen baumelte am Innenspiegel. Während der Fahrt betrachtete Marvin gedankenverloren die Straßen Berlins bis sie vor seinem Haus hielt. Bei Frau Huber brannte immer noch das Licht und Marvin konnte sich wieder das Genöle der Alten anhören, wenn er die Treppen hoch ging. Er zögerte.

      »Soll ich dich hochbringen oder warum zögerst du?«

      Verwundert blickte er sie an. »Gern. Ich habe auch Kaffee im Haus«, plauzte er ungeniert heraus und es war ihm wieder peinlich. »Natürlich ist es nur Filterkaffee, der bei weitem nicht so köstlich ist wie deiner.«

      Susann sah auf ihre Uhr, die neun Uhr anzeigte. »Vielleicht ein anderes Mal, okay?«

      Marvin versuchte, seine Enttäuschung zu verbergen, und nickte ihr zu. Er stieg aus dem kleinen Auto aus und schlug die Tür ins Schloss. Doch er blieb stehen, beugte sich zum Beifahrerfenster.

      Susann ließ die Scheibe herunter.

      »Wir sehen uns morgen … In alter Frische, ja?«, sagte Marvin mit einem Augenzwinkern.

      »Natürlich.«

      »Gute Nacht.« Er klopfte auf das Autodach und lief durch den dunklen Eingang ins Haus.

      Sie wartete, bis das Licht anging und beobachtete ihn durch die Fenster des Treppenaufganges, wie er die Stufen empor schritt.

      Im dritten Stock blieb er stehen und sah, wie der Corsa vom Haus wegfuhr. Sehnsüchtig sah er ihr nach und betrachtete seine rechte Hand, in der ihre Hand eine Weile lang gelegen hatte. Er versuchte, den Moment wieder aus seinen Erinnerungen hochzuholen, und konnte ihre Haut auf seiner spüren.

      Mit Liebeskummer und einer Flasche Bier in der Hand ließ er sich auf der Couch nieder, sah grübelnd an die Decke und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Er schmunzelte und dachte an den ersten Tag zurück, als sie frisch ins Institut kam. Grün hinter den Ohren. Die Kollegen ließen sie einen Vollschutzanzug des S4 Labors tragen, als sie am ersten Tag im S1 Labor war. Zu ihrer Verwunderung trug Marvin nicht den Vollschutzanzug. Sie war damals sichtlich geknickt und er musste sie aufbauen. Die anfängliche Euphorie seitens Susann bremste er gekonnt in den ersten Minuten ihres Daseins aus. Die Realität war gänzlich anders, als in ihren Vorstellungen. Zum Glück hatte sie sich nicht beirren lassen und zog ihr Ding durch. Sehr zur Freude seinerseits.

      Das war heute bedeutsamer als alles andere zuvor. Mit ziemlicher Sicherheit hast du sie schon öfters berührt und sie dich ebenso. Aber dies war anders. Intensiver. Und wenn du deine Augen schließt, kannst du ihre Hände spüren.

      Er trank sein Bier aus, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und zog sich bis auf die Boxershorts aus. Auf dem Bauch liegend betrachtete er seine Hand. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht und in Gedanken an Susann schlief er schließlich ein.

      ***

      Kapitel 7

      Berlin, Autovermietung Schönefeld

      21. Juli 2012, 8:30 Uhr

      38 Tage bis zum internationalen Flugverbot

      Susann fuhr Marvin zur Autovermietung nach Schönefeld. Das Institut hatte keine Kosten und Mühen gescheut, dem Doktor einen BMW X1 zu reservieren. Akribisch betrachtete er die polierten Felgen des Autos und die glänzende Lackierung. Mit scharfen Blick begutachtete er die Karosserie von allen Seiten.

      »Schon mal ein Fahrzeug gemietet?«, fragte er sie, während er die vordere Stoßstange prüfte. Susann schüttelte den Kopf. »Vor der Fahrt müssen sämtliche Kratzer und Beulen verzeichnet werden. Sonst muss ich was bezahlen, was ich gar nicht war.«

      »Macht Sinn«, erwiderte sie und warf derweil einen Blick auf seinen Koffer.

      »Ist das ein Raucherauto?«, fragte er den Mitarbeiter, dessen Gesicht mit tiefen Narben übersät war. Ein Überbleibsel stark pubertärer Akne.

      »Ja. Automatik, Klimaautomatik, Spurassistent, Navigationssystem und Freisprechanlage«, zählte dieser auf und spielte mit dem Schlüssel in der Hand herum.

      »Sehr gut. Dann komme ich auch an«, erwiderte er zufrieden und ging auf den Mitarbeiter zu.

      Der Angestellte reichte ihm das Klemmbrett mit den Unterlagen und dem Schlüssel.

      Marvin unterschrieb den Mietvertrag, dessen Inhalt er schon in- und auswendig kannte und grinste Susann in froher Erwartung an. Er nahm ihr den Koffer ab und stellte ihn in den Kofferraum.

      »Bis Dienstag muss er wieder hier sein. Vollgetankt«, rief der Mitarbeiter ihm zu, der das Klemmbrett in der Hand hielt und bereits zurück zu seinem Kassenhäuschen lief.

      Marvin nickte ihm nur zu und schloss die Kofferraumklappe. Die Hände in die Hüfte gestemmt, blickte er zufrieden auf seine Assistentin.

      Plump reichte er ihr die Hand zum Abschied, auch wenn er sie lieber herzlich umarmt hätte. Doch wieder stand ihm die Vernunft im Weg, statt auf sein Herz zu hören.

      Grübelnd umschloss Susann seine Pranke. Zumindest versuchte sie es und seine Finger strichen behutsam über ihren Handrücken.

      »Melde dich, wenn du angekommen bist«, drängte

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