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nahm den schlummernden Gast mit, ohne von ihm zu wissen.

      »Ich war auch nicht begeistert, als sie mir davon erzählten.« Yves wandte sich Marvin mit wehleidigem Blick zu. »Wir sind noch lange nicht dort angekommen, wie es im Protokoll steht. Wir benötigen die doppelte Zeit, um alles in ihrer komplexen Form runter zu fahren. Dieser Virus muss entschärft werden.«

      Marvin beugte sich geheimnisvoll nach vorn. »Wollen wir nicht auf eigene Faust nach einem Heilmittel suchen?«

      Yves grinste und sah ihn kopfschüttelnd an. »Wenn das rauskommt, sind wir am Arsch. Das weißt du genauso gut wie ich.«

      Schwer seufzend sah sich Marvin um, zückte sein Smartphone und sah keine Nachricht von Susann. Betrübt legte er es neben sich und sah immer wieder auf das Display.

      »Warum macht dich das so fertig? Es ist doch nur ein Job und es gibt noch viel mehr, an denen wir arbeiten können«, hakte Yves verwundert nach.

      »Klingt es bescheuert, wenn man zu einem Virus eine Beziehung aufgebaut hat?«

      Yves schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Wenn man sich so reinhängt wie du, dann kann das passieren. Ich habe es mit erschaffen. Es ist wie ein Kind, welches nun hyperaktiv geworden ist und mit allen Mitteln beruhigt werden muss. Aber das ist nicht alles, was dir Kummer bereitet. Was ist los?«

      Marvin sah nervös auf sein Handy. Es tat sich nichts. »Ich habe seit ein paar Wochen eine neue Assistentin bekommen. Eine junge Frau, zwanzig Jahre jünger als ich und-«

      »Du bist verliebt, alter Freund!«, unterbrach er ihn mit leuchtenden Augen. »Erzähl‘ mir alles von ihr!«

      Schmunzelnd hielt Marvin inne und sah sie vor seinen Augen. »Sie hat ein wahnsinnig süßes Lächeln. Eine Traumfigur und die süßeste Stimme der Welt. Ich bin echt verschossen in sie und … Ich bin einfach zu verklemmt, ihr all das zu sagen, ohne mich komplett zu blamieren.«

      »Oh mon amour, Marvin. Lass dem Mädchen Zeit. Sie wird sich melden, wenn die Zeit gekommen ist«, versicherte er mit einem warmherzigen Grinsen.

      »Und wenn ich es versaut habe? Sie hat mir noch nicht geantwortet, als ich ihr heute Morgen schrieb.«

      »Sie wird antworten.« Yves hielt einen Augenblick inne und wurde ernsthafter. »Ich kann nicht mehr weiter an diesem Projekt arbeiten. Zumindest nicht mehr aktiv im Labor.«

      »Was? Du verlässt das Projekt? Aber mit wem von euch Franzmännern arbeite ich dann zusammen?«, regte er sich auf und Yves tätschelte ihm beruhigend die Hand.

      »Im Hintergrund bin ich immer noch da. Nur haben sie letzten Monat MS festgestellt. Ich befinde mich gerade wieder in einem Schub. Deshalb ist die Probe gestern zu Bruch gegangen. Auf Dauer bin ich eine Gefahr für den Laden. Was ist, wenn der Virus das Labor verlässt? Dann steht die Welt am Abgrund!«, flüsterte er aufgebracht. »Es ist besser so, glaub mir.«

      Wütend schlug Marvin mit der Faust auf den Tisch und die Bedienung, die die Teller brachte, blieb erschrocken stehen. Die anderen Gäste blickten den Mann verstört an.

      Yves nickte dem Kellner vertrauensvoll zu und nahm ihm einen der Teller ab. »Genießen wir das Essen und verschwinden, wenn wir fertig sind. Die Fracht kannst du auch am Samstag holen. Ich habe den Schlüssel«, versicherte der Franzose und begann genüsslich seine Suppe zu schlürfen.

      Doch Marvin zögerte, bevor er ins Croissant biss. Sein Magengeschwür rebellierte ein wenig, als er in das knusprige Gepäck biss. Dieser Geschmack ließ seine Synapsen explodieren. Begeistert sah er ihn an.

      »Anderes Thema. Sonntagnacht fliegen Géraldine und ich nach Asien. Das haben wir uns lange zurecht gespart. Wir machen einen kurzen Abstecher nach Spanien und fliegen dann weiter nach Asien.«

      »Dann passt es ja, dass ich Samstag wieder fahre«, antwortete er mürrisch und blickte ihn an.

      Wie kann er so gelassen bleiben? Er steigt aus dem Projekt aus und ich darf mit all den Wahnsinnigen allein arbeiten!, regte er sich innerlich auf.

      »Die Box ist im Kühltresor, keine Sorge. Am besten holen wir deine Klamotten aus dem Hotel und du schläfst bei uns«, schlug Yves vor.

      »Quatsch, ich will euch keine Umstände bereiten«, wiegelte er ab und steckte sich einen weiteren Bissen des Rühreis in den Mund.

      »Non, ich bestehe darauf«, bestand Yves. »Und jetzt essen wir. Wir holen die Papiere und du fährst uns zu mir. Géraldine hat heute das Auto.«

      Während Dr. Roux genüsslich sein Mahl verspeiste, konnte sich Marvin nur schwer auf sein köstliches Frühstück konzentrieren. Innerlich war er vollkommen aufgewühlt und konnte nicht glauben, dass sein Freund kein Ansprechpartner mehr sein würde.

      *

      Nachdem sie gegessen hatten, holten sie die Überführungspapiere sowie die Genehmigungen. Marvin bezahlte das Zimmer für die Nacht und packte die Tasche zusammen, bevor sie zu Yves fuhren.

      Marvin durchquerte ländliches Weinberggebiet und parkte vor einem Häuschen aus Bruchstein. Sie ließen den Abend auf der Terrasse ausklingen, die die Abendsonne einfing. Der nahegelegene Weinberg und die in der Ferne liegenden Lavendelfelder wirkten beruhigend auf den deutschen Virologen.

      Géraldine ließ es sich nicht nehmen, eine kleine Weinverkostung zu veranstalten. Sie präsentierte drei verschiedene Weinsorten sowie diverse Käsesorten mit Baguette.

      Vollgefuttert mit den Köstlichkeiten, legte sich Marvin in das Gästezimmer und schloss die Augen. Er spürte, wie sich ein Kopfschmerz ankündigte.

      Plötzlich piepte sein Telefon.

      ›Entschuldige, dass ich mich erst jetzt melde. Bist du noch wach?

      Er war wach, schnellte nach oben und verspürte einen stechenden Schmerz in seinem Schädel. Dennoch ließ er sich es nicht nehmen, ihre Nummer zu wählen und wartete ungeduldig darauf, dass sie ran gehen würde.

      »Hey, ich bin noch wach«, sagte er grinsend und ging auf den kleinen Balkon. Er steckte sich eine Zigarette an und rauchte diese locker am steinernen Geländer gelehnt.

      »Entschuldige, aber heute war irgendwie nicht mein Tag. Was machst du so?«, fragte sie seufzend.

      »Yves und ich haben eine private Weinverkostung gemacht. Bin etwas angetrunken, aber der Wein schmeckt besser, als dieses Bier im Hotel«, erwiderte er leise lachend.

      »Klingt witzig. Ich war heute nur kurz auf Arbeit und bekam einen Anruf von meinen Eltern, dass ein Rohr in meiner Küche geplatzt war. Tja, hatte mit Ausräumen und Wasser aufwischen zu tun«, berichtete sie und stöhnte genervt auf. »Aber naja. Ich hab‘ ja jetzt ein paar Tage frei und fahre mit Freunden nach Potsdam. Da können sich die Handwerker in der Zeit austoben.«

      Ein kurzes Stechen durchfuhr seinen Körper und er hielt sich den Kopf. »Ich werde morgen früh wieder zurückfahren. Yves und seine Frau fliegen in den Urlaub. Erst Spanien, dann Asien.«

      »Andrea hat dir eine Mail geschickt mit deinem Urlaubsantrag.«

      Verwundert drückte er die Zigarette aus. »Warum soll ich denn Urlaub nehmen?«

      »Wegen den Wartungsarbeiten im S4. Die dekontaminieren von Grund auf das Labor, bevor mit den neuen Proben gearbeitet werden soll. Irgendeine Prüfung findet noch statt und-«

      »Ach ja!«, unterbrach er sie und klatschte sich die flache Hand gegen die Stirn. »Die halbjährliche Prüfung! Die stand, glaube ich, auch auf dem Urlaubsplan. Wie lange bleibst du in Potsdam?«

      »Wir fahren Sonntagfrüh los und kommen wahrscheinlich am Donnerstag wieder … Aber wir können uns danach gern mal auf einen Kaffee treffen, wenn du möchtest.«

      Marvin steckte sich nervös eine weitere Zigarette an. »Natürlich möchte ich das, sonst würde ich nicht so bescheuert fragen«, lachte er leicht schnippisch. »Ich mache mich hier zum Vollhorst, weil ich dich echt mag.«

      Just in diesen Moment hielt er inne und wiederholte

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