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Nachtschrank.

      ›Es tut mir leid, dass du so oft allein bist. Aber du solltest dich nicht nur in deiner Wohnung verkriechen. Wir wohnen in Berlin und man kann vieles erleben. Meinst du nicht?‹, antwortete sie.

      Er las die Nachricht zuvor und die aktuelle. Genervt von seiner eigenen Dummheit schüttelte er den Kopf.

      ›Ich werde jetzt schlafen. Aber zuvor werde ich dir mein Herz ausschütten, weil ich weiß, ich bin weit genug von dir entfernt und du kannst mir nicht sofort den Kopf abreißen. Es wäre schön, wenn wir uns nicht nur im Labor sehen würden. Ein Date oder so. Ich finde dich nicht nur hübsch, sondern wunderschön. Wenn ich weiß, dass du auf Arbeit bist, geht es mir gut. Gut, ich habe ein wenig getrunken, weil ich sonst so verklemmt gegenüber Frauen bin. Ich bin zu plump und vergraule mit meiner Art die weibliche Lebensform. Auf jeden Fall würde ich dich gern näher kennenlernen. Ich kann gut thailändisch kochen. Gute Nacht.

      Gedankenverloren las sich Marvin die Nachricht dieses Mal durch, bevor er sie abschickte. Doch er sendete sie nicht, sondern löschte den kompletten Text.

      ›Gute Nacht, Susann. Ich melde mich morgen‹, schrieb er und schickte diese Nachricht weg.

      Deprimiert legte er das Telefon auf den Nachtschrank, zog sich die Decke über den Kopf und versuchte zu schlafen.

      *

      Während Dr. Yves Roux nach einem gemütlichen Abend mit seiner Frau langsam in den Schlaf überging, begann der Virus in seinem Hirn zu pulsieren. Als würde etwas ihn aktivieren. Das Netzwerk, welches es gebildet hatte, heftete sich in seinen Bronchien und Schleimhäuten ein. Es veränderte sich. Es zwang den Doktor zum Husten, wodurch es in die Luft übertrat und sich wie ein leichter unsichtbarer Sprühnebel verteilte. Als wäre dies ein Probelauf, der funktionierte. Seine Frau atmete die Partikel im Schlaf ein, die sofort begannen zu arbeiten. In Windeseile verbreiteten sie sich in ihren Körper.

      ***

      Kapitel 10

      Lyon, Frankreich

      22. Juli 2012, 10:15 Uhr

      Unterkunft

      37 Tage bis zum internationalen Flugverbot

      Marvin wachte mit leichten Kopfschmerzen auf, rieb sich die Stirn und sah die drei Flaschen Bier, die neben dem Bett auf dem Boden lagen. Er prustete laut, erhob seinen Körper und kramte aus dem Koffer die Kopfschmerztabletten heraus. Er nahm eine Cola aus der Minibar, öffnete diese und schmiss sich eine Tablette in den Rachen ein.

      Zu seiner Verwunderung war es Viertel nach zehn, als er auf das Display sah. Aber er sah auch eine neue Nachricht und öffnete diese erwartungsfroh. Doch es war nicht Susann, sondern Yves.

      ›Guten Morgen, mein Freund. Ich bin im Labor. Yves

      Er nickte und klickte auf den Chat von Susann. Er las sich den Nachrichtenverlauf mehrmals durch. Immer und immer wieder und war beschämt über das, was er geschrieben hatte. Innehaltend dachte er über die richtigen Worte nach.

      ›Guten Morgen. Ich bin gerade munter geworden, bestelle mir gleich ein Frühstück und fahre zu Yves. Ich wünsche dir einen schönen Tag.

      Gespannt sah er auf das Telefon, aber nichts tat sich. Die Nachricht wurde nicht gelesen.

      Scheinbar hat sie zu tun oder so. Sie ist ja arbeiten und hockt nicht wie du in einem Hotelzimmer und bestellt sich Essen ans Bett.

      »Gute Idee mit dem Frühstück ans Bett«, sagte er zu sich selbst und orderte über die App seine Bestellung auf sein Zimmer.

      Nach einem kleinen französischen Essen ging er ans Auto und rauchte genüsslich seine erste Zigarette, bevor er einstieg und losfuhr.

      *

      Das Navi führte ihn durch eine schöne, malerische Stadt. So wie immer, wenn er Proben holte. Nach einer viertel Stunde Fahrt erreichte er das Institut. Er parkte das Auto auf dem dortigen Parkplatz und lief den penibel gepflegten Schotterweg zum Hauptgebäude. Am Empfang gab er seinen Namen an und die Dame rief bei Yves an, der verlauten ließ, dass er ihn abholte.

      Er setzte sich auf die Sitzreihe gegenüber des Empfangstresens und zückte das Handy aus der Tasche. Keine Nachricht von Susann. Etwas enttäuscht steckte er es wieder in die Hosentasche und sah Yves langsam die Treppe runterkommend.

      »Herzlich willkommen, mein Freund«, begrüßte er ihn mit französischem Akzent und kam mit ausgestreckten Armen auf ihn zu.

      Marvin erhob sich grinsend und wurde herzlichst von seinem Freund begrüßt.

      Der entgegentretende Atem prallte auf Marvin ein und drang durch seine Nase in seinen Körper. Sofort teilte sich das Virus in seinen Bahnen auf und suchte sich in Windeseile seinen Weg zu seinem Gehirn.

      »Wie immer ein harter Ritt bis hier runter«, erwiderte Marvin lachend und klopfte ihm beherzt auf den Rücken. »Und euer Bier ist scheiße.«

      Beide Männer lachten herzlich und schritten gemeinsam die Treppe nach oben zu seinem Büro.

      »Ich habe dir schon immer gesagt, du sollst in Frankreich den Wein genießen und nicht das Bier. Willst du einen Kaffee?«

      »Gern!«

      Nachdem Yves ihm einen Kaffee in der Teeküche zubereitet hatte, gesellten sie sich in den Konferenzraum. Über eine Glasfront schaute Marvin in die Forschungsräume des S4 Labors. Vorsichtig nippte er an seiner Tasse.

      Verwundert beobachtete Marvin, wie sie eine Laborbank ausbauten. »Was ist denn da passiert?«, fragte er.

      »Mir ist gestern eine Probe umgefallen«, antwortete Yves und gesellte sich zu ihm. »Ich musste die Bank dekontaminieren.«

      Verblüfft blickte Marvin ihn an. »Meine Proben?«

      Yves nickte. »Es sind leider nur neun Proben, statt zehn. Aber das sollte dennoch reichen. Ich habe es bereits in den Papieren geändert.«

      »Ja, für die nächsten zwei Jahre«, schnaufte er missmutig und setzte sich patzig an den Tisch.

      »Was ist los? War das Frühstück wieder miserabel?« Marvin sah ihn grummelig an. »Komm, ich lade dich ein«, bot Yves an und lächelte.

      *

      Während sie durch die vollbesetzte Cafeteria schlenderten, zog Yves einen unsichtbaren Nebelschleier des Virus hinter sich her. In einer fächerartigen Form verharrte die Wolke und legte sich auf jeden, der durch sie hindurch ging. Als sie ein paar Studenten von der Dachterrasse ins Innere hinein ließen, stand Yves unter der Lüftung, die die winzig kleinen Partikel aufsaugte wie ein Staubsauger. In dezimierter Form verteilte die Anlage die Teilchen im Raum.

      Sie fanden ein schattiges Plätzchen und Marvin las leise fluchend die Speisekarte.

      Yves lugte hinter seiner Karte hervor und beobachtete ihn. »Ich empfehle dir die Croissants und das Rührei«, wandte er schmunzelnd ein.

      Augenrollend legte Marvin die Karte nieder.

      »Du fluchst jedes Mal über die Speisekarte. Frag doch einfach mich. Oder wurdest du je von mir enttäuscht von dem, was ich dir empfohlen habe?«

      Der deutsche Virologe schüttelte den Kopf. »Damit mein Magengeschwür wieder Futter kriegt, wa?«

      »Du hast ein Magengeschwür?«, wiederholte Yves geschockt.

      »Nur ein kleines«, wiegelte er lapidar ab. »Was jedoch wachsen wird, wenn sie das Projekt einmotten.«

      Einsichtig nickte Dr. Roux. »Wann haben sie es dir gesagt?«

      »Letzte Woche, als ich erfuhr, dass ich die letzten Proben holen soll«, brummte er betrübt. »Die ganze Arbeit war umsonst. Dabei hatten wir noch nicht mal mit dem Heilmittel angefangen.«

      »Ohne finanzielle Mittel wird es schwierig, dieses Mammutprojekt am Laufen zu halten«, erwiderte Yves und bestellte beim Kellner das Essen.

      Während

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