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versuchen, zu entschärfen. Wir dürfen dieses Projekt nicht einfach einmotten wie ein paar ausgediente Klamotten! Wir benötigen die Gelder für das Heilmittel, Gerhard!«

      Er nickte ihm zustimmend zu. »Das ergibt alles einen Sinn, Marvin. Aber wenn die Kommission entscheidet, dass Projekt zu beenden, müssen wir das so hinnehmen. Mir sind die Hände gebunden.«

      Erzürnt prustete Marvin vor sich hin, rieb sich fassungslos die Glatze und hätte am liebsten die Zettel zerrissen. »Wenn dieser Virus das Labor irgendwie verlässt, lösen wir eine Pandemie ungeahnten Ausmaßes aus. Wenn Sie die Ergebnisse der Tierforschung verfolgt haben, wissen-«

      »Nichts verlässt das Labor. Das ist ein Hochsicherheitslabor«, unterbrach Kaufmann. »Ihr Job ist sicher.«

      »Es geht hier doch nicht um mich!«, brüllte Marvin ihn entrüstet an. »Es gibt Leute in diesem Unternehmen, die gerade damit anfangen, sich ein Leben aufzubauen!«

      »Ich kann gern dafür sorgen, dass Frau Schmitz weiterhin ihre Assistentin bleibt, wenn Sie das wünschen«, erwiderte Dr. Kaufmann schnippisch.

      »Ich hoffe für Sie, dass der Virus nie ausbrechen wird«, drohte Marvin. »Denn wenn, werden Sie der erste sein, der nach einem Heilmittel schreit.«

      Herablassend nickte Dr. Kaufmann vor sich her.

      Marvin nahm patzig die Unterlagen und knallte die Tür des Büros hinter sich zu.

      *

      Schnaufend ging er nach unten, schmiss die Unterlagen in seinen Spind und lief nach draußen. Aufgebracht rauchte er drei Zigaretten hintereinander, während er mit nervös zuckendem Bein auf der Bank saß.

      Dieses dumme Arschloch! Wie kann er zulassen, dass die Forschung eingestellt wird. Und was wird aus Susann? Ich hoffe für ihn, dass er sein Wort hält.

      Schwer seufzend schmiss er die Kippe patzig in den Aschenbecher und stapfte wieder ins Gebäude.

      Susann saß vor ihrem Laptop und hatte die Unterlagen neben dem Rechner liegen. Die Schrift ihres Kollegen war teils schwer zu identifizieren. Manchmal kam sie sich vor, wie in einem Krimi, in dem man die Hieroglyphen des Mörders entziffern musste. Sie wusste genau, dass Marvin nach den Gesprächen mit Dr. Kaufmann meist mürrisch heraus kam. Der Kaffee, der schon auf ihn wartete, würde ihn besänftigen.

      Die Tür sprang auf und Marvin trat herein. Instinktiv griff er nach der Kaffeekanne, goss sich das schwarze Gebräu in seine lapidar ausgewaschene Kaffeetasse und schlürfte am Rand. Seufzend setzte er sich an seinen Schreibtisch und beobachtete Susann einen Moment.

      Sie unterbrach das Schreiben und sah zum ihm auf. Sie schmunzelte.

      Hach, da ist es wieder. Dieses Lächeln. Diese grünen, wilden Augen sind so geheimnisvoll und sexy. Verdammt, schoss es ihm durch den Kopf.

      »An manchen Stellen ist deine Schrift gut lesbar, an anderen wiederum nicht«, bemerkte sie und legte eine kleine Pause ein, um an ihrer Tasse zu schlürfen.

      »Ich muss nächsten Donnerstag nach Lyon fahren«, brummte er. Marvin steckte die Hände in die Taschen seines Kittels, während er sich auf dem Bürostuhl drehte.

      Schmollend beäugte sie ihn und japste nach Luft. »Also … muss ich allein deine Hieroglyphen entziffern?«

      Marvin nickte bedrückt. »Zumindest bis ich fahre … Ich geh … Ich muss nochmal telefonieren.«

      Susann nickte, wandte sich wieder ihrer Arbeit zu und schien wenig begeistert zu sein, dass sie allein weiterarbeiten musste.

      *

      Nachdem er seinen Kollegen und langjährigen Freund Dr. Yves Roux angerufen und von seiner bevorstehenden Reise informiert hatte, saß er nachdenklich im Pausenraum und hielt sich an seiner Tasse Kaffee fest. Er hatte nicht einmal Hunger. Die Zeit verflog wie in Zeitraffer.

      Während sich die anderen Mitarbeiter zum Mittagessen trafen, lachten und erzählten, saß er wie ein Trauerkloß an seinen Tisch und starrte apathisch auf seine Kaffeetasse.

      Plötzlich stellte Susann ihr Tablett auf die Tischplatte und setzte sich. Sie faltete die Hände ineinander, hielt sie vor ihren Mund und beobachtete ihn.

      Seine Augen wanderten auf ihren Teller. Wie gesundheitsbewusst sie sich doch ernährte. Einen bunten Salat mit einem leichten Dressing, dazu gedünsteter Fisch.

      »Warum so betrübt?«, hakte sie nach.

      Er schaute in ihre Augen, die ihn regelrecht in seinen Bann zogen. »Gefällt es dir bei uns?«, entgegnete er ihr.

      »Ja. Ich arbeite gern hier. Wieso fragst du das?«

      Seufzend strich er sich über das nicht vorhandene Haar. »Dr. Kaufmann sagte mir, dass das Projekt eingestellt wird. Die nächsten zwei Jahre dienen der Zusammenfassung aller Ergebnisse. Das sind die letzten Proben, die ich holen werde.«

      Das Leuchten in ihren Augen verschwand und sie senkte die Arme vor ihrer Brust nieder. Sie schnaufte und griff nachdenklich die Gabel. Im Essen umher stochernd grübelte sie.

      »Oh … Das kommt so plötzlich … Ich dachte, dass das Projekt noch eine Weile Bestand haben würde«, sagte sie nach einer Weile und sah ihn traurig an.

      »Das dachte ich auch … Ich war außer mir und habe betont, dass eine Menge Leute daran arbeiten und … Er sagte, dass du nicht versetzt werden würdest«, versuchte er sie zu beruhigen und tätschelte, ohne darüber nach zu denken, ihre zarte Hand.

      Susann betrachtete erst die streichelnde Hand und dann sein Gesicht. Seine Augen sahen müde und zermürbt aus.

      Streichelst du ihre Hand?, bemerkte seine innere Stimme und Marvin zog sie peinlich berührt von ihr weg. Ein tiefer schwerer Seufzer entfloh aus seinen Lungen.

      »Aber … Du hattest doch gesagt, dass die Erforschung des Gegenmittels noch nicht bewilligt sei«, bemerkte Susann, bevor sie sich ein Stück Fisch in den Mund schob.

      »Richtig. Das wird auch in den zwei Jahren nicht passieren. PO2 wird eingemottet.«

      Kauend nickte sie vor sich hin, hielt inne und suchte sich einen Fluchtpunkt. Sie war betrübt über das plötzliche Ende des Projekts.

      Marvin erhob sich, nahm locker seine leere Tasse in die Hand und ließ Susann allein am Tisch zurück.

      Seine Assistentin sah ihm nach, schob sich ein paar Bissen ihres Mittagessens in den Mund, bevor sie das Tablett abräumte.

      Gedankenverloren setzte sie sich wieder an die Arbeit und übertrug allein die Schriften in den Computer, während Marvin frustriert das Weite suchte.

      ***

      Kapitel 6

      Berlin, Moabit

      15. Juli 2012, 13:45 Uhr

      41 Tage bis internationalen Flugverbot

      Er trug sein Fahrrad die Treppen des Altbaus hinauf und erwartete, dass ihm im vierten Stock seine Nachbarin wieder auf die Nerven gehen würde.

      Doch die alte Schabracke war wohl beim Mittagsschläfchen.

      Auf halber Höhe des fünften Stocks hörte er plötzlich ein Türschloss klicken.

      »Na da hat awer eener früh Feieramd. Da könn‘ se de Zeit glei nutzn und wischn«, meckerte die Alte und stand mit verschränkten Armen vor der Brust auf der untersten Stufe.

      Genervt hielt Marvin inne und stellte das Fahrrad auf den Stufen ab.

      »Haben Sie keine anderen Hobbies, als anderen im Haus auf den Sack zu gehen?«, fauchte er sie an. »Kaufen Sie sich ‘ne Katze, nölen Sie die voll und nicht Leute, die bei weitem besseres zu tun haben, als diesen bekackten Flur zu wischen!«

      Wütend schnappte er sich sein Fahrrad und stapfte die Stufen empor.

      Die Alte schritt zum Geländer und schaute mit zusammengekniffenen Augen nach

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