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machen sich Sorgen, ist doch verständlich.“

      „Ich fand es seltsam, dass der Sohn so wenig vom Vater weiß und alles an der Schwiegertochter hängen bleibt. Sie wirkte so beherrscht, hatte alles im Griff, aber echte Sorge habe ich nicht gespürt.“

      „Eine Dame lässt sich nicht vor uns gehen, das kann im stillen Kämmerchen ganz anders aussehen.“

      „Glaub ich nicht!“

      Als das Duo im Polizeikommissariat eintraf, berichtete Michaela dem Vorgesetzten Jost Kleves von der Befragung des Ehepaars von Heesen. Die für den U-Bahn-Toten zuständigen Kriminalbeamten Petra Kühn und Jürgen Schult wurden vom Revierleiter des Polizeikommissariats 21 danach umgehend telefonisch in Kenntnis gesetzt, dass es sich bei der U-Bahn-Leiche möglicherweise um den 82-jährigen Herrn von Heesen Senior handelte. Er gab ihnen die genauen Personenstandsdaten samt Adresse durch.

      8

      Daraufhin befragte das Ermittler-Duo KHK Schulte und KOK Kühn Pförtner die Heimleiterin und diverse Betreuer, aber keiner lieferte neue Informationen. Von Heesen Senior war mittelgradig dement, war in seinem Zimmer geblieben, nahm dort auch seine Mahlzeiten ein, war nachts meist wach, aber niemand hatte ihn außerhalb des Zimmers gesehen. Die Beschreibungen des „Sohnes“, der den alten Mann vorzeitig geholt hatte, deckten sich mit ihren Notizen von der Anzeige – abgesehen von den üblichen Varianten von Zeugenbeobachtungen: Mann um die 50, normal groß, kurze braune Haare, glatt rasiert, weißes Hemd, grauer Anzug, höflich, freundlich, kein Ausländer, kein Dialekt. Einfach nichts, wo man einhaken konnte. Er hatte den Koffer und eine Tasche getragen, von Heesen war ganz selbstverständlich hinter ihm her getrottet. Jeder hatte sie für Sohn und Vater gehalten. Keiner hatte gesehen, ob sie mit einem Taxi oder einem geparkten Auto oder vielleicht sogar mit einem Bus von der Haltestelle circa 100 Meter die Straße runter weggefahren waren. Das Zimmer war gereinigt und schon wieder vergeben.

      „Kurzzeitpflegeplätze sind begehrt!“ Es gab keine medizinischen Auffälligkeiten. Bei den Mahlzeiten, bei denen der Senior gefüttert werden musste, erhielt der Patient einen in diesen praktischen Döschen vorbereiteten Medikamentenmix, angeblich einen Beta-Blocker, Vitaminpillen und abends ein leichtes Schlafmittel, alles von zu Hause mitgebracht wie bei kurzen stationären Aufenthalten üblich. Der Mann wirkte ausgeglichen, ruhig, gab höflich auf jede Frage eine Antwort, wenn auch oft nicht sinnvoll, aber sonst wäre er ja auch nicht dort gelandet. Petra Kühn ließ sich von jedem beschreiben, welche Kleidung der Vermisste am Tag des Verschwindens trug. Das führte zu viermaligem „weiß ich nicht mehr“ oder „ich habe ihn an dem Morgen gar nicht gesehen“ und zu drei unterschiedlichen Angaben. Keine Hilfe für einen Medienaufruf mit so wenigen Informationen, aber eventuell passte die Kleidung in der Rechtsmedizin zu einer der vorliegenden Beschreibungen.

      Schon 17 Uhr 52. Der Pförtner der Pathologie erklärte auf Kühns telefonische Anfrage, dass Frau Doktor Jansen das Institut vor circa einer Viertelstunde verlassen habe, also Feierabend für die Kriminalisten.

      9

      Am nächsten Morgen suchten Kühn und Schulte die Gerichtsmedizinerin kurz nach 9 Uhr auf und ließen sich die sichergestellten Kleidungsstücke, die noch an Körperteilen gehangen hatten, zeigen. Eine endgültige Aussage konnte keiner zu den blutverschmierten, zerrissenen Textilien treffen. Es konnte sich um Reste eines ehemals weißen Hemdes und eines blauen Anzugs treffen, nicht sehr spezifisch.

      „Besorgt mir eine Vergleichsprobe vom vermeintlichen Sohn, dann sag ich euch, ob die Leiche mit ihm verwandt ist“, beauftragte sie Doktor Helga Jansen.

      Kriminalhauptkommissar Schult erkundigte sich über Handy, ob von Heesen Junior zu Hause anzutreffen war. „Bleiben Sie bitte noch in der Villa, wir kommen in circa 20 Minuten zu Ihnen.“

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      Der Hausherr erwartete sie oben auf der Empfangsterrasse und erkundigte sich noch vor der Haustür, sofort nach der Begrüßung, ob es etwas Neues gäbe. Sie schritten auf den Wohnbereich zu. Kommissarin Kühn hielt ihn hin: „Leider noch nichts, wir ermitteln noch. Würden Sie uns freiwillig eine Speichelprobe geben, damit wir Ihre DNS von eventuellen Spuren Ihres Vaters unterscheiden können?“ Verdutzt hielt von Heesen an und musterte die Beamten, die schon bohrende Fragen fürchteten, aber dann schien es ihm zum Standardverfahren wie in jedem TV-Krimi zu gehören, denn er nickte zustimmend. Petra nahm mit dem Stäbchen aus einem sterilen Plastikröhrchen eine Probe von der Mundschleimhaut von Heesens, indem sie mit dem weichen Ende sanft einige Male drehend darüberstrich, bevor sie das Stäbchen zurück ins Röhrchen steckte und fest zudrehte. Sie hatte es bereits im Auto beschriftet.

      Nach zwei oder drei nichtssagenden Sätzen verließen die Kommissare die Villa, ohne der Gattin begegnet zu sein. Von Heesen Junior schien sich nicht zu wundern, dass man von ihr kein Vergleichsmaterial benötigte, dabei war sie doch mit dem verschwundenen Herrn im Heimzimmer gewesen.

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      Auf dem Weg zum Kommissariat lieferten sie das Plastikröhrchen mit dem Abstrich selbst im Labor ab. Nach etwas Schreibarbeit und einer gemeinsamen Mahlzeit in der Kantine machten Kühn und Schult sich an die Telefonate mit den Personen von der Kontaktliste, die ihnen von PHM Weber gemailt worden war, aber die meisten hatten von Heesen Senior in den letzten 2-3 Jahren nicht mehr gesprochen, geschweige denn gesehen.

      Am nächsten Tag klapperten sie die jetzigen Nachbarn ab, aber auch hier erhielten die Kriminalbeamten nur abschlägige Antworten von den angetroffenen Befragten. Ludowig von Heesen hatte schon rund ein Jahr niemand mehr draußen gesehen.

      KOK Petra Kühn war misstrauisch: „Das gibt es doch immer wieder, dass Familienangehörige eines Toten noch dessen Bezüge kassieren oder den Erbfall verzögern, lass uns da mal nachgraben!“

      Knapp zwei Stunden später kannten sie das Testament von Ludowig von Heesen, der alles schon zu Lebzeiten dem Sohn vermacht hatte, nicht mal eine Leibrente oder die Betreuung wurden darin erwähnt. Dort fand sich kein Motiv, aber vielleicht irgendwelche Rentenzahlungen?

      Die Befragung des Hausarztes brachte auch nichts Neues. Doktor Kröger, der Hausarzt, las im PC nach, dass er vor gut fünf Wochen den halbjährigen Gesundheitscheck bei dem Zweiundachtzigjährigen gemacht hatte: „Körperlich hat er gegenüber dem Frühjahr etwas abgebaut, fünf Kilogramm Gewicht verloren, auch Muskelmasse, aber vor allem geistig handelte es sich um einen rasch progredienten Verfall der kognitiven Leistungen. Auch die einfachsten Alltagstätigkeiten und -entscheidungen überforderten ihn. Im Gespräch kamen leere Worthülsen, oft ohne Bezug zum Thema. Auf die gleiche Frage kam fast jedes Mal eine andere Antwort, die oberflächlich richtig wirken können auf Außenstehende, aber die Sätze kommen aus einem Speicher – ähnlich wie bei einem Papagei, sie werden nicht mehr situativ gebildet. Mit einer so fortgeschrittenen Demenz brauchte der Patient rund um die Uhr Betreuung, da hatte Frau von Heesen einen Fulltimejob und Urlaub dringend nötig! Sie leistet Übermenschliches, indem sie ohne Hilfe rund um die Uhr dem Schwiegervater hilft und ihn überwacht, damit er nichts anstellt. Sie glauben gar nicht, wie gefährlich ein dementer Mensch für sich und die Umgebung ist! Viel schlimmer als jedes Kleinkind, das viele Dinge noch nicht kennt oder kann, aber rasch dazu lernt. Bei Patienten mit Hirnleistungsstörungen klappt motorisch vieles wie zum Beispiel das Entzünden einer Kerze oder das Starten eines Autos, aber sie erkennen die Gefahren nicht mehr, können keine Konsequenzen bedenken, weil das vorausschauende Denken, das Abwägen von Taten und ethischen Werten, das Kurzzeitgedächtnis und vieles mehr nicht mehr funktionieren…“

      KHK Jürgen Schulte unterbrach den Redefluss des dozierenden Arztes: „Kann Herr von Heesen allein mit dem Bus oder einer U-Bahn fahren?“

      „Wenn er diese öffentlichen Verkehrsmittel früher benutzt hat, dann könnte er auf alte Verhaltensmuster zurückgreifen, aber sicher nicht um gezielt irgendwo hinzufahren.“

      „Danke für Ihre Zeit. Auf Wiedersehen!“, verabschiedeten sich die Beamten nahezu zeitgleich und kehrten ins Kommissariat zurück.

      „Ich sag doch, die haben den Vater nicht mehr ausgehalten!“

      „Und wie sollen

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