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Harald Stieg. Wissen Sie schon, wer es ist?“

      „Nein, dazu müssten wir erst einmal an das Unfallopfer. Ist der Strom abgeschaltet, damit der Arzt feststellen kann, ob noch was zu machen ist?“

      „Der Strom an beiden Gleisen in diesem Abschnitt wird in so einem Fall sofort abgeschaltet. Die Lampen, Rolltreppen etc. hängen natürlich nicht an dem Stromnetz für die Züge. Kann ich den Zugführer sprechen oder ist er schon in der Klinik?“

      Clara schüttelte den Kopf. „Wir wissen nicht, wo der Fahrer ist. Kennen Sie ihn?“

      „Ja, laut Dienstplan ist Jens Matthies auf dem Zug.“

      „Wo könnte er sein? Ich wollte im Führerstand nachsehen, aber die Türen lassen sich nicht öffnen.“ Wortlos schritt Stieg zur Zugmaschine, griff irgendwo hin und öffnete dann die Tür von Hand. Als er eintreten wollte, hielt die Polizistin ihn zurück. „Lassen Sie mich zuerst rein!“ Clara verschwand in der Fahrerkabine. Auf dem Boden lag ein Mann. „Notarzt hierher!“ Clara griff ihr Handy, machte zwei Aufnahmen und trat zurück, um den jungen Mediziner vorbei zu lassen.

      Er tastete den Carotispuls, nickte zufrieden. „Er ist bewusstlos, der Schock!“ Der ältere Rettungsassistent war mit Koffer und Rucksack auch in den Wagen gestiegen. Zusammen zogen die beiden Männer den Ohnmächtigen aus der engen Kabine durch die Tür heraus. Das Licht der Bahnsteigbeleuchtung war zu fahl für die Ersthelfer, so trugen sie den Lokführer zu dritt auf dem Bahnsteig ein Stück entfernt zu einer Neonlampe bei den Wartebänken. Vorsichtig legten sie den Lokführer auf eine ausgebreitete Bergungsdecke am Boden.

      „Hallo! Können Sie mich hören?“ Wie im Fernsehen tätschelte der Arzt dabei die Wangen, während sein Helfer den rechten Ärmel des Patientenhemdes hoch rollte und die Blutdruckmanschette anlegte, die sich dann automatisch aufpumpte.

      „100 zu 70, Puls 56!“, meldete der Sanitäter.

      „Okay, wir legen einen Zugang. 500 Milliliter Ringer, eine Ampulle Supra.“ Der Arzt steckte den Oxymeter an den Zeigefinger der linken Hand. „Sauerstoffsättigung 98%.“ Der Bewusstlose hatte eine ausreichende Atmung, benötigte keinen Tubus oder Nasensonde.

      Die weitere Versorgung des Schockpatienten verpasste Clara, weil sich das Ende des Bahnsteigs mit den Teammitgliedern der Spurensicherung füllte.

      „Können wir anfangen?“, erkundigte sich der Leiter des fünfköpfigen Teams.

      „Nein, der Arzt muss noch den Tod feststellen oder habt ihr schon einen Gerichtsmediziner dabei?“

      „Ja, Frau Doktor Jansen, dort drüben.“ Er wies auf eine schlanke Frau mit kurzen schwarzen Haaren, die sich wie die drei anderen gerade in einen weißen Schutzanzug zwängte.

      Der Fahrdienstleiter begrüßte den Teamleiter. „Stieg, ich bin hier der zuständige Schichtleiter. Schienen und Zug sind vom Strom genommen. Wenn Sie was brauchen, wenden Sie sich an mich!“

      Clara warf einen Blick auf die Kolleginnen und Kollegen, die mit Notizbüchern oder elektronischen Geräten - je nach Gusto - die Aussagen der verbliebenen U-Bahn-Passagiere aufnahmen. Die Kriminaltechniker nahmen die Arbeit auf. Ein Techniker stellte starke Strahler auf, andere machten Video- und Kameraaufnahmen, zwei maßen Distanzen. Die Rechtsmedizinerin stieg auf das Gleis vor der U-Bahn, gefolgt von zwei Assistenten, die mit hellen Taschenlampen auf den Schotter, dann gebückt unter die Bahn leuchteten.

      Carla zückte ihr Funkgerät: „Peter 21-2 für Zentrale!“

      „Peter 21 hört!“

      „Hallo Piet, ist Wanki schon weg? Die SpuSi fängt gerade an. Die Sanis kümmern sich um den Lokführer, lag bewusstlos in der Führerkabine. Die Kollegen notieren Aussagen. Ich meld mich, wenn ich mehr weiß!“

      „Gibt es schon Hinweise auf die Identität?“

      „Negativ, aber ich frag mal bei den Kollegen nach, ob jemand was beobachtet hat. Peter 21-2 Ende!“ Carla überlegte, an wen sie sich zuerst wenden sollte: Sanitäter mit dem Lokführer, Spurensicherungsteam mit dem unbekannten Opfer oder Polizisten mit den nur noch wenigen Zeugen? Entschlossen schritt sie zur Absperrung und wandte sich zuerst an Tom: „Habt ihr was Brauchbares?“

      „Bei mir nicht. Die meisten waren mit Handy oder Lesen von Zeitung oder Buch beschäftigt und wurden durch die Vollbremsung der Bahn überrascht, wussten keinen Grund. Zwei Zeugen meinen, die Person müsse schon vorher auf den Schienen gelegen haben, weil niemand nahe am Anfang des Bahnsteigs wartete. Es war ja noch nicht viel los und alle warteten in der Nähe der Rolltreppe am Bahnsteig, keiner stand weiter rechts. Nichts Auffälliges! Auch nicht nach dem abrupten Halt. Niemand hat jemanden weglaufen sehen. Drei Passagiere gaben an, die 110 gewählt zu haben. Bis wir nach circa fünf Minuten eintrafen, standen wohl alle nur rum. Wisst ihr inzwischen, wer da liegt?“

      „Nein! Wenn du fertig bist, kannst du bitte die Zeugenaussagen von den Kollegen sammeln? Und die Bilder der Überwachungskameras sicherstellen? Die anderen Kollegen außer oben an der Absperrung brauchen wir hier nicht mehr, die können Feierabend machen.“

      Clara sah Stieg in der Nähe des Rettungsteams stehen und steuerte ihn an. „Ist das Herr Matthies?“

      „Ja!“

      „Hat er Familie? Haben Sie Adresse und Telefonnummer?“

      „Eine Frau und drei kleine Kinder. Wegen der Daten muss ich nachfragen. Geben Sie der Ehefrau Bescheid oder sollen wir das machen?“

      „Kennen Sie Frau Matthies persönlich?“

      „Nein!“

      „Dann übernehmen wir das, aber nicht telefo…!“

      Clara wurde unterbrochen durch die Stimme des Leiters der Spurensicherung: „Wir kommen nicht an das Opfer ran. Auch wenn uns das den Einsatzort verändert, muss der Zug circa eine Wagenlänge zurücksetzen!“

      Der Fahrdienstleiter zog ein kleines Funkgerät: „Siggi, schick uns einen Lokführer runter! Sobald ich das OK gebe, schaltest du den Strom für die Unfallbahn ein, aber erst müssen alle vom Gleis! Verstanden?“

      „Lokführer schicken, Warten auf Signal, dass Strom ankann. Roger!“

      Stieg näherte sich der Spitze des Zuges. „Ist es sicher, dass es eine Person ist? Wir hatten es mehrmals, dass aus Versehen oder durch irgendwelche makabren Witzbolde Kleiderbündel im Gleisbett lagen und zu Fehlalarmen führten.“

      Die Pathologin erklomm den Bahnsteig und griff nach ihrem Koffer, den einer der weiß gekleideten Spurensicherer ihr von unten anreichte. „Das Luminol weist eindeutig an verschiedensten Stellen vorne unter der Lok zahlreiche Blutspritzer auf. Mittig unter ihr scheint ein Teil des Torsos zu liegen. Wenn es gefaked ist, dann mit viel Aufwand wie einem in Lumpen gewickelten Stück frischen Fleisches oder eines Beutels mit Blut!“ Clara fand den Spruch nicht sehr feinfühlig, aber Rechtsmediziner waren ja berüchtigt für ihren bizarren Humor.

      Das Rot-Kreuz-Team hatte den Zugführer auf eine Trage gelegt. Der Bufdi packte ihre Sachen ein. Clara eilte zum Notarzt. „Kann ich mit ihm sprechen?“

      „Nein! Als er zu sich kam, wurde er so unruhig, dass wir ihn für den Transport sedieren mussten. Er muss in der Klinik durchgecheckt werden. Er kann sich bei dem Nothalt verletzt oder den Kopf beim Sturz angeschlagen haben.“

      „Hat er was gesagt?“, drängte Clara.

      „Nein, nichts. Er fing nur an, die Infusionsnadel und die EKG-Kabel zu ziehen, reagierte gar nicht auf unsere Erklärungen, da habe ich ihn ruhiggestellt. In einer halben Stunde müsste er wieder wach sein!“ Damit entfernte sich der Notarzt Richtung Aufzug, während die beiden Rettungssanitäter die Trage anhoben.

      „Wohin bringt ihr ihn? Unikliniken Eppendorf, Bundeswehrkrankenhaus, Asklepios …?“ „Asklepios Altona reicht wohl völlig aus! Wir sind dann mal weg! Sagt ihr der Frau Bescheid?“

      „Ich fahre mit Tom gleich bei ihr vorbei! Tschau!“

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