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samt allen persönlichen Sachen mitnahm. Die Heimleitung hatte keinen Verdacht geschöpft, da sie Herrn von Heesen Junior nicht kannte.

      „Wieso sollte Ihr Vater ohne Protest mitgegangen sein?“

      „Nun ja, er ist ziemlich dement. Wenn man mit ihm richtig umzugehen weiß, kann man ihn überall mit hinnehmen!“

      „Könnte es sich um eine Entführung handeln?“

      „Das wäre schon möglich. Mein Vater hat hier ein Speditionsimperium aufgebaut, aber wir haben keine Lösegeldforderung erhalten.“

      „Kann sie Sie durch Ihre Abwesenheit nicht erreicht haben?“

      „Ich hatte mein Handy außer während der Flüge immer eingeschaltet - nichts! Kein Anruf, keine SMS oder E-Mail. Auch weder in unserer Privatpost noch im Büro unter den Geschäftsbriefen ein Erpresserschreiben! Keine Nachricht!“, erklärte der Sohn mit bebender Stimme.

      Seine Frau griff seine linke Hand und drückte sie. „Vater kann quasi überall sein! Er kann sich zwar an viele Dinge nicht erinnern, aber er könnte durchaus allein in einen Bus oder einen Zug steigen!“, ergänzte sie.

      „Haben Sie ein aktuelles Foto für uns? Und können Sie ihn beschreiben?“

      Der Sohn sah hilflos zur Gattin, die den Kopf in den Nacken legte, sich konzentrierte und dann abspulte: „Etwa 1,85 Meter, stattliche Figur, weißes, volles Haar, keinen Bart.“

      „Wir bräuchten eine Aufstellung der Kleidung, die Ihr Schwiegervater an und mit hatte.“

      Keiner der Beamten deutete an, dass der Blankeneser eventuell im Bereich HafenCity unter eine U-Bahn geraten war. Während die Schwiegertochter auf einem Zettel die mitgenommenen Kleidungsstücke des alten Herrn notierte, hatten die Kommissare weitere Fragen: „Wie war das Verhältnis zu Ihrem Vater?“

      „Gut, meine Mutter ist früh gestorben, dann hat mein Vater noch sechs Jahre allein gelebt, aber als die Demenz ausbrach, konnte man ihn nicht mehr allein lassen, so haben wir ihn zu uns genommen.“

      „Wann war das?“

      „Mirja, wann ist Vater zu uns gezogen?“

      Die Angesprochene sah auf: „17.8.2010.“

      „Also lebte Ihr Schwiegervater jetzt drei Jahre hier. Wer kümmerte sich um ihn? Kam eine Betreuung?“

      „Nein, das wollten wir nicht“, mischte sich von Heesen Junior wieder ins Gespräch. „Mirja war Disponentin bei uns. Sie arbeitete anfangs noch zum Teil von zu Hause aus, aber schließlich stellten wir jemanden ein, der vor Ort in der Spedition arbeitete, das ist einfach praktischer, wenn Nachfragen sind.“

      Michaela wandte sich wieder an Frau von Heesen: „Frau Heesen, pardon, von Heesen, Sie haben ihn also allein betreut. Wie war das? Musste er rund um die Uhr unter Aufsicht sein? Brauchte er viel Hilfe im Alltag?“

      „Anfangs konnte Vater sich allein umziehen, waschen, essen, beschäftigen, man musste nur den Tagesablauf strukturieren, damit er morgens aufstand, aß und abends ins Bett ging. Über die Jahre wurde er immer vergesslicher, brauchte zunehmend Hilfe bei Hygiene und Mahlzeiten. Bis letztes Jahr ist er noch mit uns in die Ferien gefahren, aber inzwischen muss man rund um die Uhr aufpassen, dass er nichts anstellt. Er schläft wenig und läuft dann durch das Haus oder auch weg, bevor wir überall die Türen mit Codes gesichert haben. Dieses Jahr haben wir mit ihm einen Pflegeplatz für die Zeit unseres Urlaubs ausgesucht.“

      „Kam jemand vom Pflegedienst zu Ihnen, um Sie zu entlasten?“

      Wieder intervenierte der Gatte: „Nein, das macht Mirja alles. Er ist ja nicht bettlägerig, er braucht nur Hilfe bei manchen Tätigkeiten, aber er kann mit ihr ja noch spazieren gehen oder ihr von früher erzählen. Manchmal passen Anna-Pia oder Mia-Marie auf ihn auf, wenn wir eingeladen sind.“

      „Das sind Ihre Töchter? Wie alt sind die?“

      Die Mutter reagierte schneller: „Anna-Pia ist 16, Mia-Marie wird in zwei Wochen 14.“

      „Hüten die beiden gerne ihren Großvater?“

      „Er ist ihr Großvater, da kann man das schon mal von Zeit zu Zeit verlangen!“, erklärte der Vater energisch.

      Die Mutter wiegelte ab: „Es kommt ja nicht so oft vor, dass ich mit zu Geschäftsessen gehe oder Arzttermine habe.“

      Johann meldete sich auch mal wieder zu Wort: „Kann ich bitte einen Blick in sein Zimmer werfen?“

      „Natürlich!“ Gunther von Heesen stand auf und führte den Polizisten zum Gästezimmer, das sich wie die anderen Schlafzimmer im ersten Stock befand.

      Der Beamte machte erst mehrere Handyfotos und öffnete dann nacheinander Schrank, Nachttisch und eine Kommode. Inzwischen war seine Kollegin oben eingetroffen und sie durchsuchten die Möbel einschließlich des Bettzeugs genauer, aber außer den zu erwartenden Sachen entdeckten sie nichts Interessantes. Trotzdem versah Johann die Tür sicherheitshalber mit einem Polizeisiegel. „Eventuell müssen wir das Zimmer Ihres Vaters zu einem späteren Zeitpunkt genauer durchsuchen. Brauchen Sie etwas aus diesem Raum?“, erklärte er.

      Von Heesen Junior wirkte verstört: „Nein, aber warum sollen wir da nicht mehr rein?“

      „Vielleicht müssen wir nach Anhaltspunkten suchen, was Ihr Vater vorhatte!“

      „Was meinen Sie – „vorhatte“?“

      „Ob er Reisepläne hatte oder vielleicht an Selbstmord dachte…“ Jetzt war das Thema angeschnitten. Beide Beamten beobachteten ihr Gegenüber genau, aber der Sohn wirkte ehrlich verwirrt, zögerte.

      Man sah wie die Rädchen im Kopf arbeiteten. „Warum sollte mein Vater allein verreisen wollen oder an Selbstmord denken? Es geht ihm gut bei uns. Wir kümmern uns. Er kann doch allein nicht wegfahren!“ Von Heesen schüttelte den Kopf, als erschienen ihm die angedeuteten Möglichkeiten absurd. „Er wird sich verlaufen haben …“

      „Und der Mann, der Ihren Vater samt allen Sachen abgeholt hat?“

      „Haben Sie eine Idee, wer das sein könnte?“, ergänzte POM Venlo. „Vielleicht ein Verwandter, zu dem Ihr Vater Kontakt aufgenommen hat, weil er nicht im Seniorenheim bleiben wollte?“

      Vehementes Kopfschütteln. „Nein, mein Vater war ein Einzelkind und ich bin sein einziger Sohn!“

      „Vielleicht aus der Familie Ihrer Frau?“

      „Wir haben schon jeden angerufen, der uns einfiel. Keiner hat ihn gesehen oder weiß, wo Vater hin ist.“

      „Was ist mit ehemaligen Nachbarn? Freunden?“

      „Er hat keine Kontakte mehr zu Menschen außerhalb unserer Familie.“

      „Können Sie uns trotzdem Namen und Adressen nennen von Bekannten und ehemaligen Kollegen?“

      „Das weiß Mirja besser, aber warum hat sich niemand bei uns gemeldet?“ Kurze Pause, dann schien er froh über eine Idee: „Wir müssen uns an die Medien wenden! Irgendjemand wird wissen, wo Vater ist!“

      „Das können Sie immer noch tun, aber lassen Sie uns mal erst unsere Kanäle nutzen, jetzt, da wir eine Beschreibung haben!“, wiegelte PHM Weber ab.

      Johann hakte ein: „Wir bräuchten noch Namen und Praxisadresse des betreuenden Arztes.“

      „Da muss ich meine Frau fragen. Können wir wieder zu ihr runter gehen?“

      Michaela nickte: „Ja, im Moment sind wir hier fertig.“

      Nach weiteren zehn Minuten hatte Frau von Heesen ihnen außer dem Steckbrief und der Kleidungsliste auch zig Namen von noch lebenden Personen aus dem früheren Leben ihres Schwiegervaters sowie die Adresse eines Hausarztes zwei Straßen weiter aufgeschrieben. Die Polizeibeamten verabschiedeten sich und versprachen, sich zu melden, sobald sie Neuigkeiten hätten. Von Heesen Junior geleitete sie bis vor die Haustür und sah ihnen nach, als sie die Treppe zum Dienstwagen

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