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      Clara schüttelte den Kopf: „Wir fahren jetzt zu Frau Matthies.“

      Tom schlurfte hinter ihr her zum Aufgang. „Das können doch auch die Kollegen vom Tagdienst übernehmen“, maulte er lustlos. Clara hatte dem Fahrdienstleiter und dem Notarzt versprochen, die Frau des Zugführers zu informieren, darum wollte sie das auch selbst erledigen. Tom gab die Adresse von einem Zettel, den Stieg Clara überreicht hatte, in das Navi im Dienstwagen ein. „32 Minuten Fahrtzeit. Muss das sein?“, fragte er erneut nach. Clara nickte energisch und beendete ihren kurzen Bericht an die Zentrale.

      2

      Inzwischen hatten alle Ermittler das Gleis verlassen und formatierten sich entlang der Bahnsteigkante. Einige sahen dem Mann entgegen, der sich ihnen flotten Schrittes näherte. Stieg kommentierte: „Zugführer Janosch Strojny!“

      „Moin, moin! Wie weit soll ich den Zug zurücksetzen?“

      Stieg sah den Leiter der Kriminaltechnik fragend an, der erläuterte: „Bitte, setzen Sie den Zug um zwei Waggonlängen zurück, aber langsam, um möglichst wenig zu verfälschen!“

      Stieg nahm sein Funkgerät hoch: „Siggi?“

      „Ich höre.“

      „Keine Personen mehr auf dem Gleis. Strom Marsch! Janosch fährt rund 50 Meter rückwärts, danach Strom wieder aus. Gib mir dann Bescheid!“ Als die Maschinen ansprangen, traten die Beamten etwas von der Kante zurück. Im Schritttempo glitt der Zug von seinem Platz. Drei Techniker richteten die Strahler neu auf das freiwerdende Gleisbett aus.

      Kriminaloberkommissarin Petra Kühn und Kriminalhauptkommissar Jürgen Schult traten jetzt auch an Bahnsteig 2 und begrüßten die Gerichtsmedizinerin. „Hallo Helga! Was haben wir?“

      „Hallo ihr beiden! Ich weiß noch nichts, könnte alles sein!“

      Die Spitze der U-Bahn stand nun circa zehn Meter vor dem Beginn des Bahnsteigs entfernt. Das Dröhnen der Kompressoren erlosch. Der Führer kam kurz darauf aus der Tür des Waggons, drückte sich zwischen Bahn und Wand vorbei und erklomm den Bahnsteig. Sofort kam die Meldung, dass der Strom wieder abgeschaltet sei über die Lautsprecher über dem Bahnsteig. Die herumstehenden Mitglieder des Tatort-Teams verfielen in geschäftiges Treiben, sicherten die Eindrücke mit Video- und Digitalkameras. Einige kletterten hinab zu den Schienen. Schon wurden die berühmten Nummern für die Beweisdokumentation an verschiedensten Punkten des Unfallorts aufgestellt. Vom Bahnsteig aus bot sich ein erschreckendes Bild von über circa 30 Meter verteilten zerstückelten Körperteilen und Kleidungsstücken. Bei genauerem Hinsehen konnte man auch Blutspuren und kleine Flecken von geronnenen Blutlachen entdecken. Auf den ersten Blick konnte man nicht sagen, ob es sich um einen toten Mann oder eine Frau handelte. Es vergingen einige Minuten, bis die erste Spurenfeststellung abgeschlossen war und eine weiße Gestalt der Medizinerin zuwinkte. Frau Doktor Jansen griff ihren Alukoffer und suchte die nächstgelegene Steintreppe, die sie hinunterstieg. Wie alle bemühte sie sich, zwischen den Blut- und Gewebeteilen mit ihren Füßen Halt auf dem Schotter zu finden. Von hier unten war der Schaden, den die schwere Bahn an einem Menschen angerichtet hatte, noch viel grausiger anzusehen. Nichts für zarte Gemüter! Nach wenigen Metern stieß die Rechtsmedizinerin auf einen Klumpen aus Textil und Gewebe, aber sie suchte erst mal weiter, entdeckte einen im unteren Drittel abgerissenen Unterarm, bei dem sie niederkniete. Die Hand, es war die linke, war komplett intakt, aber blutverschmiert. Vom Aspekt handelte es sich um die Haut eines älteren Menschen. Selbst eine erfahrene Gerichtsmedizinerin wie Doktor Jansen war erleichtert, dass es kein jugendlicher Selbstmörder, zum Beispiel wegen des ersten großen Liebeskummers, war.

      „Habt ihr den Kopf?“, fragte sie.

      Verneinende Kopfbewegungen rund herum. Vorsichtig bewegten sich alle mit ihren jeweiligen Aufgaben beschäftigt im Bereich des langgestreckten Unfallortes. Helga Jansen strich etwas verkrustetes Blut in ein Röhrchen mit Flüssigkeit. „Das sagt uns schneller, ob es sich hier um einen Mann oder eine Frau handelt, als die wahrscheinlich vergebliche Suche nach eindeutigen Körpermerkmalen!“ Sie schloss ihr Köfferchen wieder, reichte es der Kriminalbeamtin auf dem Bahnsteig und erklomm die Plattform. „Ich fahre ins Institut. Sobald ich mehr weiß, ruf ich euch an!“ Jansen drehte sich um zum Team der Spurensicherung: „Ihr sammelt alles ein und bringt es dann vorbei, aber bitte auch mit Bildern von der jeweiligen Lage!“ Sie verschwand in Richtung Lift.

      Wenig später beschlossen auch die beiden Kriminalbeamten, dass sie hier nichts Sinnvolles tun konnten und machten sich auf den Weg zum Krankenhaus, um die Aussage des Unglücksfahrers aufzunehmen, während die anderen noch stundenlang mit der Sicherung der vielen Spuren und der Bergung der Leichenteile beschäftigt waren.

      3

      PHM Clara Schütt und PM Tom Petrowski klingelten um 20 nach 7 in Bahrenfeld am Wohnblock, in dem Familie Matthies wohnte.

      „Ja?“, erklang eine weibliche Stimme über die Gegensprechanlage.

      „Polizei, können wir Sie bitte sprechen!“ Statt einer Antwort ertönte der Summer. Tom drückte die Tür auf und stieg drei Etagen die Stufen der Treppen vor seiner Kollegin zügig hinauf. Er wollte nur möglichst schnell hier fertig sein und in sein Bett.

      Frau Matthies, ein Baby im Arm, erwartete sie noch im Morgenmantel an der Wohnungstür. „Hatte mein Mann einen Unfall?“, fragte sie ängstlich.

      „Lassen Sie uns reingehen!“, übernahm Clara die Gesprächsleitung. Im Flur trafen sie noch im Pyjama zwei Kinder von ungefähr drei und fünf Jahren.

      „Geht in euer Zimmer und zieht euch an!“, scheuchte die Mutter die beiden ins Kinderzimmer und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Clara setzte sich zu der Frau auf das Sofa, Tom schloss die Wohnzimmertür und blieb dort stehen.

      „Ist er tot?“, kam leise die bange Frage von Frau Matthies.

      Clara schüttelte beruhigend den Kopf. „Nein! Er ist zwar im Krankenhaus, aber nur zur Untersuchung. Es gab einen Zwischenfall mit Personenschaden. Ihr Mann steht wohl unter Schock, aber der Notarzt vor Ort konnte keine Verletzung feststellen, trotzdem wird das weiter abgeklärt. Sollen wir Sie hinbringen?“

      „Was mach ich mit den Kindern?“

      „Kann eine Nachbarin sich um die drei kümmern?“ Clara sah, dass Frau Matthies mit ihren Gedanken ganz woanders war, also hakte sie nach: „Welche Nachbarin würde Ihre Kinder denn für zwei, drei Stunden nehmen?“

      Bevor sie eine Antwort erhielt, stürmte der größere der beiden Jungen ins Wohnzimmer. „Mama, warum ist die Polizei da?“

      Clara zog den Jungen zu sich. „Hör mal, dein Papa ist im Zug ohnmächtig geworden, deswegen wird er in der Klinik untersucht. Wir bringen deine Mama zu ihm. Könnt ihr zu einer Nachbarin oder der Oma?“

      Der jüngere Sohn war dazu gestoßen und hatte nur den letzten Satz gehört. „Au ja!“

      Clara sah die Mutter fragend an, doch jene war so geistesabwesend, dass die Polizistin fragte:

      „Wo seid ihr denn sonst, wenn eure Mutter euch nicht mitnehmen kann?“

      Der Ältere antwortete jetzt: „Bei Sabine.“

      „Und wo wohnt Sabine?“

      „Drüb’n.“

      Die Polizistin wandte sich Frau Matthies zu: „Ist es in Ordnung, wenn diese Sabine die Kinder nimmt?“

      Die Jungen liefen zur Couch und schmiegten sich jeder von einer Seite an die Mutter. „Wie heißt Sabine denn mit Nachnamen? Während Sie sich umziehen, kann ich zu ihr gehen und fragen, ob sie herkommen kann.“

      Clara wartete kurz, aber es kam keine Reaktion. „Tom, lass dir von dem jungen Mann mal zeigen, wo die Sabine wohnt und bring sie, wenn möglich, her!“ Clara nahm der Frau des Zugführers vorsichtig das schlafende Baby aus den Armen und bewegte sich auf die Wohnzimmertür zu.

      Frau Matthies erwachte aus ihrer Schockstarre und erhob sich. „Was braucht Jens denn?“

      „Vielleicht

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