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Allein. Florian Wächter
Читать онлайн.Название Allein
Год выпуска 0
isbn 9783750232877
Автор произведения Florian Wächter
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Als die Flammen den Teil des Hemdes erreicht hatten, der um die Schachteln gewickelt war, schwang Robert seinen Arm wie ein Bowlingspieler und warf das brennende Bündel beim Fenster hinaus. Im gleichen Augenblick gab der Fahrer des Busses, der offensichtlich doch eingestiegen war, während Robert seine Bombe gebaut hatte, Gas. Der Bus unten am Platz fuhr weiter, den Graben entlang.
Spitzentiming, dachte Robert, aber das macht nichts, wenn sich die Patronen entzünden, dann merkt er es garantiert!
Robert sah der improvisierten Fackel nach. Sie brannte nun lichterloh.
Sieht aus wie ein Meteorit, der beim Eintritt in die Erdatmosphäre verglüht!
Der Meteorit prallte am Stephansplatz auf. Das einmal ein Hemd gewesene Bündel platzte auf, und die Munitionsschachteln flogen in allen Richtungen davon.
Das war’s? Das soll schon alles gewesen sein?
Das war’s! Es erfolgten keine Explosionen, keine Leuchtkugeln, die in alle Richtung flogen, und auch kein infernales Feuerwerk, das die Aufmerksamkeit des Busfahrers auf Robert gelenkt hätte. Er glotzte auf den Platz hinunter, auf dem die Schachteln nun gemeinsam mit den Resten der Leuchtpistole verstreut lagen und musste hilflos mit ansehen, wie keine hundert Meter von der Stelle entfernt der Bus aus dem Blickfeld verschwand, wo der Graben eine leichte Rechtskurve beschrieb. In diesem Augenblick war ihm zum Heulen zumute.
Reiß dich zusammen, noch ist nichts verloren! Der Bus kann nicht weit kommen. Er wird höchstwahrscheinlich umkehren, wenn er weiter vorne nicht fündig wird. ... Das ist deine Chance!
Robert nahm die Zigarettenschachtel und das Benzinfeuerzeug vom Fensterbrett und steckte beides in die Hosentasche. Dann hob er die Taschenlampe vom Boden auf und rannte zum Ausgang.
Der Abstieg dauerte nur halb so lang wie der Aufstieg. Er musste vorsichtig sein, da die Treppen ziemlich schmal waren und steil abfielen. Er wollte auf keinen Fall stürzen. Das Letzte, was er riskieren durfte, war eine Verletzung, die ihn behindern konnte. Jedenfalls solange er nicht wusste, was geschehen war und wie es um die ärztliche Versorgung stand.
Robert erreichte seinen Wagen und stieg ein. Er startete und fuhr etwa zwanzig Meter weit, bis zu der Stelle, an der die Trümmer seines fehlgeschlagenen Experiments lagen. Er stieg aus dem Wagen, sammelte eilig alle Schachteln und herumliegenden Patronen ein, denn einige der Verpackungen waren angesengt und aufgeplatzt, und schaufelte alles durch die offene Beifahrertür ins Wageninnere.
Von dem Zeitpunkt, als der Bus verschwunden war, bis zu dem, als Robert wieder am Steuer seines Wagens saß, die Verfolgung aufnahm und dabei die Reste seines verkohlten Hemdes mit den linken Vorderreifen überrollte, waren höchstens fünf Minuten vergangen. Mit nacktem Oberkörper, der vor Schweiß glänzte, lenkte er das Auto den Graben entlang bis zum Tuchlauben. Dort hielt er an, kurbelte das Fenster herunter und stellte den Motor ab. Er versuchte sich auf das Brummen eines Busmotors zu konzentrieren, konnte jedoch nichts hören. Robert stieg aus und lauschte mit angehaltenem Atem und geschlossenen Augen. Nichts. Kein Laut.
„Wo bist du?“, flüsterte er. Verdammt, was mach ich jetzt? ... Ich hole mir einfach eine neue Leuchtpistole!
Er wendete den Wagen und fuhr zum Waffengeschäft zurück. Er konnte sich noch erinnern, dass in einer der Laden, die er bei seiner Suche nach der Munition geöffnet hatte, das gleiche Modell der Pistole lag, die nun zweigeteilt auf dem Pflaster ruhte. Er konnte sich sogar noch an die genaue Position des guten Stücks erinnern. Robert betrat das Geschäft, umrundete den Ladentisch und steuerte direkt auf die besagte Lade zu. Er öffnete sie...
... Bingo! Komm zu Papa!
Eilig verließ er das Geschäft. Er hielt kurz inne, als er davor stand, drehte sich um, blickte in die Auslage und überlegte angestrengt, ob er möglicherweise noch irgendetwas anderes benötigen würde, was sich in diesem Geschäft befand.
Wenn ich etwas brauche, dann kann ich jederzeit hierher zurückkommen.
Er stieg wieder in den Wagen, lehnte sich im Sitz zurück und fasste die Ereignisse des Tages kurz zusammen. In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er noch nichts zu sich genommen hatte, und als er jetzt im aufgeheizten Auto saß, dämmerte ihm, dass er noch andere Bedürfnisse hatte, wie zum Beispiel Hunger und Durst ... oder ein frisches Hemd.
13.
Karl dachte, dass er sich geirrt haben musste. Die Stelle, von der die Signale abgegeben worden waren, konnte natürlich auch weit hinter dem Stephansdom liegen. Am Stephansplatz und am Graben hatte er jedenfalls niemanden angetroffen. Er bog links in den Kohlmarkt ein, der nach zirka hundert Metern in den Michaelaplatz überging, hinter dem sich die Hofburg erstreckte. Er lenkte den Bus um die Hofburg herum und erreichte schließlich die Ringstraße.
Weil keine weiteren Signale abgegeben wurden, fuhr er den Ring entlang und hielt ab und zu an strategisch wichtigen Stellen an, um nach den Signalgebern zu suchen. Diese Orte waren nicht nur weitläufig und daher übersichtlich, sondern unter normalen Umständen auch wichtige Verkehrsknotenpunkte, oder Plätze, an denen oft Veranstaltungen stattfanden - jedenfalls waren dort üblicherweise eine Menge Menschen unterwegs. Doch heute war niemand auf den sonst so belebten Straßen und Plätzen im Herzen Wiens unterwegs. Nur Karl in seinem Bus und der Wind, der herrenlosen Unrat vor sich hertrieb wie Windhexen, die in alten Kinofilmen durchs Bild huschten. In Filmen in denen Szenen von Geisterstädten vorkamen.
Einbildung! ... Vielleicht waren die Leuchtkugeln gar nicht real. ... Eine Wunschvorstellung oder Halluzination. Mein Gott, ich glaube, ich verliere bald den Verstand.
Karl fuhr noch bis zum Sonnenuntergang durch die verlassene Stadt, bis zu dem Zeitpunkt als der Bus ruckelnd stehen blieb. Der Tank war bis zum letzten Tropfen geleert. Er hatte in der Aufregung vergessen, die Tankanzeige im Auge zu behalten. Als er eilenden Schrittes heimkam, war es in der Zwischenzeit stockdunkel geworden.
Die Stadt hatte ein neues Gesicht bekommen. Ein dunkles, ein unheimliches Gesicht, das furchteinflößender war als untertags. Das einzige Licht, das ihn an den letzten Häuserblocks vorbei nach Hause geleitete, war das des abnehmenden Mondes - schwach und unzureichend und zeitweise von Wolken verhangen. Er lernte eine neue Facette seiner Ängste kennen. Es war nun schon die Zweite des heutigen Tages. Zuerst war die Sorge um seine Familie und deren Verbleib aufgetaucht. Nun war es die Angst um sein eigenes Schicksal, die sich tief in sein Bewusstsein bohrte. Intensiviert wurde dieses schreckliche Gefühl durch die beinahe vollkommene Dunkelheit, die sich nach und nach über die Stadt gelegt hatte wie ein überdimensionales schwarzes Leichentuch. Das Leichentuch einer toten Stadt.
Einer verlassenen Stadt.
Einer Geisterstadt.
2 Das Geschäft/Reale Welt
1.
An einem 28. Juni war es endlich soweit. Für Artur Krosnowski ging ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung und er rollte den rubinrot gestrichenen Rollbalken um acht Uhr in der Früh zum ersten Mal in die Höhe, um Kundschaft einzulassen. Eine halbe Stunde später betrat die erste Kundin, eine etwa dreißigjährige Blondine, das neu eröffnete Edelstein-Geschäft und kaufte ein Lederhalsband mit einem kreisförmigen Pyrit-Anhänger.
2.
Auf den Tag genau, 4 Jahre später, stand die kleine Julia, neun Jahre alt und Vollwaise, vor der Auslage in der Landstraßer Hauptstraße und drückte ihre Nase an der Scheibe platt. Sie schirmte ihre Augen mit den Händen ab, um die Bergkristall-Rohspitzen, die auf einem violetten Samtkissen fein säuberlich drapiert waren, besser sehen zu können. Nicht, dass sie gewusst hätte, worum es sich bei den kristallklaren, stabförmigen Dingern handelte. Das Wissen um deren Namen hätte auch nichts an der Faszination geändert, die diese Kristalle auf sie ausübten, die im Sonnenlicht so schön funkelten. Es schien, als ob diese Glitzersteine mit ihr auf magische Weise kommunizierten. Das Mädchen konnte ein feines Vibrieren wahrnehmen,