ТОП просматриваемых книг сайта:
Allein. Florian Wächter
Читать онлайн.Название Allein
Год выпуска 0
isbn 9783750232877
Автор произведения Florian Wächter
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Früher, als kleines Kind, war sie bei Sommergewittern zu ihren Eltern ins Bett gekrochen. Jetzt war sie erwachsen und sah die Dinge aus einer anderen Perspektive. Die Erinnerung an ihre Kindheit und somit auch ihre Eltern zog andere, schreckliche Bilder im Schlepptau nach sich.
Mutter, Vater, wo seid ihr? Was ist mit mir geschehen?
Sie sah sich um. Sie war nach wie vor allein. Lisa stützte die Ellenbogen auf ihren Oberschenkeln ab und verbarg ihr Gesicht in den Handflächen. Ihr Körper wurde durchgeschüttelt, und die Sorge um ihre Eltern und sich selbst brach mit lautem Schluchzen aus ihr heraus. Sie hatte keine Ahnung, was geschehen war und wie sie sich nun verhalten sollte. Immerhin bereitete man sich auf ganz andere Dinge im Leben vor. Niemand konnte vorausahnen, dass er eines Tages in der Früh aufwachen würde, um festzustellen, dass alle anderen Menschen spurlos verschwunden waren.
Wie kann so etwas geschehen? ... Ausgerechnet mir? ... Solche Sachen gibt es doch nur im Film.
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und versuchte sich neu zu orientieren. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, Blitz und Donner allmählich entfernt. Dafür war der Wind, der das Gewitter vor sich herscheuchte, unangenehmer geworden, denn die Luft hatte empfindlich abgekühlt, und Lisas Kleidung war bis auf die Haut durchnässt. Sie fror und schlang die Arme um ihren zitternden Leib.
Besser ich gehe nach Hause und überlege dort, was ich unternehmen kann, sonst hole ich mir eine Lungenentzündung. ... Ein Arzt! ... Es gibt keine Ärzte, wurde ihr siedend heiß bewusst. Was mache ich, wenn ich krank werde?
Sie erhob sich von der Bank und eilte über einen Verbindungssteg, der vom Bahnsteig zum hässlichen Parkhaus führte. Der Steg war rundherum mit Plexiglas ummantelt und bildete somit eine durchsichtige Röhre. Lisa war mulmig zumute, als sie beim Durchschreiten den festen Boden schwindelerregende zehn Meter unter sich erblickte. Beim Aufzug angekommen, blieb sie stehen.
Scheibenkleister! Ohne Strom - keine Talfahrt! Den Lift kann ich vergessen!
Sie wandte sich dem Stiegenabgang zu, doch die Tür ins Stiegenhaus ließ sich nicht öffnen.
Mist. Heute klappt auch rein gar nichts!
Sie drehte um und eilte den Weg zurück, den sie gekommen war. Der Wasserpegel auf dem Bahnsteig war zurückgegangen und es regnete nur noch ganz leicht. Im Inneren der großen Halle war es nun erheblich dunkler als vorher, und Lisa zögerte - lauschte - bevor sie das Förderband hinabschritt. Doch außer dem Prasseln des Regens konnte sie nichts hören. Die Gegenstände in der Halle, Papierkörbe, Pflanzen, der Brieflosautomat und der große steinerne Löwe zeichneten sich als tiefschwarze Klumpen vor dem dunkelgrauen Hintergrund ab. Mit einiger Fantasie konnte man bei dem einen oder anderen Schatten glauben, dass es sich um menschliche Gestalten - lauernde Gestalten - handelte. Je länger sie diese betrachtete, desto mehr begannen diese Schatten, dunklen Wesen gleich, zu leben und sich zu bewegen. Lisa nahm ihren ganzen Mut zusammen und durchquerte, so rasch wie möglich, die unheimliche Stätte. Sie war nun im Gegensatz zu der Unbekümmertheit, mit der sie hierhergekommen war, hellwach und auf der Hut. Denn man konnte schließlich nie wissen, welche Überraschungen dieser Tag noch für sie auf Lager hatte. Er war wahrhaftig anders verlaufen, als ursprünglich geplant.
10.
Großvater warf die Angelschnur mir einer weit ausholenden Bewegung aus. Etwa zwanzig Meter vom Boot entfernt traf der Angelhaken an der Wasseroberfläche auf und versank. An der Stelle, wo der Haken mit dem Köder verschwunden war, entstanden kleine kreisförmige Wellen, die sich ausdehnten, bis sie kaum wahrnehmbar endlich die Bootswand erreichten. Großvater sog an seiner Pfeife aus Wurzelholz und blies den Rauch wieder aus. Er lehnte die Rute an die Bootskante und führte die Hand zur Pfeife, umschloss den Pfeifenkopf und setzte sie ab. Donnergrollen kündigte ein aufziehendes Gewitter an. Es wurde von den Berghängen rings um den See mehrfach zurückgeworfen.
Großvater, sollten wir nicht zusehen, dass wir von hier verschwinden? „Das Gewitter wird bald hier sein“, rief Robert mit einer kraftlosen Stimme, die sich gar nicht wie seine eigene anhörte. Es war eine Kinderstimme. Großvater drehte den Kopf und blickte Robert fest in dessen Augen.
„Robert, hör mir gut zu“, Seine Stimme zitterte, während er sprach, doch sein Blick war fest auf Robert gerichtet. “Du musst den Kristall zurückbringen.“
„Wovon redest du? Welcher Kristall?“
Ein Blitz zuckte vom Himmel herab und schlug im Wald neben dem See ein. Robert sah in die Richtung, aus der er das Krachen vernommen hatte, als der Blitz einen Baum gespaltet hatte. Eine kleine Rauchwolke stieg aus dem Waldinneren auf, kaum sichtbar, denn am Himmel standen tiefschwarze Wolken. Robert bemerkte eine kleine Holzhütte am Waldrand nahe der Einschlagstelle. Dahinter wuchsen drei hohe Tannen dicht nebeneinander, die sich durch ihre Nähe zur Hütte ein wenig vom restlichen Wald abhoben.
Als er den Kopf wieder seinem Großvater zuwendete oder jedenfalls der Stelle, an der er noch einen Augenblick zuvor gesessen hatte, musste Robert entsetzt feststellen, dass sein Großvater verschwunden war.
Großvater?
Robert saß allein in dem Boot mitten auf dem See, den er zwar kannte, an den er sich aber nur schwach erinnern konnte. Sein Großvater hatte dort früher zu angeln gepflegt und seinen Enkelsohn nur selten zum Fischen mitgenommen. Damals war er sieben Jahre alt gewesen.
Erneut erhellte ein Blitz den Himmel und mit lautem Getöse folgte der obligate Donnerschlag. Robert fühlte sich in diesem Moment so klein wie eine Maus.
Was zum Kuckuck mach’ ich hier in dieser Nussschale? Wo bin ich hier eigentlich?
Neuerliches Donnern erklang anstelle einer Antwort. Der Himmel öffnete seine Schleusen und verwandelte die gesamte Umgebung in ein verschwommenes Grau.
Beim darauffolgenden Grollen schlug er die Augen auf und ihm wurde klar, dass er nur geträumt hatte. Er saß nach wie vor in Freds Bürosessel, seine Füße zwischen den Pflanzen auf dem Fensterbrett hochgelagert. Er nahm die steifen Beine herunter und streckte sich gähnend. Das Büro lag im Halbdunkel, was er auf die Bewölkung zurückführte. Ein Blick auf die Armbanduhr bestätigte ihm, dass er nicht nur ein Nickerchen gemacht hatte. Er war etwa drei Stunden lang weggetreten. Er beobachtete, wie die Regentropfen an der Scheibe herunterrannen, und überlegte, ob er gleich etwas unternehmen sollte, oder ob es besser wäre zu warten, bis das Unwetter sich wieder verzogen hatte.
Wer weiß, wie lange der Regen noch anhält?
Er holte die Packung Camel und das Feuerzeug aus der Brusttasche.
Am Ende regnet es bis morgen. Ich kann natürlich auch alles verschieben. An Zeit mangelt es nicht, ... davon habe ich jetzt reichlich.
Er holte eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an.
Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen, Mutter, du hattest schon immer die besten Sprüche auf Lager!
Er stemmte sich vom Sessel hoch, wobei sein Rücken schmerzhaft protestierte.
Drei Stunden in diesem Sessel hinterlassen