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in ihr schlummerten: Etwas in ihm zog sie an und stieß sie gleichzeitig ab.

      „Darf ich dich zur Sühne meiner Schuld ins Refektorium entführen und zum Essen einladen?“

      Lia lächelte.

      „Eine so freundlich formulierte Einladung kann ich wohl schlecht ablehnen.“

      Jack grinste und wurde dadurch nur noch unwiderstehlicher.

      *

      Kapitel 4 – Jack – Der Leckerbissen

      Gemeinsam liefen sie die Pfade der Anlage in Richtung Kantine entlang und Jack warf einen Seitenblick auf Lia, die sich tapfer aufrecht hielt, obwohl man ihr ansehen konnte, dass jeder Knochen ihres Körpers schmerzte, als wäre sie so harte Arbeit nicht gewohnt. Jack schüttelte den Kopf. Was war nur in Flynn gefahren, ihm eine so inkompetente Mitarbeiterin aufzuhalsen? War sie eine Verwandte, deren Eltern er einen Gefallen schuldete und mit der Flynn nichts anzufangen gewusst hatte? Die Wut vom Morgen war zwar verflogen, denn das Mädchen hatte sich wirklich Mühe gegeben, aber er begriff die Wahl noch immer nicht.

      Nun gut. Er würde sie anlernen, denn er fand sie wirklich lieb und sie hatte es verdient, dass sich ihr jemand annahm. Er fand Lia nicht wirklich anziehend; sie war weder hübsch noch hässlich. Und doch hatte sie etwas in ihrem Blick, eine Zerbrechlichkeit, die ihn umhaute. Lia war wohl die verklemmteste aller nordischen Frauen, die er je kennengelernt hatte, und trotzdem vermutete er einen Vulkan unter der Oberfläche. Einen Vulkan, der so nahe vor dem Ausbruch stehen musste, dass die glühende Lava aus ihren Poren zu schwitzen schien, als würde die heiße Glut nach Freiheit rufen. Sie schien es selbst aber noch nicht zu wissen oder nicht einordnen zu können, dachte er und kniff die Augen zusammen, während er sie musterte. Er grinste bei dem Gedanken. Wäre es nicht interessant diese brodelnde Masse zu befreien, fragte er sich, schob den Gedanken jedoch gleich wieder beiseite. Nein, der Chef hatte ganz klare Instruktionen gegeben: keine Verhältnisse mit Angestellten oder Kundinnen, oder man verlor seinen Posten. Jack bezweifelte zwar, dass Flynn ihn so schnell würde ersetzen können, wollte es aber nicht unbedingt darauf ankommen lassen.

      Das hinderte Jack nicht daran, im Sommer mit Urlauberinnen einige schöne Nächte zu verbringen; tat dies allerdings nicht mit Frauen, die auf dem Campingplatz lebten. Er war Abenteuer mit deutschen Frauen also gewohnt, bevorzugte sie sogar gegenüber anderen Nationalitäten, vor allem für One-Night-Stands.

      Die freie Beziehung, in der er seit Jahren mit seiner Freundin lebte, war genau das, was er brauchte. Jeder ging seiner Wege, ohne sich auf etwas Ernsthaftes einzulassen. Die eiserne Regel lautete: Es nie den anderen wissen lassen! Damit konnte er sehr gut leben und seine Gefährtin auch. Sie waren sich sehr ähnlich, stammten zwar nicht aus dem gleichen Milieu, hatten aber fast den gleichen Werdegang, die gleichen Ängste und Probleme. Sie waren Seelenverwandte, verstanden sich ohne viele Worte. Das war sehr kostbar.

      Aber es war Unsinn zu glauben, dass man in einem Leben nur einen einzigen Menschen begehren konnte. Lieben vielleicht, ja, aber auch da war er nicht sicher. Es gab so viele verschiedene Möglichkeiten einen Menschen zu lieben. Konnte es da wirklich nur einen einzigen geben? Das wäre doch fast schade.

      Er war jung, begehrte schöne Frauen, besonders Urlauberinnen, die für ihn keine Gefahr darstellten. Gefahr, ihn in eine Beziehung ziehen zu wollen, in die Falle des Eingesperrtseins, die Gefahr, Tränen ertragen zu müssen, wenn er die Beziehung beenden wollte. Nein, er liebte klare Verhältnisse. Er wollte Vergnügen bereiten und auch haben, aber ohne Konsequenzen und all dem Unsinn, der mit Liebesschwüren und Versprechungen zwangsläufig einherging.

      Und jetzt lief dieses Rätsel von einer Frau neben ihm her, eine Frau, in der er nur teilweise zu lesen vermochte, als würden sich widersprüchliche Gefühle und Bedürfnisse in ihrem Inneren einen harten Kampf liefern. Als ob es eine artige Lia gäbe, die weiterhin an ihren Prinzipien festhalten wollte und eine wilde, ungezügelte Lia, die jetzt und hier wollte, dass er ihr die Kleider vom Leib riss und sie ungestüm in die nächste Ecke schleifte. Ja, genau, das war es. Die junge anständige Frau in ihr kämpfte gegen die reife Frau, die voller Sehnsüchte war. Jack biss sich auf die Lippen und schloss kurz die Augen. Musste es doch ein herrlicher Genuss sein, diese Knospe zu entblättern und zu öffnen, der Raupe zu helfen, zum Schmetterling zu werden.

      Nein, unterbrach er seine Fantasien. Er würde bis ans Ende der Saison warten müssen, in der Hoffnung, dass kein anderer den Schatz entdeckte. Aber das wagte er zu bezweifeln. Sie war nicht der Typ Frau, der ins Auge stach und gefiel. Dafür gab es zu viele hübsche Urlauberinnen, die sich freizügiger zeigten. Nur seine Augen waren darauf trainiert, das Wahre im Menschen zu entdecken, eine Gabe, über die nur wenige verfügten. Lag es an seiner Herkunft, dass er in Seelen blicken konnte? War es angeboren oder anerzogen? Er konnte es nicht sagen. Aber er würde sich den Leckerbissen aufbewahren, in seinem Herzen, und ihn genüsslich vertilgen, wenn die Zeit des Abschieds nahte. Sicher würde ihm Flynn, wenn es dann überhaupt herauskäme, keinen Strick daraus drehen. Und zurückkommen würde sie nächstes Jahr sicher auch nicht, das wusste er aus Erfahrung. Kein Stallgehilfe blieb länger als eine Saison, zu mühevoll war die Arbeit in der Hitze des Stalles und zu schlecht die Bezahlung. Obendrein für eine Frau, die nicht an körperliche Arbeit gewohnt zu sein schien.

      Er blähte seinen Brustkorb auf, atmete tief durch und senkte leicht den Kopf, sodass Haarsträhnen in sein Gesicht fielen, eine Geste, von der er wusste, dass sie Frauen verrückt machte. Er kannte seine Waffen und setzte sie gezielt ein. Die Natur hatte ihn beschenkt, warum diesen Vorteil verkümmern lassen?

      „Fühlst dich ein wenig verloren, oder?“, fragte Jack, um die Stille zu durchbrechen, die sich wieder zwischen sie gelegt hatte.

      „Naja, ich bin erst heute Morgen in Frankreich eingetroffen. Sicher brauche ich ein wenig Zeit, um mich an alles zu gewöhnen.“ Sie lächelte schwach.

      „Oh“, Jack stutzte, „ich dachte du kämst direkt aus einem Nachbarort, aus Le Pradet?“ Er runzelte die Stirn und schaute auf ihre wohlgeformten vollen Lippen. Eigentlich sehr sinnliche Lippen, dachte er, die sie nicht wirklich zur Geltung brachte. Er wagte es nicht, sich vorzustellen, wie sie aussehen würde, wenn sie sich etwas schminken, die Haare offen tragen und sich anders kleiden würde. Unwillkürlich musterte er ihren Körper und registrierte: schmale Hüften, ein süßer Hintern und schlanke Beine. Vielleicht war der Busen etwas zu klein, aber das konnte er, so zugeknöpft wie sie war, nicht wirklich feststellen. Sein Körper reagierte prompt und Jack räusperte sich, versuchte, an etwas anderes zu denken.

      „Nein“, sagte Lia, „ich komme aus Deutschland.“

      „Ach so“, sagte Jack nachdenklich. Irgendetwas musste er da falsch verstanden haben. Er würde das mit Flynn später noch klären müssen.

      *

      Kapitel 5 – Lia – Das Refektorium

      Es herrschte großer Trubel im Speisesaal, dem Refektorium, wie Jack die Kantine genannt hatte. Vor den Auslagen mit dampfenden Speisebehältern aus Inox, die eine Pampe aus Kartoffelbrei und Hackfleisch enthielten, standen die Mitarbeiter Schlange. Lia nahm sich ein Tablett, Besteck, ein Glas und ein Stück von den zerteilten Baguettes und stellte sich dazu. Flott ging es voran. Als sie sich bedient hatte, verließ sie den Speisesaal und suchte auf der überdachten Terrasse nach einem Platz in dem Gewühl von Tischen, die schon alle voll besetzt schienen. Von einem Tisch aus, der in der hintersten Ecke stand, winkte Tess ihr zu. Zwei junge Männer, die offensichtlich Bäckergehilfen waren, nannten sie Bleichgesicht und Lia versuchte geflissentlich, es zu überhören. Erleichtert, überhaupt ein bekanntes Gesicht zu erblicken, bahnte sie sich einen Weg durch die eng stehenden Tische und Bänke und setzte sich zu Tess, die mit Joe und Flynn am Tisch saß.

      Die beiden schauten Lia seltsam von der Seite an, als wagten sie es nicht, ihr direkt ins Gesicht zu blicken. Egal, es gehörte zu ihrem neuen Selbstbewusstseinsprogramm dazu, sich nicht mehr darum zu kümmern, was andere von ihr denken könnten. Jetzt kam auch Jack und setzte sich auf den einzig freien Platz neben Lia, die sofort Joes schmachtenden Blick

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