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      Auf der linken Seite erstreckten sich flache stagnierende Gewässer und in der Ferne erblickte Lia ein Riesenrad. Sicher ein Vergnügungspark, dachte sie.

      „Das sind die Salzseen, les Salins. Sie wurden bis in die Neunzigerjahre noch ausgeschöpft und liegen seither brach. Und man nennt diesen Ort Almanarre und diese Straße la route du Sel. Wir befinden uns hier auf einem Tombolo -“

      „Was ist ein Tombolo?“

      „Das sind riesige Sandbänke, die sich wie zwei parallel zueinander verlaufende Arme mit der Zeit zwischen dem Festland und der Halbinsel Giens dort drüben gebildet haben. Diese Arme schließen das Wasser in deren Mitte ein und bilden die Salzseen. Im Winter ist diese Straße hier gesperrt, weil sie meistens überschwemmt ist. Vor zweitausend Jahren gab es an dieser Stelle hier eine Durchfahrt. Damals war Giens noch eine Insel.“

      „Und was ist auf der anderen Seite der ... Arme?“

      „Dort entlang gibt es auch viele Strände und der Hafen von Hyères. Sie sind nicht so breit und naturbelassen wie Almanarre, aber auch sehr schön. Der Club liegt dort direkt am Meer.“

      Lia kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, und als sie plötzlich die rosafarbenen Flamingos entdeckte, verschlug es ihr abermals die Sprache. Flynn grinste stolz.

      „Die sind ja himmlisch schön“, rief Lia begeistert.

      „Wissen Sie, warum die Flamingos rosa sind?“

      Wollte er sich etwa über sie lustig machen?

      „Nein? Braucht es dafür etwa einen besonderen Grund?“ Flynn lachte gellend über ihren unerwarteten Einwand. Wahrscheinlich würde er sie jetzt auf den Arm nehmen. Sie grinste erwartungsvoll.

      „Nein, eigentlich nicht, aber in diesem Fall gibt es einen.“

      „Ich bin sehr neugierig ihn zu erfahren“, sagte Lia gefasst, denn sie spürte, dass er sich tatsächlich über sie lustig machte.

      „Weil sie sich von roten Krebsen ernähren.“

      „Hahaha“, sagte Lia und fühlte sich veräppelt. Für wie blöd hielt er sie eigentlich?

      „Nein, wirklich, das stimmt“, sagte Flynn ernst.

      „Natürlich“, spottete Lia, „und die Bananen sind gelb, weil sie gelbe Kekse fressen, ja?“

      Flynn kicherte. „Nein, wirklich, ich schwöre, es ist der wahre Grund.“ Er versuchte ernst zu bleiben, doch das Flackern seiner Augen verriet ihn.

      Lia sah ihn misstrauisch an.

      „Ist heute nicht der erste April?“, fragte Lia und freute sich, nicht auf den Scherz hineingefallen zu sein.

      Flynn schüttelte missmutig den Kopf und sagte nichts mehr. Sie nahm es als das, was es zu sein schien – ein Eingeständnis – und lehnte sich zufrieden im Sitz zurück.

      „Jetzt ist es nicht mehr sehr weit“, sagte er, als wolle er das Thema wechseln. Er war wohl ein schlechter Verlierer, dachte Lia.

      Tatsächlich waren sie am Ende der Route du Sel angelangt, zogen eine Schleife und bogen nach links ab. Diesmal fuhren sie auf einer Straße, die sie durch mit Pinien durchwachsene Ferienwohnviertel führte. Wieder lagen die Salzseen auf der linken Seite, und sie fuhren auf dem anderen Arm des Tombolos zurück.

      Nach nur wenigen Minuten bogen sie in eine Einfahrt ein, über der ein großes gelbes Schild mit blauer Inschrift „RIVERA BEACH CAMPING“ hing. Durch eine lange, gerade Palmenallee, die rechts und links mit Parkplätzen gesäumt war, fuhren sie bis zu einer rot-weiß-gestreiften Schranke vor. Direkt dahinter befand sich ein großes, gelbes, mit einem Strohdach gedecktes Gebäude mit blauen Fenster- und Türrahmen: die Rezeption!

      Das laute Hupen des Mustangs ließ Lia zusammenfahren. Das für ein Auto alberne Geräusch einer Trompete trötete durch die Luft.

      „Tü-Tülütüt-Tütülüt-Tüt-TütülütülütTüt-Tüt“, schallte es erneut.

      So ein Angeber, dachte Lia und schämte sich fast, mit Flynn in diesem Auto gesehen zu werden. Die Schranke öffnete sich einige Sekunden später wie durch Magie und sie fuhren direkt vor das Rezeptionsgebäude. Am Eingang wurden Postkarten, Landkarten und Strand-Utensilien auf Ständern angeboten. Zwei junge Frauen, wie sie verschiedener nicht hätten sein können, kamen freudig lächelnd aus dem Gebäude.

      „Ach und übrigens: wir duzen uns hier alle, ich hoffe das stört Sie nicht?“

      „Äh, nein, Flynn“, antwortete Lia ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben. Merkwürdig kam es ihr schon vor, ihren Chef zu duzen.

      „Das sind Tess und Joe. Ich nenne sie gerne die Deutsche und die Italienerin“, stellte Flynn vor, sprang aus dem Wagen, ohne die Tür zu öffnen. Tess hüpfte auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn herzhaft auf die Wangen. Flynn wand sich verlegen.

      „Tess, lass das. Ich habe dich schon hundertmal gebeten, damit aufzuhören, nicht hier -“

      „Das hat dich früher aber nie gestört, Flynny-Boy -“ Gespielt schmollend verfolgte Tess mit ihren stechend blauen Augen Flynns Bewegungen. Lia versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Es wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein, dachte sie und stieg aus dem Wagen. Was hatte sie eigentlich erwartet? Dass ein toller einsamer Prinz namens Flynn sein ganzes Leben in Südfrankreich nur auf sie gewartet hatte? Ein so gutaussehender Mann musste natürlich bei Frauen viel Erfolg haben und konnte kein Single sein. Und eigentlich gefiel er ihr ja auch nicht wirklich. Es war nur die Hülle, die sie blendete. Im Grunde mochte sie keine Prahlertypen, die sich wie stolze Hähne mit einem Cabriolet zur Schau stellten. Noch dazu war er ihr Vorgesetzter, schalt sie sich. Oh je, dachte Lia beklommen, wenn sie sich schon von dem erstbesten Schönling verwirren ließ, wie sollte das Ganze hier nur enden?

      Nun, versicherte Lia sich, sie war ja nicht unbedingt hierhergekommen, um die große Liebe zu finden, auch wenn sie zugeben musste, dass sie es insgeheim vielleicht ein wenig gehofft hatte. Sie wollte Abenteuer. Sie wollte wissen, was ihr das Leben, außer den grauen Büroräumen und einer dahinplätschernden Beziehung, noch zu bieten hatte. Aber es musste ja nicht gerade der Chef sein, nicht wahr? Lia seufzte, lächelte den Frauen freundlich zu und schnappte sich nervös ihren Koffer, den Flynn bereits aus dem Kofferraum geholt hatte. Sie murmelte einen Dank.

      Tess lächelte flüchtig zurück, hatte aber nur Augen für Flynn. Während Lia den dreien in Richtung Rezeption folgte, musterte sie die beiden Frauen. Tess hatte hellblondes langes Haar, blaue Augen, einen schönen schlanken Körper und war etwas größer als Lia. Tess’ Kleidung, die aus einem kurzen weißen, am Ausschnitt mit vielen bunten Perlen und Bändern verzierten Minikleid und weißen offenen Sandalen bestand, betonte durch den trapezförmigen Schnitt des Kleides ihre braungebrannten schlanken Beine. Lia konnte Flynn gut verstehen, denn Tess sah wirklich hinreißend aus. Joe hingegen war schwarzhaarig, hatte mittellanges, glattes, leicht abgestuftes Haar und einen langen, verfransten Pony, der bis zu ihren Augen reichte. Sie kaute ausgiebig auf einem Kaugummi herum, was wohl besonders sexy wirken sollte. Ihr kurzer Jeans-Overall saß eng und brachte auch ihre braunen, schlanken Beine zur Geltung. Wie Tag und Nacht, dachte Lia spontan, als sie die beiden verglich.

      Nachdem die Dunkelhaarige Lia nun auch von Kopf bis Fuß abfällig gemustert hatte, wendete Joe sich ab und beachtete Lia nicht weiter. Wie bei einer Vorahnung stieg in Lia die instinktive Gewissheit auf, dass Joe sie verachtete. Aber warum? In Lias Hals bildete sich ein Kloß, doch sie wollte sich nicht einschüchtern lassen. Nicht nur, dass sie sich nicht wirklichen willkommen fühlte, mal von Flynns Empfang abgesehen, noch dazu fühlte sie sich, gegenüber den hübschen, braungebrannten jungen Frauen, hässlich, klein und unscheinbar.

      An der Rezeption angelangt, stellten sich Joe und Tess gleich hinter die riesige Theke. Während Tess geschäftig in Papieren herumkramte, als würde sie dringend etwas suchen, stützte sich Joe in lässiger Haltung mit dem Ellenbogen auf den Empfangstresen. Jetzt konnte Lia deren mit Kajalstift bemalten

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