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Möglichkeiten zwar arg, denn er verbrachte sein Leben auf dem Campingplatz, aber diese Regel war überlebenswichtig. Wenn sich herumsprechen würde, dass er mit Gästen anbändelte, könnte es sogar dem Ruf seines Unternehmens schaden, und das stand außer Frage. Ebenso würde die Gerüchteküche brodeln, wenn er sich auf Angestellten einließe. Nein!

      Die Lage war so schon brenzlig genug.

      Aber zwischen guten Vorsätzen und der Realität lagen oft Welten, nicht wahr? Denn kaum hörte er eine liebliche Stimme am anderen Ende der Leitung, war er bereit nach Toulon zu fahren, um das junge Fräulein persönlich abzuholen. Er zog scharf die Luft durch die Zähne ein, schüttelte über seine eigene Dummheit den Kopf und trank einen kräftigen Schluck aus der Dose. Das sollte ihm jetzt mal eine Lehre sein; ein Zeichen, dass er mit diesem Unfug endlich aufhören sollte. Keine Liebeleien mehr, kein Sex, kein Herzschmerz. Ganz einfach! Also war es eher hilfreich, dass die kleine Lia weder attraktiv noch besonders geistreich war.

      Schlimmer: Sie hatte die eigentümliche Gabe, ihn zu ärgern. Eigentlich war sie nicht wirklich hässlich, aber sie entsprach so gar nicht seinem Typ. Zwar war sie nicht ungepflegt, doch schien sie keinen Wert auf Überfluss zu legen. Alles an ihr schien „minimal“ gehalten zu sein. Nach dem Motto: bloß nicht auffallen! Bieder! Ja, genau, sie wirkte bieder, unbeholfen, kleingeistig, spießig und war einfach farblos. Alles, was er hasste. Und das bezog sich nicht nur auf ihre äußere Erscheinung.

      Egal, dachte er, grübele nicht mehr darüber nach. Schwamm drüber! Ich habe weit schlimmere Sorgen, als mir über eine unbeholfene graue Maus den Kopf zu zerbrechen, dachte er, und bei dem Gedanken an das, was ihn erwartete, setzte das Magengrimmen sofort wieder ein. Er hoffte nur, dass Lia wenigstens ihre Arbeit anständig bewerkstelligen und sich mit den Kunden nicht auch so hilflos zeigen würde. Sollte das nämlich der Fall sein, würde er die Konsequenzen daraus ziehen müssen. Er konnte es sich einfach nicht leisten, Angestellte zu bezahlen, die erst angelernt werden mussten, oder einen Kursus über Selbstwertgefühl brauchten. Aber auch da schien er wieder eine übertriebene Erwartungshaltung zu haben, denn es lag doch auf der Hand, dass es für eine Frau, die in ihrem Alter noch so ungeschickt war, wohl wenig Hoffnung auf Besserung geben konnte. Er seufzte und nahm erneut einen kräftigen Schluck.

      *

      Kapitel 3 – Lia – Harte Arbeit

      „Hallo?“

      „Hallo Mama, ich bin es Lia.“

      „Lia?“ Die Mutter schien verwirrt. „Wo um alles in der Welt steckst du denn? Ich sehe eine französische Telefonnummer auf dem Display? Das kann doch nicht sein, oder?“ Die Stimme ihrer Mutter am anderen Ende der Leitung klang besorgt.

      „Mach dir keine Sorgen, Mama, mir geht es gut. Ich bin in Frankreich!“

      „Um Himmels willen, was tust du denn in Frankreich?“

      „Ich brauchte mal eine Pause“, sagte Lia. Es hörte sich platt an. Erneut spürte sie die Zweifel. Übeltäter, die es liebten sie zu quälen und an ihr zu nagen wie Biber an einem Ast, bis er brach. Wenn sie in ihren Träumen schwelgte, schien alles so richtig. Doch sobald sie ihre Taten rechtfertigen sollte, hatte sie das Gefühl, dass es völlig unvernünftig war, was sie da tat, und ihre Überzeugung bröckelte.

      „Eine Pause? Und deine Arbeit? Und Manfred?“

      „Ich -“

      Wie sollte sie ihrer Mutter erklären, dass der Mann, mit dem sie seit Jahren lebte, nicht der war, für den alle Welt ihn hielt. Sie kannten nur seine freundliche, joviale Facette.

      „Ich habe unbezahlten Urlaub genommen-“

      „Aber du kannst Manfred doch nicht einfach so sitzenlassen. Er ist krank und braucht deine Hilfe. Lia! Was ist nur in dich gefahren?“

      „Mama, ich bin zu alt für Moralpredigten -“

      „Nicht, wenn du dich wie eine Fünfzehnjährige verhältst!“

      Lia rollte die Augen. Eigentlich hatte sie ihre Eltern nicht vor vollendete Tatsachen stellen wollen, war aber zu feige gewesen, um sich einem offenen Gespräch zu stellen. Sich den Fragen, die unweigerlich kommen würden, zu stellen und den vernünftigen Einwänden. Würde man im Leben überhaupt etwas wagen, wenn man immer nur auf die Stimme der Vernunft hörte?

      Und überhaupt? Es war ihr Leben! Was wussten ihre Eltern schon davon, wie es in Lia aussah, wie ihr Leben mit Manfred aussah, und was sie sich alles im Namen seiner Krankheit gefallen lassen musste? Nichts! Wie auch? Lia behielt immer alles für sich. Seit ihrer Studienzeit hatte sie ihr Leben ohne die Hilfe ihrer Eltern gemeistert. Nicht immer zum Besten, nicht ohne Hindernisse und Enttäuschungen, aber ohne die Hilfe ihrer Erzeuger. Am liebsten hätte sie sich auch diesen Anruf erspart, doch kannte sie Manfred, der ihre Eltern mit Sicherheit angerufen hatte, um sich über sie zu beschweren. Und sie kannte ihre Mutter, um zu wissen, dass sich diese sehr viel Sorgen gemacht hatte.

      „Mutti, alles ist in Ordnung, mach dir keine Sorgen, bitte. In ein paar Monaten komme ich wieder, und dann werde ich dir alles erklären, ja?“

      „Aber Lia ...“

      „Ich muss jetzt auflegen. Man erwartet mich schon“, log Lia.

      Lia verabschiedete sich und hing ein.

      Plötzlich fühlte sie sich unwohl. Hatte sie wirklich richtig gehandelt, als sie Manfred vor vollendete Tatsachen gestellt hatte? Alles war so schnell gegangen, so planlos, als hätte sie sich wie eine Ertrinkende auf einen Rettungsreif geworfen, ohne darüber nachzudenken, ob es auch wirklich einer war. Jetzt war sie gefangen. Gefangen in ihrem eigenen Vorhaben. Sie würde es zu Ende bringen müssen, ob es nun richtig war oder nicht, ob es ihr nun wirklich zusagte oder nicht, ob sie willkommen war oder nicht.

      Alles hatte so einmalig geklungen, als sie die Reise geplant hatte. Nie hätte sie gedacht, so kalt empfangen zu werden. Auch wenn Tess freundlicher war als Joe, so schien auch sie auf Distanz zu bleiben und sprach nur das Nötigste mit ihr. Was für eine blödsinnige Idee hatte sie da doch gehabt, alleine ins Ausland zu reisen?

      Herrje, Schluss mit dem Selbstmitleid, sagte eine kleine Stimme in ihrem Kopf. Reiße dich gefälligst zusammen und gebe dein Bestes. Du bist weder hierhergekommen, um dir Freunde zu machen, noch um dich zu verlieben. Du willst arbeiten, etwas erleben und dich behaupten. Wer hatte gesagt, dass es einfach werden würde? Sicher erwartete man sie schon an der Rezeption. Sie hatten ihr zwar zu verstehen gegeben, dass sie erst am nächsten Tag den Dienst antreten solle, doch würde es doch etwas merkwürdig aussehen, wenn sie den Tag in dem Zimmer verbringen würde.

      Also raffte sie sich auf, nahm eine Dusche und zog sich etwas Passenderes an. Als sie in den beigen Bermudas und dem weißen frischen Hemd vor dem Spiegel stand, nickte sie zufrieden, schlüpfte in die schwarzen Ballerinen und verließ das Zimmer.

      Fast hatte sie die Rezeption erreicht, als ihr ein Mann entgegenkam, der ein Pferd an der Leine führte. Wie Flynn war er groß gewachsen und breitschultrig. Doch das war auch alles, was ihn an den Chef denken ließ. Seine mittellangen Haare hatte er mit Gel nach hinten gekämmt. Sie waren im Nacken kurzgehalten, und eine rebellische Strähne fiel ihm vor die Augen. Unter dem Dreitagebart lagen kantige Wangenknochen und ein ebenso scharf geschnittenes Kinn. Seine zerfledderte mit Löchern und Rissen übersäte Jeans steckte in staubigen Sandiegos und obenherum trug er nur ein einfaches enganliegendes ärmelloses Unterhemd, das wohl seine braunen muskulösen Arme betonen sollte. Gelungen, dachte Lia und verkniff sich ein Schmunzeln.

      Als er auf Lias Höhe ankam, hielt er kurz inne und musterte sie. Er roch nach Heu und Schweiß.

      „Hi, bist du die Neue?“, fragte er schroff. Er sprach mit einem leichten Akzent, der nicht französisch wirkte. Fast wie ... ja, fast wie die Zigeunerin auf dem Markt, außer, dass er besser Deutsch sprach.

      „Ja, Lia. Und Sie ... äh ... du bist?“

      „Na endlich, du bist zu spät. Ich bin Jack. Pünktlichkeit ist hier sehr wichtig, das wirst hier du schnell lernen müssen, sonst

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