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schaute sich in der geräumigen Eingangshalle um. Gegenüber der langen Empfangstheke standen zwei winzige Läden, die aber noch nicht geöffnet waren. Bei dem einen schien es sich um ein Geschenkartikel-Lädchen zu handeln und das andere bot Badeartikel an. Im Schaufenster konnte sie Bikinis erkennen, die sie nicht einmal im Traum tragen wagen würde, so knapp waren die Stücke.

      „Hier, da hab ich ihn“, rief Tess erleichtert, legte Lia einen Plan hin und tippte mit dem Zeigefinger darauf, „hier befindet sich der Wohnkomplex für die Angestellten.“

      Lia starrte auf das Blatt, auf dem ein rechteckiges Gebäude abgebildet war, das in der Mitte einen großen rechteckigen Freiraum zu haben schien.

      „Was ist das?“, fragte sie.

      „Oh, das ist der Swimmingpool. In unserer Freizeit halten wir uns dort auf.“

      Lia nickte erstaunt.

      „Du kannst aber auch an den Strand gehen, wenn dir das lieber ist, das steht dir frei.“

      Strand?

      „Ist er weit von hier entfernt?“

      Flynn und Tess grinsten sich vielsagend an.

      „Tess zeigt dir später alles, Lia“, sagte Flynn. Es klang ungeduldig, als wolle er sich ihrer endlich entledigen, „bring erst einmal deine Koffer aufs Zimmer. Joe, zeig ihr euer Zimmer -“

      Lia durchfuhr ein Schreck. Sie spürte ihren Puls, der bis in den Hals hinauf pochte. Auch Joe schien nicht begeistert zu sein. Sie stieß sich lässig, fast genervt, von der Theke ab und warf Flynn einen ätzenden Blick zu.

      Nanu, dachte Lia. Die Angestellten nahmen sich hier wirklich viele Freiheiten heraus. Ob das Duzen wirklich so gut war? Brach es nicht die Schranken der Hierarchie, der angemessenen Höflichkeit und des nötigen Abstands, den es zwischen einem Vorgesetzten und seinen Angestellten geben sollte?

      „Komm“, sagte Joe schroff und schlenderte aus der Tür. Über kleine Pfade, an Bungalows und Zelten vorbei, durchquerten sie einen Pinienwald. Es duftete nach Süden. Bildete sie sich das ein, oder konnte sie das Meer von hier aus riechen?

      Sie fasste Mut und holte Joe ein.

      „Bist du schon lange hier?“

      „Hmm“, kam die Antwort. Doch Lia wollte nicht nachgeben. Das Eis würde schon noch brechen.

      „Seit wann?“

      Joe hielt abrupt inne, wandte sich ihr zu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir teilen ein Zimmer, ok? Das heißt nicht, dass wir Freundinnen werden, verstanden? Ich brauche kein lästiges Anhängsel, das Fragen stellt.“ Mit diesen Worten ging Joe weiter und ließ die verdatterte Lia stehen. Wie ein Schlag in die Magengrube fühlte es sich an. Lia kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an, doch wollte ihr das nicht ganz gelingen. Entsetzliches Heimweh überkam sie plötzlich. Hatte sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen?

      Zwischen ihrem Kummer und der Aufregung der neuen Eindrücke hin- und hergerissen, folgte sie Joe, die schon einige Meter weiter vor ihr herlief. Völlig unbeteiligt summte Joe ein Lied vor sich hin, bis sie über mehrere kleine Pfade bei dem gelben rechteckigen Gebäude ankamen, ein langweiliger Betonklotz mit vielen Fenstern. Fast wirkte es wie ein Gefängnis.

      „Hier, dein Schlüssel. Geh dort durch die Pforte, überquere den Innenhof, am Swimmingpool vorbei nach hinten. Dort geht’s die Treppe hinauf und dann ist es die zweite Tür rechts mit der Nummer 22. Das Bett auf der rechten Seite ist deines.“ Joe drückte Lia den Schlüssel in die Hand und ließ sie stehen. Lia starrte dem Mädchen sprachlos hinterher. Auf jeden Fall entschloss sie sich, dass der Eintrag unter Punkt Nummer 5 ihrer Liste: „Dem weiblichen italienischen Personal, das an der Rezeption arbeitet, fehlt jegliche Herzlichkeit beim Empfang des neuen weiblichen Personals aus einem anderen Land“ lauten würde. Zufrieden lächelte Lia in sich hinein, als hätte sie sich soeben besonders gut an Joe gerächt. Sofort ging es ihr etwas besser. Sie nahm sich vor, den Grund für Joes Veralten zu erforschen. Je nachdem, was sie herausfinden würde, könnte sie ja dann ihr Urteil vielleicht noch mildern, oder sogar verschärfen. Vielleicht lag es ja daran, dass sie Lia als Konkurrenz betrachtete, oder waren die Frauen hier einfach so? Oder stand Joe unter Druck? Egal! Ihr gegenüber war es jedenfalls nicht fair!

      Zögernd trat sie durch den runden Torbogen in den Innenhof. Sie musste vor Überraschung die Luft anhalten, als sie den wundervollen Patio erblickte, der wie eine altertümliche Tempelanlage wirkte. Von außen wies nichts auf die Schönheit dieses Ortes hin. Lia atmete erleichtert auf. Wie schön es sein musste, sich hier mit Freundinnen aufzuhalten, zu feiern und fröhliche Stunden zu verbringen.

      Im Zentrum des Patios lag der große Pool ruhig in der Morgenstille und auf der breiten Steinterrasse, die es umrandete, standen Liegestühle und Tische mit Stühlen. Der freie blaue Himmel über dem Pool gab dem Ganzen eine magische Aura. Rundbögen und Säulen zierten den offenen Rundgang, über dem die oberen Terrassen lagen. Dahinter erblickte Lia rundherum Türen, die mit Nummern versehen waren. Auf der Karte hatte das Gebäude nicht so riesig gewirkt, dachte Lia. Doch die Freude über diesen schönen Ort wollte nicht wirklich aufkommen und wurde von dem Klumpen in ihrem Bauch beherrscht. Trotz der Schönheit wirkte alles trostlos und einsam. Bei dem Gedanken ein Zimmer mit der finsteren Joe teilen zu müssen, wurde ihr schwer ums Herz. Ob sie um ein anderes Zimmer bitten durfte?

      Um das Pool herum erstreckte sich das einstöckige Gebäude wie eine Festung. An jedem Ende des riesigen Innenhofes führten breite Treppen in den ersten Stock, der nicht minder beeindruckend wirkte.

      Lia durchquerte den unteren Hof, am Pool vorbei, erklomm die Treppe und stand bald auf der oberen überdachten Terrasse, die rund um den Swimmingpool führte und einen wundervollen Blick aus der Vogelperspektive auf das türkisfarben schimmernde Nass bot. Die Balustrade war im altrömischen Stil mit Säulen und Rundbögen angelegt worden. Palmen in Töpfen zierten die Treppen und Geländer, Amphoren und alte Vasen schmückten den Steinboden. Ein römischer Patio, dachte Lia verträumt und suchte die Tür mit der Nummer 22.

      *

      Kapitel 2 – Flynn – Enttäuschung

      Nachdem er auf dem Campus nach dem Rechten geschaut hatte, verzog sich Flynn in seiner Hütte am Strand. Zwar war es erst zehn Uhr, doch hatte der Vormittag ihn schon ganz schön geschlaucht. Zum Teil lag es sicher am frühen Aufstehen, weil er die Neue unbedingt selbst am Bahnhof hatte abholen wollen. Aber noch mehr hatte ihre Verklemmtheit seine Nerven strapaziert.

      Am Telefon hatte sie so selbstsicher und erfahren gewirkt. Vielleicht war sie auf der Arbeit nicht so übel, dachte er zerknirscht, denn dafür hatte er sie ja schließlich angestellt. Er entledigte sich seiner Schuhe und streifte das nach Kaffee stinkende T-Shirt ab. Wie sehr der Schein doch trügen konnte, dachte er, holte sich eine Limonadendose aus dem Kühlschrank, setzte sich auf seine Veranda und vergrub die Füße im warmen Sand. Mit dem Zeigefinger zog er an der Öse und ein leises erfrischendes Zischen entwich der Öffnung. Obwohl der Wind zugenommen hatte, war das Meer auf dieser Seite des Tombolos windgeschützt und das Wasser lag still in der Morgensonne, so wie Flynn es liebte. Auch mochte er die Morgenstunden besonders, weil sich kaum Menschen am Strand aufhielten. Um diese Jahreszeit kamen nur wenige Touristen nach Hyères, und die Einheimischen arbeiteten. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Ostern nahte und würde diese Idylle in ein Touristennest verwandeln, das aus allen Ecken und Enden summte und brummte.

      Wieder gingen seine Gedanken zurück zu der Neuen. Lia. Wenn er ehrlich mit sich selbst war, so musste er sich eingestehen, dass ihre Stimme ihn hatte mehr erwarten lassen. So ein Dummkopf! Die menschliche Natur war schon eigenartig, dachte er. Auch wenn man sich innerlich darauf einstellte, niemanden mehr an sich heranzulassen, brauchte es nicht viel, um immer wieder dieses dumme Gefühl, das sich Hoffnung nannte, erwachen zu lassen, sobald ein hübsches Gesicht lächelte oder eine sensuelle Stimme lockte. Aber Hoffnung auf was? Die Hoffnung endlich die Richtige zu finden? Oder die Hoffnung beim nächsten Mal weniger enttäuscht zu werden oder gar weniger zu leiden? Pfff! Er fühlte sich ertappt und

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