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sagte Kenan. Im Haus sahen sie zerbrochene Krüge auf dem Boden, ihr Inhalt daneben, die Regale im Küchenbereich waren leer. Die Asche in den Feuerstellen war grau und kalt. Sie gingen auch in das obere Stockwerk mit den Schlafräumen. Kleidung lag auf den Schlafplätzen und auf dem Boden, die Kommoden und Truhen waren geöffnet, ihr Inhalt herausgeräumt. „Schriftgelehrter,“ sagte Kenan. „Diebe waren hier.“

      „Möglich,“ sagte Jeschua. Auch ihm schien es, dass jemand nach etwas gesucht hatte. „Andererseits, lieber Kenan, sieh in die Fächer in den Kommoden und unter die Dielen. Sie sind unberührt,“ und Jeschua sah in diese Richtung. „Nach welchem Gut haben die Diebe also gesucht, wenn es welche waren?“ Fragte Jeschua. „Selbst der Schmuck von Simons Frau ist noch an seinem Platz,“ bemerkte Johannes. „Lasst uns das, was wir hier sehen, in uns bewahren, vielleicht müssen wir es noch bezeugen,“ sagte Kenan. „Du hast Recht, Kenan,“ sagte Jeschua. „Zuerst wollen wir die armen Tiere begraben. Dann müssen wir Ordnung schaffen, denn wir werden hier für einige Zeit zu Hause sein.“

      Und nach dem Mittag kamen die Mägde des Simon zurück zum Haus. „Wie ist Euer Name?“ Fragte Jeschua sie freundlich. „Rebecca und Esther,“ antworteten sie mit gesenkten Köpfen. „Bitte, erhebt Eure Köpfe. Ihr ward in diesem Haus lange, bevor wir kamen.“ Und auch die Weingärtner des Simon, die Daniel, Aaron und Nataneel hießen, erschienen zur gleichen Stunde. Und sie gingen mit ihnen zu den Weinbergen und sie befanden, sie waren so, wie es Tobias bei der Dorfversammlung in Nazaret beschrieben hatte: Sie waren gut bestellt. Doch der Wein im Lagerhaus war ungenießbar gemacht worden. Die Täter hatten Ratten in die Fässer geworfen, in denen der Wein gelagert wurde. Die Bäuche der Tiere waren aufgeschnitten, jetzt schwammen sie leblos auf dem Wein. Und Jeschua wandte sich wieder an Kenan und Johannes: „Hier ist etwas Beispielloses geschehen.“ Und die Männer nickten.

      Wie unter allen Landwirten, Handwerkern und Kaufleuten war auch unter den Winzern die Konkurrenz groß. Jeschua kannte die Auseinandersetzungen zwischen ihnen Meist ging es um niedrige Preise oder Panscherei, die ein Winzer dem anderen vorwarf. Doch von tödlicher Gewalt unter ihnen hatte er noch nicht gehört. Und das Verschwinden von Simons Frau erschien ihm noch mysteriöser als vorher. Elias erschien mit zweien seiner Mägde und sie brachten ihnen Speisen und Getränke aus ihren Vorräten. „Schriftgelehrter,“ sagte Elias. „Morgen früh gehe ich nach Tiberias, um die Rechtsgelehrten zu befragen. Es ist ein Viertagesmarsch hin und zurück, ich werde also eine Weile fort sein. Wendet Euch bitte in dieser Zeit mit all Euren Anliegen an Tobias. Er hat mein uneingeschränktes Vertrauen.“

      Woher manche seiner Worte kamen, konnte Jeschua nicht sagen. Sie waren einfach da und wieder erschrak er darüber in sich, denn vor dem Abendessen sagte er: „Lasst uns das Abendessen gemeinsam einnehmen, wir wollen miteinander sprechen, denn wir werden für eine Weile zusammen leben.“ Üblich war, dass Mägde und Diener das Essen getrennt von der Familie des Hausherrn einnahmen. Und so legten sie sich etwas zögernd zum Abendessen nieder, die Weingärtner, die Mägde, Johannes, Kenan und Jeschua.

      „Schriftgelehrter,“ begann Johannes das Gespräch, nachdem sie den ersten Hunger besänftigt hatte. „Wie soll es jetzt mit uns weitergehen, was sind Deine Pläne?“ Für Jeschua war es wichtig, dass sie sich jetzt als eine Gemeinschaft verstanden, die durch den Willen der Gottheit entstanden war. „Ein jeder von Euch soll das zu unserer Gemeinschaft beitragen, was sie oder er am besten kann. Und jeder von Euch soll über seinen Verantwortungsbereich verfügen. Doch wichtige Entscheidungen, wie zum Beispiel größere Ausgaben, sollen von uns gemeinsam besprochen werden.“ Und so besprachen sie die fürs Erste wichtigsten Bereiche des täglichen Lebens. Das Anwesen und die Kleider mussten reinlich gehalten werden, ausreichend Essen und Wasser musste vorrätig sein. Der vergiftete Wein musste entsorgt und neue Weinfässer mussten bestellt werden. Jeder Mann und jede Frau übernahm eigene Verantwortungsbereiche.

      Und Nataneel frage: „Schriftgelehrter, mit welchem Geld bezahlen wir das alles? Und, Simon schuldete uns noch Lohn.“ „Gut gesprochen, Nataneel,“ sagte Jeschua. „Wir werden die Bücher des Simon durchsehen und den Lohn von dem vergüten, was wir jetzt von dem vorhandenen Geld verwenden können oder von den Sachen, die wir jetzt guten Gewissens zu Geld machen können.“ Soweit er es verstand, hatten Simon und seine Frau hier ohne familiäre Verpflichtungen gelebt. Niemand konnte sagen, wo ihre Eltern oder ihre Familien lebten, ob sie überhaupt lebten. Vor vielen Jahren waren sie hier, wie aus dem Nichts, erschienen und Simon bot damals dem Dorf seine Dienste als Schriftgelehrter und Winzer an. Der Dorfrat hatte seinem Wunsch zugestimmt und so hatten sie Simon und seine Frau in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Und sie waren sehr zufrieden mit ihnen. Dies hatte er am Vormittag von Elias erfahren.

      Als Schriftgelehrter war Jeschua nicht nur in religiösen Angelegenheiten geschult, sondern auch in den weltlichen Fragen und in Rechtsangelegenheiten, soweit sie von kleinen Dorfgemeinschaften verantwortet werden konnten. Denn für die Gesellschaft, in der sie lebten, war eine Trennung zwischen den irdischen Fragen und der Worte der Gottheit undenkbar. Schwerwiegende Ereignisse, und diese Situation war ein solches, mussten jedoch grundsätzlich mit den Würdenträgern in Tiberias besprochen werden. Daher tat Elias gut daran, dort hinzugehen. Und vier Tage Verspätung konnte er problemlos rechtfertigen, zumal Jeschua von den Weisen gehört hatte, dass ein Antragsteller für ein Gespräch mit einem Würdenträger in Tiberias durchaus ein paar Tage warten musste, da viele Menschen ihre Entscheidungen oder Ratschläge benötigten. Jeschua kannte die Schriften gut und er wusste, dass es eines der Rechtsprinzipien war, dass wo kein Kläger auch kein Richter war.

      Jeschua hatte von den Weisen und von den römischen Soldaten gehört, dass es im fernen Rom und in einigen größeren Städten Italiens besondere Soldaten gab, die dort in den Städten für Ruhe und Ordnung sorgten oder die für den Schutz vor Feuern zuständig waren. Diese Soldaten übernahmen in bestimmten Fällen auch die Suche nach Tätern von schweren Straftaten, was ansonsten von den Familien der Opfer getan werden musste. Doch hier in Galiläa gab es eine solche Institution nicht. Simon und seine Frau hatten keine Familie, die berechtigterweise hätte Klage erheben können, wenn der Mörder gefasst worden wäre, oder die das Erbe hätten antreten können. Elias selbst und viele Männer aus NaÏn hatten ungefähr zwei Tage nach dem Mörder und der Ehefrau Simons gesucht, zwar erfolglos, doch das war nach den allgemein üblichen Maßstäben und unter diesen Bedingungen ausreichend. Niemand hätte es ihnen vorgeworfen, wenn sie nicht gesucht hätten. Sie taten es, weil sie Simon und dessen Frau sehr geschätzt hatten und, weil sie erhofften, so den unausweichlichen Zorn der Gottheit zu besänftigen.

      Alle Bewohner NaÏns glaubten zwar, der Täter käme nicht aus ihren Reihen, aber ganz so sicher waren sich viele von ihnen nicht. So setzten sie kleine Stücke aus ihren Erinnerungen über Simon und dessen Frau zu wilden Geschichten zusammen. Im Kern der Geschichten vermuteten die meisten Dorfbewohner, dass Simon von einem Schuldner umgebracht worden war, der sich damit seiner Verantwortung entziehen wollte. Elias ging nach Tiberias, um vor allem auf die Frage, wie mit dem Besitz des Simon zu verfahren sei, eine Antwort der Gelehrten zu erhalten.

      Und am nächsten Morgen gingen sie alle an ihre Arbeiten, so wie sie es besprochen hatten. Jeschua war der Meinung, dass alles für das Anwesen des Simon momentan Nötige geregelt sei, deshalb hatte er mit ihnen besprochen, er würde in das Gebetshaus gehen, da er ja auch deshalb gerufen worden und gekommen sei. Die Dorfbewohner, die bereits zu früher Stunde auf dem Weg zu ihren Geschäften oder Angelegenheiten waren, grüßten ihn und er grüßte sie. Bevor er das Gebetshaus betrat, ging er zu Tobias und er kündigte seine Anwesenheit an, weil es sich aus Respekt so geziemte und weil Tobias ja nun auch ein von ihm betreutes Gemeindemitglied war. Und jetzt erschien ihm Tobias in seiner Geschäftigkeit so, wie viele der Kaufleute, die er aus Nazaret kannte. Das erfreute Jeschua, denn die Last der vergangenen Tage schien etwas von ihm abgefallen.

      Der Schreibraum neben dem Gebetsraum machte auf ihn den Eindruck, als wäre er erst vor kurzem verlassen worden und sein Eigentümer würde bald zurückkommen. Auf einem Pult lagen Schriftrollen, einige waren beschrieben, andere nicht. Jeschua sah ein Fass mit Tinte und mehrere sehr gut gespitzte Schreibrohre. In den Regalen dahinter waren weitere Schriftrollen, darunter auch die heiligen Schriften, was Jeschua besonders freute. Auch war er erleichtert, als er nach dem Durchsehen der Schriftrollen die Buchhaltungsschriften des Simon fand.

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