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verbreitet. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ Der Ortsvorsteher unterbrach das Gemurmel unter den Männern mit lauter Stimme und er deutete auf den Boten aus NaÏn. „Edler Dorfvorsteher, edle Älteste und edler Weiser aus Nazaret.“ Und die Männer aus Nazaret nickten über dessen Eröffnung. „Mein Name ist Tobias, ich überbringe Euch traurige Kunde von meinem Vater Elias, dem Ortsvorsteher von NaÏn. Vor zwei Tagen fanden wir Simon, den Schriftgelehrten unseres Dorfes, auf mysteriöse Art gestorben auf seinem Weinberg vor.“ „Möge er in Frieden ruhn,“ murmelten die Männer, doch der Ortsvorsteher befahl ihnen erneut Einhalt. „Wie Ihr wisst, war Simon der Schriftgelehrte, möge er in Frieden ruhn, ein kluger und starker Mann, denn er bestellte seinen Weinberg gut und er war ein wachsamer Hirte unserer Gemeinde.“ Und wieder nickten die Männer. „Doch der Arzt befand nach eingehender Untersuchung, dass er von fremder Hand erschlagen wurde.“ Und der Bote senkte seinen Kopf zum Zeichen seiner Bestürzung und Trauer. Diesmal schwiegen die Männer, denn sie waren entsetzt. Einen Schriftgelehrten zu erschlagen, war eine schreckliche Sünde und alle fürchteten den Zorn der Gottheit. „Und so bitten wir aus NaÏn, Euch, edle Nazarener, um Eure Hilfe, indem einer Eurer Schriftgelehrten das Amt übergangsweise übernehmen möge, bis wir einen würdigen Nachfolger gefunden haben. Es soll ihm an nichts mangeln.“ Die Männer sahen sich untereinander an und laute Gespräche unter ihnen begannen. „Seid still!“ Befahl der Ortsvorsteher und die Männer schwiegen wieder.

      „Habt Ihr den ergriffen, der Simon, den Schriftgelehrten, erschlug?“ Fragte er den Boten und Tobias aus NaÏn schüttelte seinen Kopf. „Doch mein Vater und die Männer des Dorfes untersuchen den Vorfall.“ Obwohl es für Jeschua die erste Dorfversammlung war, an der er teilnahm, erstaunten ihn die Reaktionen der Versammlung nicht. Hatte er in den zurückliegenden Jahren doch mit allen Männern gesprochen. Und er konnte die Ängstlichen von den Wütenden unterscheiden, die Nachdenklichen von den Lauten, ohne sie anzusehen. Leevi, den Ortsvorsteher von Nazaret, kannte er in seiner offiziellen Rolle bisher nicht und dessen Rede und Auftreten überraschte Jeschua, und er verstand jetzt, weshalb er dieses Amt innehatte. Und Leevi erhob sich, befahl erneut Ruhe und er wandte sich an die Ältesten unter ihnen: „Ezra, Isaak, Nathan, was sagt Ihr?“ Die Ältesten besprachen sich kurz und Isaak erhob sich: „Tobias, Sohn des Ortsvorstehers von NaÏn, auch wenn es traurige Kunde ist, die Du uns bringst, so danken wir Dir für Dein Kommen und für Euer Vertrauen in uns und wir grüßen Elias, Deinen Vater.“ Die Männer nickten. „Und so wie es der Väter Sitte ist, werden wir heute noch Rat halten. Geh zu Lea der Gastwirtin, sie wird Dir Essen und Getränke geben. Und danach werden wir Dir unseren Entschluss mitteilen. Ist das für Dich akzeptabel?“ Tobias dankte ihnen und er verließ die Versammlung.

      Die Männer wogen alle Argumente für und gegen die Unterstützung NaÏns durch Nazaret sorgfältig ab. Und weil Jeschua der jüngste unter ihnen war, wurde er vom Ortsvorsteher nach seiner Meinung befragt, als alle anderen bereits gesprochen hatten. „Gründlich habt Ihr das Pro und Kontra der Bitte des Tobias und der armen Menschen von NaÏn abgewogen. Und ja, es ist ein Risiko, solange der Mörder des Simon auf freiem Fuß ist und wir die Motive des Mörders nicht kennen. Doch steht nicht auch geschrieben? Denn der Arme wird nicht aufhören inmitten des Landes; darum gebiete ich dir und spreche: Du sollst deinem Bruder, deinem Dürftigen und deinem Armen in deinem Land, deine Hand weit auftun. (Jesaja 58.7) Könnt Ihr Euch vorstellen in einem Dorf ohne einen Schriftgelehrten zu leben?“ Die Männer vernahmen seine Worte und sie schüttelten die Köpfe. „Doch bedenket,“ fuhr er fort. „Es steht auch geschrieben, dass wenn ein Mensch ein Gelübde tut oder einen Eid schwört, ein Bündnis auf seine Seele zu nehmen, so soll er sein Wort nicht brechen: Nach allem, was aus seinem Mund hervorgegangen ist, soll er tun.“ (3. Mose 27.2) Und wieder nickten die Männer.

      In diesem Moment kannte Jeschua seine Stimme nicht wieder. „Wenn es Euer Wunsch ist, gehe ich nach NaÏn, damit die armen Menschen dort nicht ohne die Worte der Gottheit sind, bis sie einen würdigen Nachfolger für den armen Simon gewählt haben, möge er in Frieden ruhn. Ich fürchte den Tod nicht, Vorfahren und Nachkommen trifft es, wie Dich!“ Und die Männer sahen ihn an und sie bewunderten seine klare Stimme. Und so riefen sie den Tobias und sie teilten ihm ihren Entschluss mit. Und die Augen des Tobias leuchteten über die Barmherzigkeit der Nazarener. Als die Versammlung beendet war, sprach Jeschua den Weisen an. „Meister?“ Der Weise sah ihn an. „Hättest Du an meiner Stelle anders gesprochen und gehandelt?“ Und der Weise sagte: „Du hast wohl gesprochen und gehandelt. Denn in diesem Sinne haben wir Dich gelehrt.“ „Und doch spüre ich, dass Du nicht vollständig mit mir zufrieden bist. Irren mich meine Sinne?“ „Du hast viel dazugelernt, Jeschua. Erlaube mir zu fragen, bestand nicht auch die Möglichkeit zu einem kurzen Gespräch unter unseren vier Augen, damit wir Dein Angebot hätten besprechen können, bevor Du es gemacht hast?“ Doch Jeschua sagte: “Hätte das Gespräch unter unseren vier Augen etwas an dem Entschluss geändert?“ „Vermutlich nicht, Jeschua, denn der Entschluss ist gerecht. Doch ist es nicht noch wirkungsvoller, wenn ein Entschluss gemeinsam geboren wird und alle an ihm teilhaben?“ Und Jeschua stimmte ihm von Herzen zu, denn er verstand das Argument. „Es wird mir eine Lehre sein,“ sagte er. Und der Weise befand Jeschua für gut, denn er konnte dessen Aufrichtigkeit in seiner Seele und in seinem Herzen lesen.

      Seine Mutter und seine Geschwister weinten, als Jeschua ihnen den Beschluss überbrachte und sie waren auch voller Stolz auf ihn, so wie sein Patenonkel. So geschah es, dass Jeschua aus Nazaret, der Sohn von Maria, seine wichtigsten Habseligkeiten packte und er sich auf den Weg nach NaÏn begab.

      Reisende konnten auf zwei Wegen von Nazaret nach NaÏn gelangen. Entweder verließ man Nazaret nach Nordosten in Richtung des galiläischen Meeres, um dann nach wenigen Meilen am Berg Tabor vorbei nach Südwesten zu gehen. Oder man ging durch das südliche Stadttor, und ging für einige Meilen nach Süden. So erreichte man NaÏn nach den letzten drei bis vier Meilen östlich von dieser Route. Der Weg nach Nordosten war etwas länger als der nach Süden und war etwas anstrengender, da man zu Beginn für ein paar Meilen bergauf gehen musste, aber es gab mehr bewaldete Wegstrecken, die Schatten spendeten. Ein geübter Mann konnte die Strecke gut in vier Stunden ohne Rast bewältigen. Inklusive Pausen, die aufgrund des Reisegepäcks, der Hitze der Mittagszeit und wegen menschlicher Bedürfnisse nötig waren, war es aber ein Marsch, der einen größeren Zeitraum des Tageslichtes andauerte, vorausgesetzt es gab keine unerwarteten Zwischenfälle.

      Zur Sicherheit befahl Leevi, der Ortsvorsteher von Nazaret daher, dass Jeschua und Tobias von zwei besonders kräftigen und mit Waffen vertrauten Männern des Dorfes begleitet werden. Reisende wurden auf diesen Wegen normalerweise nicht von Räubern bedroht, doch Leevi bedachte auch, dass sie als Schutz bei Jeschua bleiben sollten, bis sich die Lage in NaÏn als ungefährlich für einen Schriftgelehrten erweisen sollte. Einer der Begleiter war Johannes, Sohn des Zebedäus. Der andere war Kenan, Sohn des Kaufmanns Isaak. Und als sie nach einiger Zeit den Weltenberg sahen, der sich wie eine archaische Gestalt aus der Ebene erhob, erinnerte Jeschua sich an die uralten Geschichten, die er vor einiger Zeit von den Weisen gehört hatte. Die Geschichten, die aus dem Fernen Osten zu ihnen gekommen waren, viele Meilen weiter entfernt im Osten als Babylon, und die die Menschen um den großen Griechen mitgebracht hatten. Über die, deren oberstes Lebensziel es war Erleuchtung zu erlangen. „Ist nicht unser Streben nach Weisheit und gerechtem Leben vor der Gottheit dieser Erleuchtung vergleichbar und sind wir dadurch nicht verwandt mit den Menschen im Fernen Osten?“ Hatte Jeschua die Weisen gefragt. Die Weisen hatten ihm zugestimmt. Ist es nicht verwunderlich, wie die Menschen untereinander verbunden sind? Dachte Jeschua.

      Nachdem sie den Berg Tabor hinter sich gelassen hatten, bat Tobias um eine Rast. Es war noch vor der Mittagsstunde und sie suchten einen schattigen Platz unter den Pinien am Wegesrand. „Tobias, Sohn des Elias. Erzähle uns von NaÏn. Ich war noch nie bei Euch,“ sagte Jeschua nach einer Weile. Und auch Johannes und Kenan sahen Tobias an. „Unser Dorf ist nicht so groß wie Nazaret. Vielleicht einhundertfünfzig Menschen leben bei uns.“ Und er erzählte ihnen, so gut er es konnte, dass die Häuser so wie die in Nazaret gebaut waren, gemauert aus Steinen, mit Holz verstärkt. Die Dächer waren mit Ziegeln bedeckt. Die Häuser waren entlang des Hauptweges gebaut und es gab auch Häuser abseits des Hauptweges, die man über schmalere Wege erreichen konnte. In der Mitte war der Dorfplatz, an dem der Markt und Versammlungen stattfanden. Dort stand auch ein

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