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Ausmaße des Anthropozäns, die Jack in der Aneinanderreihung von Einzelepisoden schonungslos vor Augen geführt werden, relativieren sich im Falle von Fausto also dadurch, dass die nacheinander untergeordneten Naturgüter in umgekehrter Reihung noch einmal befreit vom menschlichen Einfluss in Erscheinung treten.

       3.1.2 Fachdidaktische Anknüpfungspunkte

      Ausgehend von dieser Auswahl sind in der Phase der objektivierenden Erschließung Figurenkonstellationen für beide Werke zu erstellen, in denen die Einbindung der Protagonisten in die jeweiligen Zusammenhänge deutlich wird. Zentral ist hierbei, dass Jack im Umgang mit den beeinträchtigten und teilweise fantastischen Lebewesen als Helfer fungiert, während Fausto als Gegenspieler der vermenschlichten Naturelemente auftritt (Figurenverstehen, Niveaustufe I). Davon ausgehend können grundlegende Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft vs. Machtwille sowie die positive Entwicklung von Jack vs. die negative Entwicklung von Fausto erschlossen und in einer Sicherung einander gegenübergestellt werden (Figurenverstehen, Niveaustufe II; vgl. Abb. 2). Um sich darüber hinaus in die Gedankenund Gefühlswelten der Figuren zu versetzen, können die Kinder in dieser Phase z.B. einen Dialog zwischen Jack und seinem Vater während des Ausflugs schreiben oder eine Denkblase von Fausto in dem Moment füllen, als er merkt, dass das Meer sich ihm nicht unterwirft. Dies trägt zur Empathiebildung im Sinne Spinners bei (vgl. Spinner 2006, 10).

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       Abbildung 2: Erhobene Faust als Bekräftigung des Versprechens bzw. der Drohung (l.: Jack, r.: Fausto)

      In der Phase der personalen und sozialen Applikation lassen sich den Figurenkonstruktionen entsprechend unterschiedliche Schwerpunkte setzen, die eine Positionierung herausfordern (Figurenverstehen, Niveaustufe III). So können die Kinder Jacks Entscheidungen im Laufe der Handlung sowie seine Handlungsabsichten für die Zukunft kommentieren, ihm weitere Vorschläge machen, um Müll zu reduzieren, oder mit ihm Versprechen formulieren, um das „Schicksal des Meeres“ in die Hand zu nehmen, wie es das Ende der Geschichte nahelegt. Für Fausto bietet es sich an, mit ihm an einer selbst gewählten Stelle in Interaktion zu treten, um sein Schicksal in eine andere Richtung zu lenken oder einen Nachruf auf ihn zu schreiben, in dem ebendieses Schicksal rückblickend bewertet wird.

      3.2 Baustein Handlungslogik: das Verschwinden als Ausgangs- oder Endpunkt der Geschichte

      Anders als das Figurenverstehen, das trotz seiner Relevanz im Literaturunterricht im österreichischen Lehrplan keine explizite Erwähnung findet, ist für die Erschließung der Handlungsebene die Rahmenvorgabe formuliert: „Handlungszusammenhänge erleben und erkennen; einfache Handlungsabfolgen richtig wiedergeben“ (Bundesministerium 2003, 15). Dass „für kompetentes literarisches Verstehen die Herstellung innertextlicher Bezüge wichtig ist“ und die „literarische Welt […] aus dem Textzusammenhang erschlossen werden“ muss (Spinner 2006, 10), hebt Spinner sogar als grundlegend für literarische Lernprozesse hervor. Diese übergreifenden Zielsetzungen werden im Bochumer Modell literarischen Verstehens in konkrete Arbeitsschritte übersetzt, die von der Reproduktion/Reorganisation von Inhalten über die Erarbeitung von Kausalzusammenhängen bis hin zur Bewertung und Antizipation von Handlung reichen. Diese stringente Erarbeitung von Handlungslogik kann Grundlagen für die BNE-Teilkompetenz „vorausschauend denken und handeln“ schaffen, da auch dafür zunächst ein Status quo erfasst, in Zusammenhänge eingeordnet werden und eigenständig weitergedacht werden muss. Die episodische Struktur der beiden ausgewählten Erzählungen bietet dabei die Möglichkeit, über die wiederholende Mikrostruktur eine Systematik zu erkennen und sich darüber auch der Makrostruktur des Problemnarrativs anzunähern.

       3.2.1 Sachanalytische Zugänge

      Die zentralen Handlungselemente und ihre Zusammenhänge lassen sich mit dem durch Leubner & Saupe etablierten Komplikationsmodell (vgl. Leubner & Saupe 2009, 48f.; Leubner & Saupe 2016, 95) übersichtlich erschließen und einander gegenüberstellen.

      Als zentrale Komplikation kann demnach in Der Tag, an dem das Meer verschwand die Schädigung der Figur Jack durch das Verschwinden des Meeres benannt werden. Scheint der Faktor der Komplikation zunächst Jacks Trinkhalm zu sein, entfaltet sich das Ausmaß der Meeresverschmutzung erst im Lauf der einzelnen Episoden, in denen Jack freigelegte Müllberge entdeckt, sechs Möwen aus ihrer Gefangenschaft in einer Getränkepackung befreit, eine Meerjungfrau aus verhedderten Fischernetzen löst, auf einen Plastiktüten ausstoßenden Wal trifft und schließlich einen Berg aus Plastikstrohhalmen besteigt, an dessen Spitze er auch seinen eigenen im Nasenloch einer Schildkröte wiederfindet. Mit der Rückkehr des Meeres wird die Komplikation positiv aufgelöst, obwohl die Müllberge im Meer verbleiben. Faktor dafür ist Jacks Rücknahme seines eigenen Trinkhalms sowie sein Versprechen, in Zukunft weniger Plastik zu verbrauchen und mehr zu recyceln. Dass es ihm auf diese Weise gelingt, das Meer zurückzuholen, wirkt in Anbetracht der weitreichenden anthropozänen Spuren zunächst zu einfach und harmonisierend, setzt aber letztlich niedrigschwellig an den realen Gestaltungsspielräumen der Rezipierenden an. Denn wie Jack verfügen sie weder über Macht noch über Mittel, die bisher entstandenen Schäden zu beseitigen. Wie Jack können sie dennoch aktiv dazu beitragen, diese Schäden künftig in Grenzen zu halten.

      Im Gegensatz dazu ist in Die Fabel von Fausto die Schädigung der Natur durch Faustos Inbesitznahme als zentrale Komplikation auszumachen. Diese wird mit Faustos Verschwinden im Meer insofern positiv aufgelöst, als die Natur sich wieder selbst überlassen bleibt und regenerieren kann. Die Faktoren für Komplikation und Auflösung liegen in Faustos Bestreben, sich die Welt zu eigen zu machen, der damit einhergehenden Selbstüberschätzung sowie der Erhabenheit der Natur über den Menschen. Auch wenn die Einordnung von Faustos Untergang als „positive Auflösung“ also durchaus in einem schlüssigen kausalen Zusammenhang zur anthropozänen Schädigung steht, ist die daraus resultierende radikale Moral der Verzichtbarkeit des Menschen zumindest diskussionswürdig und lässt sich durch eine alternative Anwendung des Modells relativieren. So kann als zentrale Komplikation auch ein Mangel Faustos konstatiert werden, dessen Faktor innerhalb der Handlung eine Leerstelle bleibt. Dieser Mangel kann letztlich nicht kompensiert werden, was zu einer negativen Auflösung der Komplikation führt. Der Faktor für diese negative Auflösung besteht darin, dass Fausto beim Versuch, den Mangel durch die Aneignung der Naturelemente zu kompensieren, das Wesentliche aus dem Blick verliert. Die Moral weist hier also nicht in Richtung Eliminierung des Menschen, sondern eher in Richtung Achtsamkeit und Umweltbewusstsein. Solche verschiedenen Varianten in den Unterricht einzubringen, ist sinnvoll, um die Deutungsspielräume zu veranschaulichen, die sich selbst bei der kriteriengeleiteten Handlungsanalyse ergeben, und damit auch die Unabschließbarkeit des Sinnbildungsprozesses (vgl. Spinner 2006, 12) zu fördern.

       3.2.2 Fachdidaktische Anknüpfungspunkte

      Die episodische Struktur beider Erzählungen bietet sich ebenfalls für ein identitätsorientiertes Setting an, das auf der Auseinandersetzung mit den Protagonisten aufbauen kann, aber nicht muss. Dabei können für die Phase der subjektiven Annäherung aus beiden Werken alle Begegnungen von Mensch und Naturelementen (bei Jack mit Möwen, Meerjungfrau, Wal und Schildkröte, bei Fausto mit Blume, Baum, Schaf, See, Berg und Meer) an der Tafel angebracht und den Kindern zur Auswahl gestellt werden.

      Um trotz dieser individuellen Auswahl zu gemeinsamen Ergebnissen zu gelangen, eignen sich in der Phase der objektivierenden Erschließung Arbeitsaufträge, welche die Besonderheiten der jeweiligen Episode in den Fokus rücken und im Rahmen einer gemeinsamen erneuten

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