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Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren
Год выпуска 0
isbn 9783706561921
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Pädagogik für Niederösterreich
Издательство Bookwire
Schon vor mehr als 50 Jahren waren es Kinder, die ein besonderes Sensorium für den Schutz des Naturraumes hatten. Dies wird auch in Lobes Werk, das sich vor allem an junge Leser*innen richtet, deutlich: Ein Bürgermeister ist fest entschlossen, das beschauliche Städtchen, in dem er lebt, zu verändern. Der Wald soll neuen Bauten weichen, größer und höher als die bisherigen. Eine Tiefgarage, ein Aussichtsturm mit Helikopterlandeplatz, eine größere Schule und ein Zoo sind angedacht. Doch die Pläne einer deutlichen Vertikalisierung des Stadtbildes missfallen den Kindern, die um ihre natürliche Spielstätte, den Wald, fürchten. Julius und Juliane suchen das Gespräch mit dem Vater, der gleichzeitig der Bürgermeister ist. Doch die Argumente werden nicht gehört.
Damit ist eine Situation beschrieben, die vielen jungen Menschen wohl vertraut ist. Meinen nicht auch heute Kinder und Jugendliche, dass ihre Argumente von den Erwachsenen nicht ausreichend gehört werden? Denken sie nicht, dass ihre Proteste zu oft ungehört verhallen? Gerade wenn es darum geht, wie die Natur geschützt werden könnte, ist es oft kindliche Empörung, die das Verlangen nach Veränderung zum Ausdruck bringt. Diesen Diskurs greift der vorliegende Artikel auf, wobei ein Fokus auf die in Österreich entstandene Kinderliteratur der 1970er-Jahre und Mira Lobe, eine ihrer zentralen Akteur*innen, gelegt wird.
Welche Bedeutung hatte das Thema Naturschutz in diesem Zeitraum? Der vorliegende Artikel verweist auf wichtige Veröffentlichungen dazu, untersucht aber auch die Protest-bewegungen junger Leute und ob bzw. wie sich diese bis heute entwickelt haben. Bei einem Vergleich werden erstaunliche Parallelen und Veränderungen sichtbar. Das Thema Nachhaltigkeit, das heute noch hochaktuell ist, erweist sich als wiederkehrendes Motiv der 1970er-Jahre.
Mira Lobes chronologisch aufgebaute Erzählung Das Städtchen Drumherum wird aus einer auktorialen Perspektive geschildert und diese ist mit einer klaren Botschaft am Ende versehen: Ein friedliches Nebeneinander von Mensch und Natur ist möglich. Im ersten Drittel des Kinderbuches, das 1970 zum ersten Mal veröffentlicht wurde und bereits kurz nach seinem Erscheinen mit mehreren Auszeichnungen1 bedacht wurde, findet sich die ausführliche Schilderung einer Tischszene. Sie folgt der Exposition, in der die handlungstragenden Figuren vorgestellt werden und das Bedrohungsszenario für den Wald entworfen wird. Der Bürgermeister, hier in der Rolle des (vermutlich alleinerziehenden) Vaters, bemerkt den Unmut seiner Sprösslinge. Im abendlichen Gespräch offenbart sich der schwelende Generationenkonflikt:
Der Bürgermeister saß mit seinen Kindern beim Nachtmahl. Julius stocherte im Essen herum, und Juliane schob den Teller fort. […] „Vati“, sagte Julius, „wir wollen mit dir über den Wald sprechen.“ „Da gibt es nichts zu sprechen. Mischt euch, bitte, nicht in meine Angelegenheiten.“ || „Es ist nicht nur deine Angelegenheit!“ sagen Julius und Juliane. „Es ist auch unsere. Sehr sogar.“ || Der Bürgermeister legte Messer und Gabel hin. || „Wollt ihr denn nicht, daß unsere kleine Stadt größer wird? Soll sie nicht wachsen und immer schöner werden? Alles wächst: Tiere und Bäume …“ || „Außer, wenn du die Bäume umhauen läßt und die Tiere vertreibst.“ „Das ist der Lauf der Welt“, sagte der Bürgermeister. „Das verstehst du nicht, Julchen, weil du ein Kind bist. Was habt ihr nur gegen neue Fabriken?“ || „Das verstehst du nicht, Vati, weil du kein Kind bist“, sagte Juliane. (Lobe & Weigel 1970, 14–16)
Ausdruck der Eskalation ist der Essensboykott, der an Beispiele aus der Weltliteratur wie Heinrich Hoffmanns (1809–1894) Struwwelpeter oder lustige und drollige Bilder (1845) denken lässt. Am Tisch ausgetragene Machtkämpfe haben bis heute ihren subversiven Charakter in der Kinderliteratur beibehalten, betont auch Cornelia Leingang mit Blick auf neuere Erscheinungen: „Oft spiegeln die dargestellten Mahlzeiten eine tendenzielle Auflösung der traditionellen Familie als Tischgemeinschaft wider.“ (Leingang 2015, 82) Wie beim zappelnden Philipp lässt sich hier ein anarchisches Bild erkennen, das gerade mit Blick auf den zeitgeschichtlichen Kontext durchaus mutig gewählt ist: Die Familie in Das Städtchen Drumherum besteht, so scheint es, nur aus drei Personen, entspricht nicht dem gängigen Modell der Kleinfamilie. Beim Abendmahl entfaltet sich in diesem Sinn keine befriedende Atmosphäre, der väterliche Wunsch nach einem harmonischen Tagesabschluss bleibt unerfüllt.
Eine Andeutung, ob es überhaupt eine weitere Erziehungsperson in der kleinen Familie gibt, findet sich im Text nicht. Die Kinder wiederum treten selbstbestimmt auf. Autorität ist also keine naturgegebene Sache, sondern soll basisdemokratisch verhandelt werden. Die elterliche Bezugsperson zeigt sich, anders als etwa noch in dem die biedermeierliche Gesellschaft abbildenden Struwwelpeter, um Verständnis bemüht: „‚Schmeckt es euch nicht?‘ fragte der Bürgermeister. ‚Dann schmeckt es mir nämlich auch nicht. Allein mag ich nicht essen.‘“ (Lobe & Weigel 1970, 14) Doch das auf Gespräch und Auseinandersetzung, nicht auf Strafe, beruhende Erziehungsmodell stößt in der besonderen Situation an seine Grenzen, immerhin repräsentiert der Vater als offizieller Stadtvertreter genauso die Anliegen seiner (erwachsenen) Wähler*innen. In den Illustrationen ist dies durch das dem Bürgermeister zugewiesene Attribut versinnbildlicht: Der schwarze Zylinder steht für die offizielle Autorität. Er kann aber auch als Symbol für das soziale Umfeld gedeutet werden, stand diese Kopfbedeckung doch lange Zeit geradezu prototypisch als Zeichen für das bürgerliche Establishment.
Ebenso wie die Illustrationen spielt der Text mit der Doppelrolle des Vaters. So wird der Bürgermeister beim Nachtmahl als „Vati“ angesprochen, was als Indiz für ein (klein)bürgerliches Milieu gedeutet werden kann. Er versteht das Anliegen seiner Schützlinge nicht. Es kommt zu der für die weitere Erzählung wegweisenden Aussage, der einzigen, die im Text fett markiert ist: „Das verstehst du nicht, Vati, weil du kein Kind bist.“ (Lobe & Weigel 1970, 16) Das Abendmahl ist die zentrale Textstelle für die Interpretation der Erzählung: Nicht die Vorstellungen des Vaters werden verwirklicht, sondern die Kinder setzen mit Selbstbestimmtheit und einer erstaunlichen Weitsicht ihre Vorstellung eines friedlichen Zusammenseins von Zivilisation und Natur um. Dazu müssen sie sich organisieren, was ferner geschieht: Sie gestalten Plakate und organisieren eine Demonstration, welche die geplanten Umbauarbeiten und die damit verbundene Zerstörung des Waldes aufhalten soll.
Abbildung 1: Beim Abendmahl kommen Konflikte zur Sprache. (© Verlag Jungbrunnen Wien)
Der kindliche Protest verweist auch auf den Entstehungshintergrund des Textes, die 1968er-Bewegung/en, allen voran für Umwelt, Frieden und Frauen. Im österreichischen Kinderbuch kam diese gesellschaftliche Revolution, die eine deutliche linkspolitische Haltung aufgriff, nicht nur bei der jüngeren Generation (wie Christine Nöstlinger, 1936–2018, Renate Welsh, *1937) zum Ausdruck, sondern vor allem bei Mira Lobe. Über nahezu ein halbes Jahrhundert war sie ein wesentlicher Teil der österreichischen Literatur und transformierte zeitgemäße Themen in prägnante Geschichten mit viel Sprachwitz. Daraus, und aus der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einigen Illustrator*innen und Verlagen, ergibt sich der hohe Wiedererkennungswert ihres literarischen Schaffens. Sie war in den 1970er-Jahren bereits eine etablierte Autorin, die mit Kinderbüchern wie Die Omama im Apfelbaum (1965) weit über Österreich hinaus erfolgreich war. 1973, ein Jahr nachdem ihr wohl erfolgreichstes Bilderbuch Das kleine Ich-bin-Ich (1972) erschienen war, feierte sie ihren 50. Geburtstag.
In diesem Zeitraum, der in eine der produktivsten Schaffensphasen Mira Lobes fällt, gelang es ihr wie keiner anderen Autorin, kindliche Protestbewegungen im österreichischen Kinderbuch zu verankern. Die Formierung eines Kinderkollektivs zu einer Bewegung, die vehement eine Gegenkultur fordert und dies auch willensstark manifestiert, ist so erst durch Mira Lobes Einfluss breitenwirksam in der zeitgenössischen österreichischen Kinder- und Jugendliteratur vertreten. Neben dem bereits genannten Städtchen Drumherum ließen sich die Kinderbücher Denkmal Blümlein