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sei der Plot an dieser Stelle skizziert: In den Städten Dinglstadt und Dunglstadt wird Stadterweiterung anvisiert, ein Flugplatz und etliche Hochhäuser sollen gebaut werden. Dies stellt jedoch eine Bedrohung für den idyllischen Wald dar, durch den ein kleiner Fluss läuft und der den Kindern bislang als Spielgrund diente. Sie sind es auch, die sich vehement gegen die neuen Baumaßnahmen wehren. Gemeinsam mit zwei Außenseiter*innen, Adelheid Tintengrün mit dem „Chlorophyllblick“ (Meissel 1973, 27) und dem lärmmeidenden Adalbert Seidelstroh, der über eine „Zeitstehstillmaschine“ (Meissel 1973, 29) verfügt, machen sie sich auf, den Wald zu retten. Anders als in Das Städtchen Drumherum bleibt es jedoch nicht nur bei einem bösen Traum. Die Dystopie wird zunächst Wirklichkeit und den Naturgeräuschen weicht industrieller Stadtlärm:

      Mittlerweile aber bauten die Männer von Dinglstadt und Dunglstadt eine Untergrundbahn und eine Brücke über den See, und Autobahnen und Schnellstraßen und normale Straßen. Die Autofahrer auf den Autobahnen winkten denen auf den Schnellstraßen und umgekehrt, und die Autofahrer auf den normalen Straßen winkten denen auf den Schnellstraßen und umgekehrt, so nahe lagen die Straßen nebeneinander, mit einem Wort, es gab schon mehr Straßen als Futterweiden und Wiesen und mehr Unterführungen und Überführungen und Einfahrten und Ausfahrten und Zufahrten und Abfahrten als Rübenäcker und Weizenfelder. (Meissel 1973, 64)

      Der Lärm hindert die Erwachsenen jedoch an ihrer Arbeit: Die Zerstörung soll wieder rückgängig gemacht werden. Die rettende Idee stammt wieder von einem Kind – die Zeit wird auf magische Weise zurückgedreht. Aus Dank wird er von den etwas titelverliebten Erwachsenen zum „Professor für Naturzustandserhaltung“ (Meissel 1973, 94) ernannt. Die Kinder schreiben diese Bezeichnung auf einen Zettel und verbrennen ihn. Am Ende steht, wie bereits in Das Städtchen Drumherum, der Wald als locus amoenus, der Kindern und Tieren gleichsam ein Refugium bietet:

      Einige liefen hinaus aus dem Wald, an dessen Rand ein schmaler Ackerstreifen war, der niemand gehörte. Dort holten sie die Erdäpfel. Einige Hasen waren darüber verärgert, weil sie gestört wurden, ein Eichelhäher schimpfte hinter den Erdäpfelklaubern her, der Geruch von Holzfeuer und Föhrenharz zog schwer und süß durch das Unterholz, und ein Kuckuck rief von weither. Die Bäume warfen lange Schatten, der Wind schaukelte hohe Gräser, einige Wespen surrten durch die Luft. Auch Schmetterlinge gab es. Es war schön. || Hoffentlich gibt es ihn noch, den Dinglstädter und Dunglstädter Urwald – recht lange, immer, in ewige Zeiten. (Meissel 1973, 94)

      Die Darstellung des Waldes ist in beiden Kinderbüchern durchaus ähnlich. Dem Wald wird zudem eine klare Bedeutung zugewiesen: Er ist ein Rückzugs- und Spielort, an dem Kinder und Tiere quasi friedlich nebeneinander walten. Auch rezente deutschdidaktische Publikationen betonen das Potenzial dieses Bestandteils des Lernraums Natur für den Unterricht: Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf das jüngst erschienene Heft ide. Informationen zur deutschdidaktik, das sich schwerpunktmäßig dem Wald widmet (vgl. Esterl & Mitterer 2021, 5–10).

      Tante Tintengrün greift ein zählt, wie Das Städtchen Drumherum und Da ist eine wunderschöne Wiese, zu den erfolgreichsten Kinderbüchern mit sozioökologischem Anspruch der 1970er-Jahre. Sie zeigen noch deutlich die Aufbruchsstimmung der 1968er-Generation, die sich besonders stark im damals als „fortschrittlich“ bezeichneten Kinderbuch manifestierte. Alle drei waren Longseller und weisen durch ihre generationenübergreifende Bekanntheit einen allgemeinen hohen Wiederkennungswert auf, der erst heute, rund fünfzig Jahre später, nachzulassen scheint. Gemein ist den drei Texten, dass am Ende ein Ort in der Natur beschrieben wird, ein kindlicher Freiheitsraum, der bevormundungsfrei ist – wenn auch nicht frei von Erwachsenen. Solche Darstellungen sind geradezu exemplarisch und können auch als Sieg über den in der Kinderliteratur stark verfestigten „Traditionalismus“ (Ewers 2013) gesehen werden.

      5. Abschließende Gedanken für die Anwendung im Grundschulunterricht

      Die Natur als ehemals weithin unbekanntes Phänomen hat längst ihren bedrohlichen Charakter verloren, und zwar im Hinblick auf zahlreiche, furchteinflößende meteorologische Phänomene (wie Gewitter, Hagelsturm usw.) – die heute großteils natürlich erklärbar sind. Andererseits beschäftigt Natur heute den Menschen durch eine Bedrohlichkeit, die sich als Folge menschlichen Handelns in und an der Natur ergibt.

      Umwelterhaltung und Klimaschutz sind, wie hier in Bezug auf historische Kinderliteratur abgehandelt, entscheidende Herausforderungen von heute. In seiner rasanten technischen Entwicklung eröffnet das Anthropozän, dieser kurze Abschnitt der Erdgeschichte, ungeahnte neue Möglichkeiten für die Spezies des Homo Sapiens: in Medizin, in Forschung und Wissenschaft, in Mobilität. Dies bringt dem Geschöpf Mensch, das wie kein anderes Wesen vor ihm die Erdgeschichte geprägt hat, gleichzeitig aber auch große Risiken: eine unkontrollierte oder kriegerisch eingesetzte Atomkraft, eine Überbevölkerung und ungerechte Ressourcenverteilung, eine künstliche Intelligenz mit ihren Möglichkeiten zur grenzenlosen Kontrolle des Individuums, und eben eine Zerstörung der Umwelt, ein Artensterben, einen Klimawandel, der zwangsläufig auf den Menschen zurückschlägt. Junge Menschen rechtzeitig mit diesem Thema zu befassen und sie zu gesellschaftspolitisch verantwortungsvollen Akteur*innen zu machen, ist eine vordringliche Aufgabe.

      Diskutiert wurde im Rahmen dieses Artikels, inwieweit Kinderliteratur auch von vor fünfzig Jahren einen wertvollen Beitrag zur Bewusstseinsbildung bei Kindern leisten kann. In Österreich entstandene Bilder- und Kinderbücher aus vergangenen Epochen finden heute im Grundschulbereich wohl immer wieder, aber vielleicht nicht ausreichend systematisch Verwendung: Neuere Didaktisierungsvorschläge zur Nachhaltigkeit für den Deutschbzw. Sachunterricht greifen oft nicht auf ältere Kinderliteratur zurück (vgl. etwa Nosko & Plank 2020). Eine Didaktik, die auf generationenübergreifendes Literaturwissen verzichtet, beraubt sich jedoch selbst einer wichtigen Dimension, da sie sich dem Primat ständiger Erneuerung unterwirft. Der Vorwurf der Überalterung von Text und Bildern liegt nahe, lässt sich aber bei einer überlegten Auswahl entkräften. Literarästhetisches Lernen ist im Lernraum Schule an keine Altersstufe gebunden, bereits im Grundschulalter können Texte aus der historischen Kinderliteratur herangezogen werden. Die Auswahl erfordert jedoch Geschick: Sprache ändert sich nicht nur rein äußerlich (Rechtschreibung und Grammatik), auch die Benutzung gewisser Ausdrücke und Sprachbilder ist einem stetigen Wandel unterworfen. Die in den Medien oft sehr einseitig geführte Debatte um politische Korrektheit in Kinderbüchern müsste weitaus differenzierter geführt werden, indem bereits früh ein Bewusstsein für ihre Konstruktion, den Wandel in der sprachlichen und bildlichen Darstellung geschaffen wird. Konkrete didaktische Modelle stellen bislang ein Desiderat dar.

      Historische Kinderliteratur wie Lobes und Weigels Bilderbuch können im Sinne einer größeren Sensibilisierung einen wichtigen Beitrag leisten, da in ihnen ein offener Protest in einer deutlichen Form gezeigt wird. Der Nachhaltigkeitsdiskurs lässt sich seit den 1970er-Jahren verstärkt in der österreichischen Kinderliteratur nachweisen. Dies wurde exemplarisch an Kinderbüchern, welche die sozioökologische Transformation behandeln, gezeigt. Dabei konnte (kindliche) Empörung als ein zentrales Motiv ausgemacht werden. Der Widerstand der Kinder richtet sich aber, und dies wurde in den ausgewählten Kinderbüchern deutlich, anders als heute vielmehr auf das unmittelbare Umfeld. Veränderung fängt, auch dies mag eine wichtige literaturdidaktische Erkenntnis sein, im Kleinen an. Dabei stellt sich gerade im Grundschulbereich die Frage, wie bei Kindern eine Bewusstseinsbildung für etwas geschaffen werden kann, das wir ständig auch zerstören. Einige Anhaltspunkte dafür liefern die hier vorgestellten Texte.

      Nicht nur aktuelle Publikationen eignen sich zur Vermittlungsarbeit in der Primarstufe. Es gilt, auch im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur bei Grundschullehrkräften ein Sensorium zu entwickeln, das weit über tagesaktuelle Publikationen hinausreicht. Tante Tintengrün greift ein und Da ist eine wunderschöne Wiese können so nicht nur als Umweltgeschichten gedeutet werden, da auch das soziale Element, das Miteinander der Generationen schlussendlich zum Erfolg führt. Die unterschiedlichen grafischen Techniken in Das Städtchen Drumherum – so werden Blätter etwa mittels eines Druckverfahrens als Bäume dargestellt – lassen sich im Unterricht nachahmen. Literarische Erfahrungen sollen im Sinne eines mehrdimensionalen Lernens nicht nur auf die Textarbeit konzentriert bleiben,

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