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die Rüstungsindustrie der Stadt einen Schwerpunkt der Forschung dar. Unterschiedliche Projekte zur Erinnerungsarbeit werden in Wiener Neustadt, der am schwersten durch Luftangriffe zerstörten Stadt Österreichs, sichtbar. (Vgl. Kainig-Huber & Vonwald 2018, 64–125)

      3.3 Ein menschenverachtendes System breitet sich aus

      Dem Tiefpunkt menschenverachtender und mörderischer NS-Politik wird im dritten Kapitel mit der Darstellung des Konzentrationslagers Mauthausen in Oberösterreich mit seinen 50 Nebenlagern nachgegangen. Zehn davon befanden sich in Niederösterreich. Die unterirdische Flugzeugproduktion in der Seegrotte Hinterbrühl, das Frauenlager in Hirtenberg zur Patronenerzeugung und die Massenausbeutung von KZ-Häftlingen im KZ Außenlager Melk werden unter anderem ausgeführt. St. Pölten etablierte sich einerseits aufgrund von günstigen Bahnverbindungen sowie freien Bauflächen außerhalb des Stadtgebietes zur „Gauwirtschaftsstadt“ und andererseits durch Eingemeindungen zu „Groß-St. Pölten“. Weiters wird den Themen Reichsautobahnbau, Ende des jüdischen Lebens in St. Pölten sowie Widerstand und Kriegsende in St. Pölten nachgegangen. Im Abschnitt „Den Schwächsten blieb die Menschlichkeit verwehrt – Euthanasiemorde in Niederösterreich“ wird der Massenmord von Menschen aus Niederösterreich im Schloss Hartheim (OÖ) beschrieben. Auch Zwangssterilisation und die Phase der „wilden Euthanasie“ werden thematisiert. Die Frau als Trägerin der NS-Ideologie kam sowohl im ländlichen Sozialgefüge zum Ausdruck als auch in zugewiesenen und übernommenen Rollen wie Mutter, Industriearbeiterin und Täterin. Einblicke in das bäuerliche Leben in der NS-Diktatur mit den Tausenden von Zwangsarbeitskräften aus dem Ausland, die in der Landwirtschaft arbeiten mussten, zeigen die Bauern im Dienste der NS-Machthaber. An den Beispielen der Orte Berndorf, Pottenstein, Hirtenberg, Enzesfeld und Leobersdorf wird die Industriezwangsarbeit im Triestingtal veranschaulicht und der „Wert“ der Zwangsarbeiter*innen beleuchtet. (Vgl. Kainig-Huber & Vonwald 2018, 126–199)

      3.4 Der Untergang und die Vernichtung des jüdischen Lebens

      Das vierte Kapitel widmet sich in der Einleitung dem Alltagsleben jüdischer Menschen in Niederösterreich vor dem Jahre 1938, geht dem Raub der Menschenwürde und der schrittweisen Entrechtung nach. Übergriffe gegen die jüdische Bevölkerung, die gezielte Zerstörung von jüdischen Einrichtungen und die zwangsweise Auflösung jüdischer Gemeinden sowie der Zwangsarbeitseinsatz, die Deportation und der Mord von niederösterreichischen Jüdinnen und Juden werden thematisiert. Menschen, die jüdischen Menschen im Land halfen, und jene, die das Überleben im Untergrund beschrieben, kamen zu Wort. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten nur einzelne jüdische Menschen ins Waldviertel zurück, nachdem durch die Nationalsozialisten der Lebensalltag der Jüdinnen und Juden im Waldviertel zerstört worden war. Noch 1930 hatten sich dort 786 Personen zum Judentum bekannt. Auch die Gewalt gegenüber jüdischen Menschen im südlichen Niederösterreich war enorm, wovon jüdische Schicksale aus dem Industrieviertel berichten. Rekonstruiert werden konnte ein ehemals blühendes Vereinsleben jüdischer Gemeinden in Baden, Mödling und Wiener Neustadt. Ortsspezifische Schwerpunkte der Forschung im Weinviertel sind „Arisierungen“ im Bezirk Gänserndorf, durch Nationalsozialisten geschändete jüdische Friedhöfe und verschwundene Synagogen im Nordosten Niederösterreichs sowie antisemitische Ausschreitungen im Marchfeld. Die Nationalsozialisten betrieben Raub an land- und forstwirtschaftlichen Gutsbetrieben und bereicherten sich an Sommer- und Zweitwohnsitzen jüdischer Familien, was neben berührenden Einzelschicksalen im Mostviertel gezeigt werden konnte. (Vgl. Kainig-Huber & Vonwald 2018, 200–297)

      3.5 Terror, Leid und Befreiung – der Weg zum Frieden

      Im fünften Kapitel wird im Besonderen auf die Verschleppung und die Ermordung ungarischer Jüdinnen und Juden 1944/45 auf niederösterreichischem Gebiet eingegangen, welche die zeitgeschichtliche Forschung als „Endphasenverbrechen“ bezeichnet. In Strasshof befand sich ein sogenanntes Durchgangslager (Dulag) für Kriegsgefangene, Zwangsverschleppte und für ungarische Jüdinnen und Juden. Die rücksichtslose Ausbeutung und die Unmenschlichkeit beim Bau des Südostwalls bei Engerau und Bruck an der Leitha, ungarische Jüdinnen und Juden im Zwangsarbeitslager in Gmünd, Todesmärsche durch niederösterreichische Orte und fanatische Morde im Steinbruch Tasshof bei Sulzbach (Triestingtal) sowie die Erschießungen von Jüdinnen und Juden im Schliefaugraben bei Randegg werden dokumentiert. Danach wird das Kriegsende in Niederösterreich behandelt, wobei einerseits auf die Not der Kinder im Land eingegangen wird und andererseits die Rolle der sowjetischen Soldaten als Befreier und/oder Besatzer thematisiert wird. Bilder von zerstörten Brücken, Dörfern und Städten geben Einblicke in das Kriegsende in unserem Land. Mit dem administrativen Umgang der Entnazifizierung in Niederösterreich (Verbot der NSDAP, Nationalsozialistengesetz 1947, Kriegsverbrecherprozesse an den Volksgerichten) und mit NS-Täterprozessen in Verbindung mit den „Endphasenverbrechen“ sowie mit der Bedeutung der sowjetischen Besatzungsmacht im Zusammenhang mit der Entnazifizierung beschäftigt sich der vorletzte Abschnitt. „Erinnern für die Zukunft“ nennt sich der Ausklang des Buches, dabei wird Orten der Erinnerung und dem Wandel von Erinnerungsorten nachgegangen und postuliert, dass Erinnerungsorte einerseits „verunsichernde Orte“ und andererseits Orte des Lernens sein können. Eine bildliche Auswahl von Kriegerdenkmälern in Niederösterreich zeigt die Veränderung des historischen Bewusstseins von der Ehrung der Helden bis zur Erinnerung an die Gefallenen und Vermissten auf. (Vgl. Kainig-Huber & Vonwald 2018, 299–381)

      4. Handreichung mit Anregungen zur Quellensuche und Verarbeitung

      Die 2019 fertiggestellte Handreichung Wege der Erinnerung in Niederösterreich – Schattenseiten des kulturellen Erbes in der Zeit von 1938–1945 basiert auf den bisherigen Forschungen im Rahmen des vorliegenden Projektes zum Schwerpunkt Nationalsozialismus in Niederösterreich und beinhaltet Anregungen für den Zeitgeschichteunterricht (vgl. Vonwald & Kainig-Huber 2019). Die Hilfestellungen für das Erforschen der regionalen Zeitgeschichte umfassen sowohl Informationen zur Quellensuche als auch zur Verarbeitung der Quellen. Die Akten der Bezirkshauptmannschaften und Vereine, die „Entschuldungs- und Aufbauaktion“ in der NÖ Land- und Forstwirtschaft, die Akten zum Vermögensentzug („Arisierung“) und Restitution jüdischer Besitzungen, die Lageberichte und Erinnerungen 1941–1945 sowie die Bestände der Bezirksbauernkammern stellen die umfangreichsten Quellensammlungen des Landes Niederösterreich dar und können neben Pfarr-, Schulund Gemeindearchiven beim Erforschen von zeit- und regionalgeschichtlichen Themen sehr hilfreich sein. Weiters erleichtern Websites wie die Topothek, „erinnern.at – Nationalsozialismus und Holocaust: Gedächtnis und Gegenwart“ und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes die zielgerichtete Recherchearbeit. Das Aufsuchen von „Orten der Erinnerung“ und somit das Aufbereiten von sichtbaren und unsichtbaren Lernorten, die Gestaltung eines Film- oder Audiobeitrages, Biografien im Zusammenhang mit der Lokalgeschichte rekonstruieren und darstellen sowie bestehende Rad- oder Wanderwege mit zeitgeschichtlichen Informationen versehen, sind mögliche Darstellungsformen der Forschungsergebnisse.

      5. Wege der Erinnerung – Projektpartner blicken zurück

      Die vorliegenden sieben Projektbeiträge tragen zur Entwicklung von Kompetenzen für den Lernbereich Globale Entwicklung bei, indem der sachgerechte Umgang mit historischen Quellen, der kritische Umgang mit der Darstellung von Geschichte und die Einsichten und Arbeitsweisen von Historiker*innen berücksichtigt werden.

      Es geht im 21. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Bewusstseinsbildung über die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten nicht nur um ein „Nie wieder“, sondern darüber hinaus um eine Sensibilität für kulturelle Identitäten, einen aktuellen Informationsstand über Konfliktlagen und Friedensbemühungen sowie ein reflektiertes Bewusstsein über Vorurteile und eurozentrische Wertvorstellungen. Der Geschichtsunterricht kann zur nachhaltigen Entwicklung durch Förderung folgender Teilkompetenzen beitragen: Quellenorientierung, Gegenwartsbezug, historische Alterität, Multiperspektivität, Kontroversität und Multikausalität. Erkennen, Bewerten und Handeln kann auf den verschiedenen Ausbildungsebenen gefördert werden, sodass das historische Denken zum Lernbereich globale Entwicklung maßgeblich beitragen kann. (Vgl. Erdmann, Kuhn, Popp & Ultze in

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