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Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kulturelle Nachhaltigkeit lernen und lehren
Год выпуска 0
isbn 9783706561921
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Pädagogik für Niederösterreich
Издательство Bookwire
Abbildung 4: Am Ende wird der Zylinder wird durch einen Blumenkranz ersetzt. (© Verlag Jungbrunnen Wien)
Mira Lobes und Susi Weigels Geschichte hatte gerade für die österreichische Kinderbuchszene Vorbildcharakter. Das aufkommende Problembewusstsein für Fragen der sozioökologischen Transformation zeigt ebenso das Bilderbuch von Wolf Harranth (*1941) Da ist eine wunderschöne Wiese (1972), in dem bewusst mit herkömmlichen Erzählmustern experimentiert wird. Auch hier wird die Sehnsucht der Stadtbewohner*innen nach mehr Grünraum thematisiert: Herr Timtim zeigt den Städter*innen eine grüne Wiese, die ganz im Gegensatz zu dem städtischen Grau steht und ideal zur Freizeitgestaltung anmutet. Die Urbanisierung schreitet rasch voran. Mehr und mehr Menschen kommen, das Grün wird in Parzellen geteilt, umzäunt, Geschäfte und eine Fabrik eröffnen. Doch die Idylle ist verschwunden: „Da denkt Herr Timtim zum erstenmal nach. Und alle anderen Leute denken mit ihm. Ganz still ist es. || Man hört nur den Lärm von der Straße und den Lärm aus der Fabrik.“ (Harranth 1972, 29) Um Erholung zu finden und dem Fabriks- und Straßenlärm zu entkommen, führt Herr Timtim die Menschen wiederum aus ihrem Wohnumfeld heraus, zu einer unbebauten grünen Wiese: „‚… da ist eine wunderschöne Wiese. Hier wollen wir bleiben.‘“ (Harranth 1972, 30) Das Ende nimmt den Anfang des Buches wieder auf, eine deutliche moralische Botschaft findet sich, anders als in Das Städtchen Drumherum, nicht: Ob die Menschen nun einen gewissenhafteren Umgang mit der Umwelt haben werden und was mit den bereits verbauten Flächen geschieht, wird nicht angedeutet.
Mit diesem offenen Ende zeigt sich deutlich, wie sehr die Trennlinie zwischen Kinder- und Erwachsenenliteratur uneindeutig gehalten wurde: Dies entspricht dem damals erhobenen Anspruch einer Literatur für Kinder, die diese auf die Zukunft vorbereitet und sie zu sozialpolitisch verantwortungsvollen Akteur*innen macht. Die im Text nicht versprachlichte Quintessenz („Denkt nach und macht es besser!“) ist daher Teil der literarischen Konstruktion: Dies ist bezeichnend für den Einfluss damals vieldiskutierter pädagogischer Ansätze (etwa von Jean Piaget, 1896–1980, und Lawrence Kohlberg, 1927–1987), der sich ebenso im Bereich der Kinderliteratur zeigte. Erst im Prozess der Auseinandersetzung, im gemeinsamen Sprechen über den moralischen Konflikt, kann das „Dilemma“ (Kohlberg) gelöst werden und somit ein höheres moralisches Entwicklungsniveau erreicht werden.
4. Wiederkehrende Motive im Nachhaltigkeitsdiskurs der 1970er-Jahre
Die 1970er-Jahre sind auch die Zeit eines neuen Miteinanders auf Seite der Autor*innen und Institutionen. Die akademische Etablierung der Literatur für die Jugend beschleunigte sich, wobei die internationale Vernetzung zunahm. Dafür steht etwa die Gründung der „International Research Society for Childrens’ Literature“ (1970). Für die (oftmals internationale) Zusammenarbeit stehen viele Anthologien, die damals entstehen und Schreibende aus unterschiedlichen Ländern versammeln. Der Verleger Hans Joachim Gelberg war selbst an diesen Prozessen beteiligt. Er nennt die größte Errungenschaft der Autor*innen dieser Zeit, eine „Literatur wirklicher Nähe“ (Gelberg 2015, 8) geschaffen zu haben: „Literatur der Erfahrung also, Literatur im Generationen-Dialog, Entwicklung sozialer Fantasie. Das Wagnis, Kindern eine Literatur vorzulegen, die Anspruch und Maßstab aus der Erwachsenenliteratur bezieht.“ (Gelberg 2015, 8) Engagiert waren viele Verlage tätig, für Deutschland stehen hier etwa Beltz-Gelberg, Bitter und Anrich, Ellermann, Hanser sowie Suhrkamp (vgl. Doderer 2015, 5).
In Österreich erschienen zahlreiche – damals als „fortschrittlich“ geltende Texte – bei Jungbrunnen und Jugend & Volk. Hier wurden die meisten Texte der Gruppe der Wiener Kinder- und Jugendbuchautor*innen veröffentlicht. Die Gründung dieses Kollektivs kann als eines der stärksten Signale für die Aufbruchsstimmung der 1970er-Jahre gedeutet werden. Sie stellt in der österreichischen Kinderliteraturgeschichte eine Zäsur dar, da sie auch als ein Widerstand gegen die Deutungshoheit etablierter Einrichtungen, wie dem Buchklub der Jugend, gesehen werden (vgl. Seibert 2015, 72). Verbunden mit der Eigeninitiative der Autor*innen war das Bemühen um eine Neudeutung der Kinderliteratur im literarischen Diskurs, fernab der Vorherrschaft institutioneller Settings und Regelungsversuche. Zum engsten Kreis dieses Kollektivs zählten neben Mira Lobe, Wilhelm Meissel (1922–2012), Vera Ferra-Mikura (1923–1997), Hans Leiter (1926–1990), Käthe Recheis (1928–2015), Ernst A. Ekker (1937–1999), Renate Welsh und Lene Mayer-Skumanz (*1939). Zeittypische Diskurse dürften bei der Themenauswahl eine wichtige Rolle gespielt haben. Den Einzelwerken der Autor*innen folgten bis in die 1980er-Jahre hinein zahlreiche Anthologien, in denen unterschiedliche Facetten des Nachhaltigkeitsdiskurses (u.a. Umweltschutz, Ressourcenknappheit, Afrika) aufgenommen wurden (vgl. Huemer 2015, 114). Dabei sind die Texte als Signal an eine junge Generation zu verstehen, das einen klaren Aufruf zur politischen Partizipation impliziert. Aber auch die Einzeltexte der Autor*innen, die in der Gruppe stark besprochen wurden, weisen „Empörung“ als ein zentrales Motiv auf. In Die Zeiger standen auf halb vier (1987), einem der letzten preisgekrönten2 Kinderbücher des unter dem Pseudonym Hans Domenego schreibenden Autors Hans Leiter, wird die Welt aus Sicht eines hochbegabten Kleinkindes erzählt. Seine Wut richtet sich gegen die Erwachsenen:
Sagen Sie den afrikanischen Kindern, die morgen oder übermorgen an Hunger sterben werden: Euer Tod hat nichts mit Politik zu tun. Sagen Sie den Kindern, die wochenlang auf einem Floß übers Meer flüchten: Eure Angst hat nichts mit Politik zu tun. Vergessen Sie auch nicht die Kinder, die von Bomben verbrannt werden, von den Terror-Bomben der Attentäter und von den Terror-Bomben der Pflicht-Tuer in Militärflugzeugen, und erklären Sie ihnen: Eure Schmerzen haben nichts mit Politik zu tun. Und sagen Sie, bitte, den Kindern in den beiden Hälften der Welt: Der Hass, den man euch eingepflanzt hat, der hat nichts mit Politik zu tun. (Domenego 1987, 86)
Dabei findet sich in den Kinderbüchern, die im Kreis der Gruppe entstanden, ein deutlicher Appell, politisch mitzuwirken und nicht alles hinzunehmen. Der Vorwurf, solche Texte seien Radikalisierungsliteratur, wurde erhoben. Gerade Mira Lobes Roman Die Räuberbraut, dessen Veröffentlichung in die Zeit der RAF-Attentate fiel, löste heftige Kritik aus (vgl. Wolf 1978). Ökologie ist einer der vielen Themenkomplexe, der in Die Räuberbraut angesprochen wird. Auch hier kommt dieses Thema in Verbindung mit dem Motiv der (jugendlichen) Empörung vor. Die Protagonistin durchlebt jedoch einen Wandel von einer Träumerin hin zu einer sozial engagierten Akteurin: Am Ende gründet sie ein Kollektiv und beschließt, gemeinsam mit ihren Freund*innen „wirklich-etwas-zu-tun“ (Lobe 1974, 199), sich also in ihrem sozialen Umfeld für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen.
Interessant ist die Selbsteinschätzung der in diesem Kollektiv Mitwirkenden, die, zumindest was die Kinderbuchpublikationen in Österreich anbelangt, oftmals eine Art Themenführerschaft übernommen haben. Literatursoziologische Vergleiche mit anderen Autorenkollektiven, in denen die unterschiedlichen Wechselwirkungen (Mitwirkende, Verlage, Werke u.a.) berücksichtigt werden, stehen bislang noch aus. Die Herausbildung eines sozialökologischen Bewusstseins ist jedenfalls vielen Texten dieser Gruppe eingeschrieben. Es gab zahlreiche Einzelveröffentlichungen, die ebenso erkennen lassen, wie sehr sich die Gruppenmitglieder untereinander ausgetauscht haben. Exemplarisch mag dies an dem Kinderbuch Tante Tintengrün greift